#5: Sonderausgabe 1. FC Köln: Die Schwierigkeiten der Vereinsdemokratie im Fußball-Business
Im Fußball-Business befindet sich der 1. FC Köln seit Jahren auf der Suche nach Kontinuität. Während das sportliche Auf und Ab die Tagesaktualität bestimmt, wird es im Vorfeld der Vorstandswahl im September immer unruhiger.
Das Jahr 2025 bietet uns gleich mehrere interessante Wahlen, bei denen die bedeutendsten Posten auf dem Globus verteilt werden. Erst die Bundestagswahl im Februar, dann das Konklave zur Papstwahl in Rom in den kommenden Mai-Tagen – und im September geht es dann richtig los. Bei der Kölner Kommunalwahl stehen drei Kandidat*innen zur Wahl, bevor frei nach Franz Müntefering das “schönste Amt nach dem Papst” mit dem Vorstand des 1. FC Köln neu gewählt wird. Und um diese Wahl geht es jetzt.
Werfen wir erstmal einen Blick auf die sportlichen Fakten: In dieser Saison wird die Bundesligamannschaft der Männer trotz sportlich1 insgesamt überschaubarer Leistung mit hoher Wahrscheinlichkeit in die erste Bundesliga zurückkehren, die Frauen profitieren trotz bis dato nur einem Saisonsieg von der Aufstockung der Bundesliga auf 14 Mannschaften ab Sommer 2025. Sportlich sind die Zeiten also irgendwie wie immer, obwohl einige Beobachter*innen wie so oft den baldigen Niedergang vorhersehen.
Ritualisierter Protest hat nicht viel verändert
Und dennoch: Das Business Profifußball, nicht nur in Köln, ist sehr lebendig geblieben. Fast schon wellenartig und in regelmäßiger Form erscheinen Bücher, entstehen Debatten und Diskussionen, die der Branche prognostizieren, bald endgültig unterzugehen. Viele Menschen, auch diejenigen, die es mit dem FC halten, sind erschöpft, die Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte haben sie offenbar zermürbt, im Hamsterrad wird allerdings fleißig weiterhin gelaufen, selbst wenn ein Unternehmen wie Rheinmetall auf einmal Sponsor wird (keine Grüße nach Dortmund).
Auch Proteste, die mittlerweile fast schon Ritualen gleichen, ändern nichts – da können die Banner, Transparente und Taskforces noch so kreativ und öffentlichkeitswirksam sein. Das Wachstum der Branche hat entgegen einiger Erwartungen auch die Corona-Pandemie nicht gestoppt. Gerne erinnern wir uns doch an die glorreiche Zeit zurück, in der der 1. FC Köln eine Bürgschaft in Höhe von 20 Millionen Euro beim Land Nordrhein-Westfalen beantragt hatte. Was für ein genialer Move!
Bisher hat der 1. FC Köln noch keine Anteile an Investoren verkauft
Alles, was seitdem innerhalb des Fußball-Business an Veränderungen umgesetzt wurde, ist so marginal, dass es kaum wahrzunehmen ist. Es scheint ein deutsches Phänomen zu sein, dass alles, was wehtut und die eigene Lebensführung in Frage stellt (liebe Grüße an Union und SPD), besser in der Mottenkiste verbleibt, um die Leute nicht endgültig gegen sich aufzubringen. Die große, idealistische und naive Idee, das Geld im deutschen Profifußball anders zu verteilen, finanziell schwächeren Vereinen damit mehr Chancen einzuräumen, wird nicht umgesetzt werden.
Dass der 1. FC Köln dadurch langfristig Anschluss an die besten Klubs des Landes findet, ist ebenfalls sehr unrealistisch. Das einzige, was die Chancen erhöhen würde, wäre ein massiver Geldsegen von außerhalb. Wenn der 1. FC Köln e. V., der 100 Prozent der Anteile an seinem Fußballunternehmen 1. FC Köln GmbH & Co. KGaA hält, einen Teil dieser Anteile an externe Investoren verkauft, steigt der innerhalb des Business entscheidende Etat für Spielergehälter sofort an – bessere Spieler können verpflichtet werden. Das klingt nach einer Binsenweisheit, ist aber als Zwischenfazit wichtig.
