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Bild des Monats Juli

GLAUKOS / ΓΛΑΎΚΟΣ

GLAUKOS
Pigmenttusche/Papier (2019), 53 x 66 cm

„Ach, wäre ich doch unsterblich wie du. Dann könnte ich für immer bei dir sein.“ Seine vom Salzwasser geschundenen Hände berührten sanft die Lippen der jungen Göttin mit der menschlichen Stimme. Dann schlief Glaukos in Circes Armen ein – erschöpft von der harten Arbeit als Fischer und von den nie endenden Demütigungen seines Vaters.

[Musik setzt ein (Öffnet in neuem Fenster)] Wochenlang hatte Circe den jungen Mann mit den wunderschönen Locken bei seiner Arbeit beobachtet. Sie liebte die Gestik seiner Hände, sein zartes Gesicht. Trotz der ärmlichen Verhältnisse strahlte er Eleganz aus. Circe genoss seine Zuneigung und Wärme. In seinen Armen fühlte sie sich geborgen und sicher. ‚Ob das wohl die Blumen sind, von denen meine Großmutter Theia gesprochen hat?‘ Auf dem Weg zum Strand hatte sie kleine gelbe Blumen entdeckt. Sie hörte die Stimme von Theia nachklingen: „Hüte dich vor diesen Blumen.“ - ‚Wenn ich ... vielleicht nur einen winzigen Tropfen … Ich meine ... was wird da schon passieren. Ein Tropfen, das ist doch fast nichts ... und außerdem kann mein Bruder Zaubern – ich nicht.‘ Ihr Vater, Helios, hält nicht viel von seiner Tochter. Wenn sie sich an ihn schmiegt, stößt er sie beiseite.

Sanft löste Circe sich aus den Armen ihres Geliebten. „Die Blumen, heißt es, wachsen dort, wo das goldene Blut von uns Göttern im Kampf vergossen wurde. Muss ziemlich viel Blut geflossen sein. Kaum zu glauben, dass diese zarte Pflanze gefährlich sein soll.“

Im Nu war sie wieder bei Glaukos, der tief und fest in der Mittagssonne schlief. Vorsichtig presste sie einen Tropfen aus dem Stängel und benetzte seine spröden Lippen. Glaukos schlug jäh die Augen auf, wie von Zauberhand veränderte sich sein Körper, die Wunden auf der Haut heilten in Sekunden, seine Locken wurden noch mächtiger, seine Haut bekam einen wunderschönen bläulich-grünen Schimmer, seine Statur verwandelte sich in die eines Meeresgottes. Er sprang auf, rannte ins Meer und verschwand in den Tiefen des Ozeans. Atemlos folgte sie ihm und konnte ihr Glück kaum fassen.

Der Zauber der „Blume der wahren Bestimmung“ hatte gewirkt. Aus dem Fischersohn war ein imposanter Gott geworden. Umgeben von den schönsten Nymphen im Palast des Poseidon genoss der geschwätzige Neuling die Aufmerksamkeit der Palastbewohner, doch Augen hatte er nur noch für eine: Skylla. „Circe, du musst mir helfen. Sie ist so wunderschön. Schau, diese Ketten aus Muscheln und Bernstein sind für sie. Aber sie will nichts von mir wissen.“

Circe stockte der Atem. Was war nur aus dem sanftmütigen und einfühlsamen Fischersohn geworden? Bis zuletzt hatte sie gehofft, sie würden zueinander finden, sobald er den Schock der Verwandlung überwunden hätte. „Circe, ich liebe dich wie eine große Schwester, aber mein Herz, meine Liebe gehört Skylla. Hilfst du mir?“

SKYLLA
Zeichnung, Graphitstift (2019), 25 x 33 cm

Enttäuscht und voller Wut lief Circe davon, pflückte alle Blumen der wahren Bestimmung, die sie finden konnte, eilte zu der Bucht, in der Skylla am nächsten Morgen baden sollte, presste die Blütenstängel bis auf den letzten Tropfen aus und träufelte den Saft in das dunkle Wasser. Sie blickte zum Himmel und sah den Mond emporsteigen, dessen silbernes Licht durch die Zweige der Bäume fiel. „Niemals!“

Diese geradezu kitschige Geschichte habe ich mit dem entsprechenden Pathos in der Stimme in unseren gut zwanzig Performances anlässlich der Ausstellung „Selbstermächtigung“ erzählt. Mehr als zwei Jahre habe ich mich mit verschiedenen Figuren aus der griechischen Mythologie und den nordischen Sagen beschäftigt. Entstanden ist eine Ausstellung mit über zwanzig Bildern, in denen ich alte Geschichten neu erzähle - aus der Perspektive einer Frau von heute. Zu sehen sind verschiedene Darstellungen weiblicher Selbstermächtigung, aber auch Bilder wie das von Glaukos.

Bei Käse und Wein, Brot und Oliven haben wir die Geschichten hinter den Bildern – begleitet von Musik, Lesung und szenischem Spiel – einem kleinen Publikum vorgetragen und so die mündliche Erzähltradition vergangener Zeiten wieder aufleben lassen.

Kategorie Bild des Monats

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