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Aus Professor Goblins Aufzeichnungen:

Der Gemeine Hirschdrache

Mir sind schon einige Geschichten und Erzählungen aus alter Zeit über dieses Wesen zu Ohren gekommen. Bereits mein Großvater selig meinte damals, er habe den Gemeinen Hirschdrachen mit eigenen Augen gesehen. Er erzählte, dass das Tier ihn bei der Bärenjagd überrascht und angefallen hätte. Durchaus möglich, Großvater war nicht einer jener Sorte Kobolde, die ihre Vergangenheit mit Märchen ausschmücken mussten. Dies weckte also schon früh mein Interesse für all das, was im Verborgenen lebt und so habe ich mich auf die Suche gemacht, nachdem ich Großvaters Jagdgebiet aufgrund einiger Details ganz gut rekonstruieren konnte.

Der Gemeine Hirschdrache soll in den östlichen Sumpflanden gesehen worden sein, vorzugsweise in den düsteren Höhlen an den Karstausläufern eines kleinen Zwischengebirges, genannt der Sattelknopf. Ich befinde mich gerade auf dem Weg in dieses verrufene Gebiet und versuche später, dem Drachen aufzulauern.

(...) Nach achtundvierzig Tagen des Reisens habe ich mein Ziel erreicht. Ich befinde mich in einer Kaverne unweit des Höhleneingangs, sodass das Tageslicht von draußen noch genug Helligkeit spendet, versteckt hinter einem mächtigen Stalagmit. Der Drache hängt tatsächlich, wie es für seine Spezies üblich ist, kopfüber von der Höhlendecke und erzeugt mit seinem vibrierenden Rückensegel Schallimpulse, welche kleinere Beute zu ihn heranlockt.

(...) Ich habe vorhin beobachtet, wie der Hirschdrache mit seinen über dreihundert messerscharfen kleinen Fangzähnen und rund ein Dutzend großen Reißzähnen ein junges Reh kopfüber zerfleischt hat. Womöglich jagen Tiere seiner Art, indem sie ihre Beute des Kopfes entledigen und sich anschließend in die Höhle zurückziehen und diesen genüsslich verspeisen. Laut Angaben der Bauern in den umliegenden Regionen ist der Drache aber keine Gefahr für Menschen, Kobolde, Goblins oder andere humanoide Geschöpfe, die auf zwei Beinen aufrecht dahinschreiten. Wie so meist sind denkende Kreaturen wie diese die größte Gefahr für Drachen wie diesen, da dieser früher wegen seines kostbaren Geweihs gejagt und fast vollständig ausgerottet wurde.

Mein beschriebenes Exemplar soll nun schon mehrere hundert Jahre alt sein. Damit zählt es als Jungtier, da die Lebensdauer eines Hirschdrachen um die zwei- bis dreitausend Jahre betragen kann. Dafür, dass sie so lange leben, haben sie ein recht kleines Gehirn und können trotz ihrer Flügel nicht fliegen, da das Geweih bis zu fünfzig Kilogramm wiegt und einen zu starken Vorwärtsdrall besäße. Sobald der Drache schläft (und ja, das tun sie) werde ich mein Versteck verlassen, ein paar Kotproben einsammeln und das stattliche Oberkiefer eines verendeten Tieres, dessen ich schon die ganze Zeit habhaft werden will, in meinen Rucksack packen.

Text: Jonathan & Michael Grünwald