Fans unterstützen das System weiterhin mit ihrem Geld
Denn die Debatte um Investoren im deutschen Fußball (und rund um den 1. FC Köln) wird seit langem sehr scharf geführt, es gibt deutliche Kritik an Konstrukten mit Standorten in Leverkusen, Wolfsburg, Hoffenheim oder Leipzig, die ihrerseits selbst nur als Fußball-Konzerne aktiv sind und wenig bis gar keine Vereinsstrukturen als Grundlage haben. Die klammern wir für den Fortgang dieses Textes aus. Aber auch ältere Vereine aus traditionsreichen Standorten wie Stuttgart, Berlin (hier die Hertha) Hamburg (HSV) und München (1860) weisen eine Historie auf, in der Anteile verkauft wurden – und der Beweis, dass sich alle Vereine damit langfristig einen Gefallen getan haben, steht noch aus.
Der Verein verliert in solchen Fällen nicht nur die Entscheidungshoheit über den Namen des Stadions, sondern er wird zur Marke, zu einem vom Kapital getriebenen Unternehmen im Fußball-Business, das so schnell und so hoch wie möglich eine Rendite erzielen soll. Die emotional vom Fußball abhängigen Fans werden in solchen Fällen zu Beteiligten, sie geben ihr Geld für Trikots und Eintrittskarten aus und unterstützen damit das System, das für Umsätze und Gewinne sorgt, die wiederum in die Taschen von Einzelpersonen (Spielerberater, Manager, …) fließen.
Vereinspolitik beim 1. FC Köln: Seit Jahren gibt es Diskussionen
Und hier kommen wir zurück zum 1. FC Köln, für den das eben Geschilderte ebenfalls gilt: Dessen Fußball-Unternehmen spielt in einem Stadion2, dass nach dem städtischen Energieversorger benannt ist. Trikotsponsor ist ein Lebensmitteleinzelhändler mit Sitz in Köln. Ist der FC damit schon etwas Besonderes, vielleicht sogar überhaupt kein Teil der viel zitierten “Kommerzialisierung”? Mitnichten. Aber es gibt einen anderen Grund, weswegen der 1. FC Köln zwar nicht zwingend sportlich erfolgreicher oder beliebter ist, aber den eigenen Mitgliedern mehr Einflussmöglichkeiten und Teilhabe ermöglicht und damit ein Alleinstellungsmerkmal aufweist. Denn diese Form der Beteiligung ist im deutschen Fußball-Business alles andere als selbstverständlich, führt aber dennoch zu viel Reibung.
Rückblende ins Jahr 2010. Der 1. FC Köln dümpelt unter Präsident Wolfgang Overath im Mittelfeld der ersten Bundesliga, spielt defensiven und unansehnlichen Fußball, gewinnt in Müngersdorf kaum ein Spiel, verliert im Derby gegen Mönchengladbach mit 0:4. Kurz darauf findet im November die jährliche Mitgliederversammlung statt, 52.000 Mitglieder hätten kommen können, vor Ort im Staatenhaus der Messe sind etwas mehr als 3.000. Sie möchten vom Vereinsvorstand wissen, wie der Verein sportlich aus der Misere geführt werden könnte. Daraus wurde letztlich ein historischer Abend, der bis heute nachwirkt.
“Gegen etwas zu sein, ist immer leicht, man muss aber anbieten, was verändert werden soll und wie es besser werden kann.” (Stefan Müller-Römer)
Der Medienanwalt Stefan Müller-Römer stellte einen Antrag, den Vorstand nicht zu entlasten, der von einer klaren Mehrheit der Mitglieder unterstützt wurde. Zwar hatte diese Nicht-Entlastung keine direkten Folgen, aber der Druck auf den prominenten Präsidenten stieg massiv. Und es wurde deutlich, wie Vereinsmitglieder (und auch Fans, die später im Stadion gegen Overath protestierten) die Deutungshoheit über die Situation eines Fußballvereins zurückgewinnen konnten. Zuvor wurde der Verein wie in den 1970er Jahren geführt, der Vorstand wählte seine Kontrolleure selbst aus und verfügte über eine enorme Macht.
