To hus - das blöde Akkordeon, zu Hause und die Traurigkeit.
Ich höre seit Tagen ein Lied in Dauerschleife. „Ein Glas auf die See“. Obwohl es mich unglaublich zum Weinen bringt, vor allem die Version von Hannah Liekenbröker. https://youtu.be/IjDKVZ9JOe8?si=S-v80iIWIfzoDFgc (Öffnet in neuem Fenster) So klar und sehnsuchtsvoll und schlicht. Und dann (Öffnet in neuem Fenster)setzt das Akkordeon ein. Oh Gott. Was ist da los? Akkordeon geht mir unter die Haut. Mitten ins Herz. Und klare Stimmen. Und dieser Text: „Ich liebe die See und sie liebt mich auch, hörst du wie sie nach mir brüllt.“ Plattdeutsch geht mir ins Herz. Und wenn einer „Moin“ sagt – und zwar weil er von dort kommt. „Das Meer hat nicht die Antwort. Aber man vergisst dort die Frage.“ Das trifft es gut. Vielleicht ist mein zu Haus an der See. Wer weiß, warums mich dahin zieht.
Aber zurück zum Lied. Ich hör es mit Absicht, obwohl es mich unendlich traurig macht. Oder vielleicht deswegen. Das hatte ich das letzte Mal mit 16, dass ich absichtlich Musik höre, die mich traurig macht. Aber es ist gesund. Glaube ich. Als Teenager hat man ansc (Öffnet in neuem Fenster)heinend ein natürliches Gespür für Traumatherapie. Bis man es wegmacht und erwachsen wird und denkt man muss das Leben meistern und stark sein. Was Quatsch ist. Müssen, Leben meistern, stark sein. Quatsch. Dürfen und wollen. Leben. Und in der Schwäche wachsen. Besser. Von Traumatherapie hab ich damals noch lange nichts geahnt. Aber ich bin in den Schmerz reingegangen und hab ihn durchgefühlt. Und das tu ich jetzt auch. Wieder. Und mit dem Wissen, was ich da tue. Und dass es gut für die Seele ist. Kostet aber Zeit. Muss man wollen. Und viel Kraft. („Was machst du denn immer, dass du nie Zeit hast?“ - Vielleicht ist hier ein Teil der Antwort. Ich nehm mir Zeit fürs Heilen.)
Es fängt mit einem diffusen Gefühl an. Aus dem Nichts – das kannst du nicht planen. Und passt auch meistens nicht in den Zeitplan. Irgendwo in dir sagt eine Stimme: „Es ist was nicht in Ordnung. Es geht uns nicht gut.“ Und dann hast du die Wahl. Verdrängen. Ablen (Öffnet in neuem Fenster)ken. Wegmachen wollen. In Aktionismus ausbrechen. Und nichts wird sich verändern. Oder hinsetzen, atmen und reinfühlen. Das braucht Mut. Ich mach das seit einiger Zeit. Und es ist krass. Ungefähr der Kraftaufwand, wie wenn du eine vollgefüllte Massiv-Schrankwand aus dem 19. Jahrhundert alleine in die gegenüberliegende Zimmerecke schiebst. Oder einen 60-Stunden-Job machst, neben den beiden Jobs die du eh schon hast. Aber es ist auch richtig gut. Ich setz mich hin und frage: „Wer bist du, und was brauchst du?“ Und es kommt direkt eine Antwort. Heute kam: „Ich bin das verlassene Kind. Und ich brauch ein Zuhause.“ To hus. Und das fühl ich, und da spielt das Akkordeon dazu. Und ich steh im kalten Wind am Meer und wünsch mir, dass ich nach Haus komm in diesen warmen Raum mit Kaminfeuer. Und dass mir jemand eine Tasse mit heißem Kakao in die Hand drückt und mir eine warme Decke um die Schultern legt. Und dass ich meine eiskalten Füße am Feuer wärme. Und dass ich weiß, hier bin ich sicher, hier mag man mich. Hier darf ich einfach sein. Ich bin ich und bin da und alles ist gut.
Und dann überlege ich – wieso fehlte das bisher in meinem Leben? Und was ist es genau? Ich bin selbst ein zu Hause, war es lange. Hab es zumindest versucht, meinen Kindern eins zu sein. So gut es ging. Sogar meinem Mann. Der genauso ein einsames Kind war, wahrsch (Öffnet in neuem Fenster)einlich. Hab Wärme gegeben, und gleichzeitig war in mir drin eine leere kalte Fabrikhalle mit Neonlicht, in der ich verzweifelt versucht hab, ein kuscheliges Eckchen für mich zu finden. Aber das ändert sich jetzt. Jetzt geben mir meine Kinder ein zu Hause. Und die Musik. Und meine Arbeit im Seniorenheim. Menschen die mich wertschätzen. Und nein, es gibt nicht diese eine Person, die mir eine warme Decke um die Schultern legt. Es gab sie lange. Aber dann wurde die Decke weggezogen. Das war sehr schlimm. Weil der alte Schmerz wieder hochgekommen ist, und die Kälte und die Einsamkeit. Aber jetzt weiß ich, dass das, was gerade passiert, nicht das ist, was weh tut. Sondern das Alte. Und ich geh rein und fühle. Und merke, dass da etwas Neues ist. Etwas, das mir Geborgenheit gibt. Viele Menschen um mich, die mich mögen. Denen ich was bedeute, und sie mir. Nicht diesen einen Menschen, der alles für mich ist. Und wenn er weg ist, bricht alles zusammen. Sondern viele, die mir diese Decke sind. Jeder einzelne bringt einen kleinen Flicken mit. Ich bin so dankbar für jeden Einzelnen. Und zusammen wird es eine große kuschelige Decke, die sich wärmend um mich legt. Das ist schön. Das ist zu Hause. To hus. Ich arbeite dran.
