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Same same but different

Oder: Was ist schon normal?

(Den Text habe ich im Januar 2020 geschrieben. Die "Moral von der Geschicht" ist genauso auf die heutige Situation mit dem zig-ten Corona-Lockdown anwendbar.) 

Die Normalität ist eine gepflasterte Straße; man kann gut darauf gehen - doch es wachsen keine Blumen auf ihr.
Vincent Van Gogh

Manchmal wirft einem das Leben Ereignisse vor die Füße. Einfach so. Da können Sie gar nichts dran machen, außer mit den Folgen zu leben. Niemand ist gestorben oder so, meine Schwieger­mutter, Nellis eigentliche Katzenmama, hat eine Hüftprothese bekommen. Die Operation ist gut verlaufen. Alles prima. Dennoch hat die Rückkehr der alten Dame nach Hause für ganz schön Aufregung und allerhand Stress gesorgt. Vor allem für unsere Nelli.

Normalität ist eine Illusion

Schreckhaft war sie schon immer, unsere Mieze. Aber als der Taxifahrer die Patientin brachte, um­wabert noch vom Krankenhausgeruch, und all die komischen Sachen mitbrachte, wie den Rollator, da flüchtete sie. Beim kleinsten Geräusch zuckte sie zusammen, machte vor Schreck kehrt und jagte im Katzengalopp die Treppe hinauf unter unser Bett. Und dann die vielen fremden Menschen, die sich bei uns die Klinke in die Hand gaben, um der Schwiegermutter beim Ankleiden zu helfen, ihr neues Bett aufzubauen oder den Badewannenlift zu installieren. Das war überhaupt nichts für sie. Ihre Nerven lagen vollkommen blank. Stressresistent war sie ja noch nie, eher ein besonders zartes Seelchen, so jedenfalls mein Eindruck. Und jetzt wurde ihr das alles zu viel.

Eines Morgens, ich begrüßte sie in ihrem Schlafgemach und versorgte sie mit ein paar Streicheleinheiten, weil sie wieder einmal ihr Bettchen nicht verlassen wollte, fragte ich sie: „Wann wird das je wieder normal?“

Nelli rollte sich auf den Rücken und sah mich aus weit geöffneten Augen und mit Riesenpupillen an.

Nie, lautete ihre Antwort.

Normalität ist ein Zustand, in dem die Dinge ihren gewohnten Gang nehmen, in dem wir unseren Alltag mit den vielen kleinen Auf und Abs verleben, friedlich im Großen und Ganzen und ohne allzu heftige Störungen.

Bis es einen Einschnitt gibt, eine Veränderung - in diesem Fall die Operation meiner Schwie­germutter. So etwas bringt eine gefühlte Normalität ganz schön durcheinander. Und da wir nun mal mit dem Fluss der Zeit leben und es nur eine Richtung dabei gibt, nämlich vorwärts, kann es auch gar nichts „wieder normal“ werden. Die Frage, die ich Nelli gestellt habe, war deshalb unzulässig. Niemand von uns kann in die vorherige Nor­malität zurück, das kann sich jemand noch so sehr wünschen.

Neues Gleichgewicht

Was es aber geben wird, ist eine neue Normalität. Sowohl Nelli als geliebtes Katzentier als auch wir als Angehörige werden die veränderte Situation in unser Leben, unser Tun und Empfinden inte­grieren. Manche Dinge laufen jetzt anders als vorher. Während die Veränderung im Gange war, hat es hier und da im Gefüge geruckelt. Dabei hat jeder von uns neue Erfahrungen gesammelt, hat gelernt, ausprobiert, ist gescheitert oder war erfolgreich. Diese Erfahrungen sind jetzt Teil unseres Lebens. Unser Alltag findet allmählich in ein neues Gleichgewicht. Frieden kehrt wieder ein, eine neue Normalität. Irgendwie genau wie vorher, nur anders. Ohne diese Gabe der Anpassung, die es uns möglich macht zu lernen, wären wir Menschen als Spezies wohl niemals so erfolgreich geworden.

In Sachen Anpassung ist auch unsere Nelli eine Meisterin. Sie erschreckt sich leicht, aber sie kann Dinge, die ihr behagen, ganz schnell annehmen. Bereits einen Tag nach dem Aufbau des neuen Bettes hat sie dies als ihre Tagesschlafstatt auserkoren. Alles wieder ganz normal.

(Dieser Artikel erschien zuerst im April 2020 in der Zeitschrift OUR CATS.)

In diesem Sinne:
Finde deine eigene Normalität. Jeden Tag aufs Neue!

Andrea vom Atelier am Rain

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