Aus dem Antrag zur Nicht-Entlastung wurde im Laufe der Zeit mehr. “Gegen etwas zu sein, ist immer leicht, man muss aber anbieten, was verändert werden soll und wie es besser werden kann”, erinnert sich Müller-Römer heute.
Mitglieder entwickelten damals eine Satzungsänderung
Mit anderen Mitstreitern entwickelte sich die Idee, die Satzung des 1. FC Köln zu verändern. “Wir haben uns damals gesagt, wir müssen den Verwaltungsrat und den Prozess der Nominierung eines Vorstandsteams verändern – und sicherstellen, dass das Aufsichtsorgan von den Mitgliedern gewählt wird. Denn es war ganz deutlich, dass das Prinzip der ‘Checks and Balances‘ hier nicht funktioniert hatte.”
Daraus gründete sich, so Müller-Römer, relativ schnell die Initative “FC.Reloaded”, die eine eigene Alternativsatzung verfasste und diese auch online verfügbar machte, sodass sich interessierte Leute darüber informieren konnten. Overath bezeichnete seinen Konterpart Müller-Römer nur noch als “den mit den Haaren” – was für “FC.Reloaded” aus Sicht des Anwalts allerdings “ein großer Gefallen” war, denn Overath habe der Initiative damit die nötige Aufmerksamkeit verschafft.
Solche Auseinandersetzungen habe Müller-Römer damals aber auch aktiv gesucht. “Mir war klar, dass das Anliegen, die Satzung zu verändern und den Verwaltungsrat anders wählbar zu machen, stinklangweilig ist, gerade, wenn es von Juristen kommt. Dann werden alle sagen: Pfui, Juristen mit ihrem Zeug, alles Blödsinn, wir wollen Spiele gewinnen, die Satzung ist doch egal.”
In Köln kontrolliert der Mitgliederrat den Vorstand
Aus der Geburtsstunde von “FC.Reloaded” folgte der Antrag auf Satzungsänderung bei der Mitgliederversammlung 2011, im November trat dann Wolfgang Overath zurück. 2012 übernahm Werner Spinner die Führung des Vereins unter der neuen Satzung, der Mitgliederrat als Kontrollgremium des Vorstands wurde eingeführt.
Bis heute darf der Mitgliederrat ein Trio vorschlagen, wenn auf einer Mitgliederversammlung ein neuer Vorstand gewählt werden soll. Das Kerngeschäft des Vereins, der Fußball-Betrieb, liegt in den Händen der KGaA, deren Gesellschafter der Verein durch seinen Vorstand ist. Der Mitgliederrat kontrolliert also den Vorstand, der seinerseits die Geschäftsführung des Betriebs kontrolliert.
Für “Maßnahmen und Geschäfte von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung” braucht die KGaA die Zustimmung des siebenköpfigen Gemeinsamen Ausschusses (GA), in den der Mitgliederrat zwei Mitglieder entsendet. Zudem sitzen dort die drei Vertreter des Präsidiums und jeweils der Vorsitzende des Aufsichtsrats und des Beirats.
Aus der Satzung entsprang nicht wirklich dauerhafter Erfolg
Müller-Römer war als Mitgliederratsvorsitzender jahrelang Teil des GA, 2021 beendete er seine Tätigkeiten beim FC. Mit einigem Abstand zeigt sich Müller-Römer entsetzt über das Fußball-Business und seine Kontrollmechanismen. “Es hat sich sehr schnell gezeigt, dass in den Gremien die Entscheidungen zum Teil sehr unprofessionell getroffen worden sind und sich einige Personen mit wesentlichen Aspekten nicht auseinandergesetzt haben. Es wurden keine kritischen Nachfragen gegenüber den Geschäftsführern gestellt, die konnten behaupten, was sie wollten.”
Jörg Schmadtke, Alexander Wehrle, Armin Veh, Horst Heldt –sie waren im letzten Jahrzehnt Geschäftsführer beim 1. FC Köln. Mittlerweile sind Christian Keller und Philipp Türoff geschäftsführend tätig.
Müller-Römer findet, dass besser kontrolliert werden müsste, wohin die Gelder fließen und welche Volumen die Verträge mit Spielern, Geschäftsführern oder Trainern haben. “Eigentlich hätte man hier immer gegen jeden Vertragsabschluss stimmen und sagen müssen: Grundgehalt ist zu hoch, Prämien sind zu hoch, Laufzeit ist falsch. Ich hab das immer mal kritisiert, aber eben jetzt nicht jedes Mal.”
Seine Erkenntnis: “In Gremienarbeit wie dieser muss man auch mal Kompromisse machen, diese Kompromisse habe ich aber später immer bereut. Die Verträge waren vom Muster her ja immer gleich und die Grundgehälter und Prämien eigentlich immer viel zu hoch.”
Wird eine Satzung ausreichend von Einzelpersonen gelebt?
Mittlerweile hat sich das beim 1. FC Köln geändert, der Prozess der finanziellen Konsolidierung beruhte zu großen Teilen auch auf einer anderen, eher erfolgsbezogenen Vertragsstruktur.
Das Hauptübel sieht Müller-Römer in der Rolle ehemaliger Fußballer. “Sie sind meistens nicht geeignet, in geschäftsführende Positionen zu kommen, weil sie diese nicht ausfüllen können. Das ist der Fehler.”
Doch liegt es wirklich nur daran? Sind es nicht auch Interessen von Einzelpersonen, im Rahmen eines Mandats beim 1. FC Köln ihr eigenes Renommee zu fördern und sich in der Stadtgesellschaft einen Namen zu machen? Doch dazu später mehr.
Es fehle, so Müller-Römer, insgesamt beim 1. FC Köln eine andere Unternehmenskultur mit einer besseren Evaluierung dessen, was eigentlich erreicht werden soll. “Das Kriterium kann nicht sein, dass einer eine nette Nase hat und ein dufter Typ ist, mal hier gespielt hat oder Jugendtrainer war. Solange sich das nicht ändert, wird der Verein nicht erfolgreich werden.”
Weiterhin befindet sich der Verein auf der Suche nach Kontinuität
Der 1. FC Köln erholte sich zwar finanziell in den letzten Jahren, eine sportliche oder vereinspolitische Weiterentwicklung hat es dennoch nicht gegeben. Großprojekte wie der Aus-, Umbau oder Umzug des Geißbockheims bzw. Nachwuchsleistungszentrums liegen nach wie vor mehr oder weniger auf Halde.
Trainer, Spieler und Geschäftsführer werden in einer ritualisierten Regelmäßigkeit kritisiert und zum Rücktritt aufgefordert3, aber eine wirkliche Veränderung findet im bräsigen Vereinssitz im Kölner Grüngürtel nicht wirklich statt. Weitestgehend positiv bewertete die interessierte Öffentlichkeit im November 2023, dass sich der Vorstand des 1. FC Köln sich klar gegen den Anteilsverkauf der Deutschen Fußball-Liga (DFL) positioniert hatte.
Offenkundig ist trotzdem, dass Fans und Mitglieder den Misserfolg immer mit Einzelpersonen verbinden, anstatt die Frage nach vernünftigen Parametern und Kriterien zu stellen, die Erfolg im Fußball-Business zumindest zu einem gewissen Anteil planbar machen können.
Und im kommenden September wird dann wieder ein neuer Vorstand gewählt.
Carsten Wettich bringt sich mit einem eigenen Team ins Rennen
Das noch amtierende Trio aus Werner Wolf, Eckhard Sauren und Carsten Wettich (der als damaliger Mitgliederrat auf den zurückgetretenen Jürgen Sieger gefolgt war) tritt in dieser Konstellation nicht mehr an. Ein ehemaliger Wirtschaftsmann, ein Dachfondsmanager (was heißt das eigentlich genau?) und ein Anwalt für Gesellschaftsrecht können und wollen also nicht mehr gemeinsam ran.
Der Mitgliederrat, der derzeit aus 12 Kandidat*innen besteht, befindet sich derzeit noch auf der Suche nach einem passenden Trio.
Klar ist bisher nur: Carsten Wettich will zusammen mit der ehemaligen Profifußballerin Tuğba Tekkal und dem Unternehmer Wilke Stroman antreten. Stroman gründete selbst vor einigen Jahren ein Unternehmen, ist als Geschäftspartner von Lukas Podolski bekannt, der sich wenig überraschend vor einigen Tagen mittels eines Springer-Interviews für das Trio um Stroman ausgesprochen hatte.
Auf den 1. FC Köln wartet ein turbulenter Sommer
Zudem wird das Trio in Sachen Öffentlichkeitsarbeit von einem PR-Berater unterstützt, der den FC schon bei einer eigens produzierten Podcast-Serie begleitet hatte. Damals ging es um die Aufarbeitung der Kritik am Vorstand rund um Werner Wolf und eben jenen Carsten Wettich. Wettich scheint in seinem Bestreben nach der Wiederwahl erkennbar auf externe Unterstützung zu setzen und unbedingt seine Machtposition behalten zu wollen.
Doch eigentlich ist es so, dass der Mitgliederrat ein Trio vorschlägt – Eigenkandidaturen sind zwar möglich, aber nicht im Sinne des Erfinders.
2019 sagte dazu niemand Geringeres als Carsten Wettich, damals noch im Mitgliederrat, dem Online-Magazin effzeh.com (Öffnet in neuem Fenster): “Die Satzung des 1. FC Köln berechtigt und verpflichtet uns als Mitgliederrat, genau ein Vorstandsteam vorzuschlagen. Das heißt: Selbst wenn wir gewollt hätten, hätten wir kein zweites Team vorschlagen dürfen.” Das macht die Sachlage ja schonmal klar.
“Vor (…) Jahren hat es niemanden interessiert, ob es demokratisch sei, wenn nur der seinerzeit bereits amtierende Vorstand um Werner Spinner zur Wahl steht. In der Sache ist der Prozess demokratisch.” (Carsten Wettich 2019)
Und Wettich ergänzte: “Diese Einschränkung ist übrigens erst 2014 auf Wunsch des damaligen Vorstands und der Geschäftsführung in die Satzung aufgenommen worden. Man wollte ausschließen, dass es vor der Mitgliederversammlung über den Sommer hinweg Unruhe durch einen möglichen Wahlkampf gibt. Deshalb wurde diese Einschränkung eingeführt – und die Hürden für einen Alternativvorschlag der Mitglieder wurden ebenfalls auf Wunsch des alten Vorstandes hin deutlich erhöht.” Achso, na dann wird das seine Richtigkeit haben!
Darauf folgt seit Jahren immer derselbe kritische Frage: Kann so etwas überhaupt demokratisch sein, wenn nur ein Team zur Auswahl steht? Wieder Antwort von Wettich: “Dieser Einwand kommt immer dann, wenn jemand mit dem Ergebnis nicht zufrieden ist – dann wird hinterfragt, ob das überhaupt demokratisch sei. Vor (…) Jahren hat es niemanden interessiert, ob es demokratisch sei, wenn nur der seinerzeit bereits amtierende Vorstand um Werner Spinner zur Wahl steht. In der Sache ist der Prozess demokratisch.” Das hört sich gut an, wirft allerdings Fragen auf, wenn Wettich heute seinerseits den Druck auf den Mitgliederrat und seine Findungskommission erhöht.
Kommt es wirklich zu einer Kampfabstimmung?
Weiter mit Wettich: “Wer sich das deutsche Politiksystem anschaut, wird feststellen, dass wir in einer repräsentativen Demokratie leben. Die Bundeskanzlerin wähle ich auch nicht direkt. Ich wähle den Bundestag, der dann entscheidet. Ähnlich verhält es sich beim FC: Der Mitgliederrat ist (…) aus einer großen Auswahl von Bewerbern von der Mitgliederversammlung unmittelbar gewählt worden. Dieser unterbreitet (…) den FC-Mitgliedern einen Wahlvorschlag für ein Vorstandsteam. Die Entscheidung treffen dann wiederum die Mitglieder.”
Vor einigen Jahren noch sei der richtige Weg gewesen, dass der Mitgliederrat ein Trio vorschlägt, nun will ein Vorstandsmitglied wie Wettich, das in der Vergangenheit teilweise heftig in der Kritik stand und aus dem Mitgliederrat kommt, selbst in einem eigenen Dreier-Team antreten – dabei sollte doch ein Wahlkampf über den Sommer verhindert werden.
Doch dafür müssen erstmal 4.500 Unterschriften von Mitgliedern gesammelt werden, um überhaupt bei der Mitgliederversammlung zur Wahl zugelassen zu werden. Mit der Unterstützung von Lukas Podolski ist das auch nicht unbedingt ausgeschlossen. Dass in der Geschichte des FC bei einer Mitgliederversammlung einmal 4.500 Mitgliedern teilgenommen hatten, das gab es noch nie.
Doch noch ist das Fenster offen, um FC-Mitglieder zu erreichen. Mit nur noch einem Heimspiel wird es allerdings schwierig.
“Die Satzung bedarf einer Überprüfung, aber der Grundgedanke ist weiterhin richtig und muss sich dort wiederspiegeln.” (Jupp Derkum)
Jupp Derkum sitzt seit Jahren im Mitgliederrat, die Mitgliedschaft wählte ihn im vergangenen Jahr erneut. Rückblickend auf die Satzungsänderung 2012 und deren Folgen sagt er: “ Ich war zufrieden damit und bin davon überzeugt, dass dieses System von gegenseitiger Kontrolle und Vier-Augen-Prinzip einfach auch funktioniert und auch in egal welcher Wirtschafts- oder Gesellschaftsform sinnvoll ist.” Aber: “Die Satzung bedarf einer Überprüfung, aber der Grundgedanke ist weiterhin richtig und muss sich dort wiederspiegeln.”
Derzeit ist Derkum Teil der Findungskommission, die ein neues Trio vorschlagen soll.
Die Kölner Presselandschaft wird genug zu tun haben
Er bestätigte im Gespräch damals, dass es in der Vergangenheit immer wieder Diskussionen darüber gegeben habe, ob der Mitgliederrat nicht einfach mehrere Teams vorschlagen könnte. “Da argumentiert man mit Auswahlmöglichkeiten und Demokratie, und Wahlmöglichkeiten, aber ich glaube, es macht keinen Sinn zu sagen, wir haben jetzt zwei Teams, die finden wir beide ganz gut, der eine kann das besser, der andere kann das besser, macht euch mal Gedanken darüber, das sehe ich auch nicht. Der Mitgliederrat hat die Aufgabe, dass aus seiner Sicht beste Team vorzuschlagen.”
Es wäre daher überraschend, wenn der Mitgliederrat begeistert über Wettichs Vorstoß war.
Über alle anderen Gespräche mit möglichen Kandidat*innen herrscht offenbar striktes Stillschweigen, sodass bisher nichts an die Öffentlichkeit gedrungen war. Über den Sommer und nach Saisonende ist allerdings zu erwarten, dass es kontroverse Diskussionen darüber geben wird, welches Vorstandstrio für die Zukunft das richtige ist. Wie immer in Köln werden sich diejenigen, die sich nicht richtig abgebildet fühlen, darüber in den lokalen Medien ihr Unverständnis äußern, was wiederum eine Gegenreaktion hervorruft, bis das Ganze im September vorerst beendet sein wird.
Was wird, was kann sich vereinspolitisch in Zukunft verändern?
Fest steht: Ein neues Vorstandstrio wird es auf jeden Fall geben, die Frage ist nur, wie es sich zusammensetzt und welche Vorhaben umgesetzt werden sollen. Notwendig scheint eine Änderung der Satzung, sodass das Kontrollorgan Mitgliederrat im Gemeinsamen Ausschuss nicht pauschal überstimmt werden kann. Denn bei einer genaueren Betrachtung ist die einzig wichtige Aufgabe des Mitgliederrats derzeit die Entscheidung darüber, welches Trio bei einer Vorstandswahl antreten darf. Diese Möglichkeit, nur alle paar Jahre wirklich Einfluss nehmen zu können, konterkariert die grundsätzliche Idee einer stärkeren Verantwortung der Mitglieder.
Und da sind wir wieder am Anfang des Textes: Das Fußball-Business lebt von seiner Emotionalität, die an den meisten Standorten hauptsächlich im sportlichen Bereich ihren Ausdruck findet. Was allerdings in Köln passiert, liegt an der demokratischen Ausrichtung der Vereinssatzung, deren Erfolgswirksamkeit sich aber bis dato jedoch noch nicht ausgezahlt hat.
Vielleicht sind die Debatten um Vereinspolitik und Vorstandswahlen auch ein Symptom der Gegenwart, denn es scheint zu häufig der Fall zu sein, dass sich viele Menschen mit komplizierten Sachverhalten (Satzung, Organisationsstruktur, Vertragsgestaltung) nicht auseinandersetzen wollen und dann den bequestem Weg gehen – ein Wahl nach Gefühl und Sympathie. Und wenn nach dem Wahlergebnis gewisse Versprechen gebrochen werden, regen sich Enttäuschung und Zorn. Das zeigte sich zuletzt auch in der Bundespolitik bei CDU und CSU, deren angestrebter “Politikwechsel” erstmal damit begann, ein milliardenschweres Finanzpaket zu schnüren, nachdem es zuvor gehießen hatte, die Schuldenbremse bliebe unangetastet.
Am Ende, und so ist es eben auch im Sport, zählen zwar die Ergebnisse, aber der Prozess dahin verdient genauso viel Beachtung. Und dass es beim 1. FC Köln gelungen ist, Mitgliederrechte zu stärken, obwohl der Verein und seine KGaA gezwungenermaßen Teil des Business sind, ist bemerkenswert – auch wenn viele Entscheidungsträger (bewusst nicht gegendert) kein Interesse daran haben, sich auf die Finger schauen zu lassen.
Dennoch wird es, so unterhaltsam die kommenden Monate auch werden dürften, langfristig nicht so sein, dass sich der 1. FC Köln als ernstzunehmender Bundesliga-Verein etabliert und nur noch rein rationale Entscheidungen getroffen werden.
Wirklich überzeugend war die Mannschaft nur selten, für einen Aufstiegsaspiranten zu selten, weswegen die Pfiffe zur Halbzeit beim jüngsten Heimspiel gegen den Tabellenletzten aus Regensburg nicht wirklich überraschend waren. ↩
Die Kapazität des Müngersdorfer Stadions, das der Kölner Sportstätten GmbH gehört und an den FC verpachtet wird, liegt bei 50.000 Plätzen. Aus strategischer Sicht, so FC-Geschäftsführer Philipp Türoff, sei eine mögliche Erweiterung des Stadions aber ein Thema, um Umsätze zu erhöhen. Diese Überlegungen (andere würden sagen, Hirngespinste) begleiten den FC seit Jahren, der Kölner Stadtrat zeigt sich reserviert bis abweisend. Schon 2019 hatte ein Gutachten dargelegt, dass ein Ausbau mehr als 200 Millionen Euro kosten würde. Bei der angespannten Haushaltslage Kölns sind diese Planungen des FC einigermaßen absurd. ↩
Die Folgen des Unentschiedens gegen Regensburg waren Forderungen nach Rauswurf oder Rücktritt von Einzelpersonen wie Keller oder Trainer Gerhard Struber. ↩