Was ist DEIN Ding? (Kreativität Teil 2)
Mit Kunst habe ich nichts am Hut.
Zum Thema Kreativität habe ich dir ja eine Serie versprochen. Teil I über die Schöpferkraft (Öffnet in neuem Fenster) hatten wir schon, dann einen Exkurs darüber, wozu du dieses komische Ding “Kreativität” überhaupt brauchst, was du und alle Welt damit anfangen kannst: dass sie dir Macht verleiht nämlich und dass du deine Umwelt veränderst mit allem, was du tust oder eben auch nicht tust. Dass du eine Schöpferin bist, und dass du deine schöpferische Kraft in jeder Sekunde benutzt, auch wenn dir das alles gar nicht klar ist.
Heute soll es um die künstlerische Seite der Kreativität gehen, darum, was meistens unter diesem Begriff verstanden wird, wenn wir von Kreativität sprechen: vom Malen, Schreiben, Musizieren, Bildhauern, Schauspielern … von Dingen, die Künstler eben so tun.
Da winkst du ab. Das machst du alles nicht. Du bist vollkommen unkreativ. Mit Kunst hast du nichts am Hut!
Ist das wirklich so?
Die von mir hochgeschätzte Autorin Elizabeth Gilbert – sie hat das Buch „Eat, pray, love“ (Öffnet in neuem Fenster) geschrieben – sagt in meinem Lieblingsbuch von ihr („Big Magic“ (Öffnet in neuem Fenster)) sinngemäß: kreativ ist jemand, der ein Ding schöner macht, als es sein müsste. Ein Stuhl wird gebraucht, du baust einen, aber statt gerade Hölzer miteinander zu verleimen, baust du die Rückenlehne in einem Bogen oder verzierst sie mit Schnitzereien.
Findest du dich da wieder? Hast du schon einmal Blumen in einer Vase umarrangiert oder Tapeten für dein Zimmer ausgesucht? Schminkst du dich?
Dies sind Akte der Kreativität im Sinne von künstlerischer Tätigkeit. Denn es steckt ein Gedanke von Ästhetik darin: diese Tapete passt besser zu deinem Teppich als eine andere; wenn du zwischen die rosafarbenen Rosen ein paar weiße Margeriten steckst, kommen beide Blumen besser zur Geltung.
Wir wünschen uns Schönheit in unserer Umgebung. Wir machen uns die Wohnung schön, wir machen uns die Haare schön, jeder Gang zum Kleiderschrank, jedes Aussuchen, was wir anziehen wollen, besitzt diesen Aspekt der Ästhetik.
Jedes Kind ist ein Künstler!
Du musst gar kein Instrument üben oder auf der Bühne stehen. Du bist künstlerisch tätig – allein deshalb, weil du ein Mensch bist. Menschen können gar nicht anders. Wir sind kreativ, auch im Sinne von künstlerisch kreativ, und zwar von Geburt an. Machen wir uns das immer wieder bewusst: Wir sind für die Kunst geboren! Wir entscheiden uns nur, auf das intensivere Ausleben unserer künstlerischen Ader zu verzichten, wenn wir erwachsen sind. Ein Instrument zu spielen braucht Zeit. Wir müssen üben, diese Zeit nehmen wir uns nicht. Es ist mit Anstrengung verbunden. Die Energie wollen wir nach einem stressigen Tag im Büro nicht mehr aufbringen.
Es sei denn, du hast eine künstlerische Tätigkeit aus der Kindheit ins Erwachsenenalter hinübergerettet. Dann spielst du weiter Klavier oder Theater, weil es für dich wie Zähneputzen ist.
Denn Kinder sind Künstler. Das siehst du an deinen eigenen, oder? Wenn du keine hast, dann erinnerst du dich vielleicht daran, wie du als Kind vollkommen ohne jeden Selbstzweifel drauflos gemalt hast oder die Tasten ausprobiert, wenn da irgendwo ein Klavier stand. Nichts hält ein Kind davon ab, einen Dinosaurier zu malen – bis ihm jemand sagt: „so macht man das aber nicht, ein T-Rex sieht ganz anders aus“ oder „dein Bruder kann viel besser Klavierspielen als du, da hast dafür überhaupt kein Talent“.
Sätze wie diese sind oft der Tod jedes Vergnügens am kreativen Schaffen. Musik- und Kunstunterricht in der Schule, wo das Abgleichen von künstlerischen „Leistungen“ an irgendwelchen Normen an der Tagesordnung ist, stutzen das zarte Pflänzchen Kreativität so zurecht, dass es eingeht.
Der Tod der Kreativität in der Erziehung
Kein Talent? Schlechte Noten? Von wegen. Das alles sagt gar nichts. Wir haben es in uns, das Künstlerische, wir haben es nur vergessen. Jedes Kind auf der Welt nimmt irgendwann, wenn es die Möglichkeit dazu hat, einen Stift in die Hand und fängt an zu kritzeln.
Dabei machen alle Kinder überall auf der Welt dieselben Entwicklungsschritte durch, ohne Lehrer, ohne dass ein Elternteil ihm etwas gezeigt hätte. Auf dieselbe Weise entdeckt es auch die Musik, indem es auf etwas schlägt, in etwas hineinpustet, an etwas zupft.
Die Menschen in Lascaux vor 40.000 Jahren, die Ureinwohner in manchen Teilen der Welt … wer hätte ihnen beigebracht, mit Ruß und Ocker ihre Umwelt und ihr Erleben auf die Höhlenwände zu malen oder wie man ein Didgeridoo baut? Versuch und Neugier, Irrtum und Dranbleiben, mit diesen Zutaten haben Pigmente ihren Weg in den Leim gefunden und Geigen ihre heutige Form bekommen.
Kein Lehrer hat diesen Menschen etwas gezeigt.
Bin ich kreativ?
Diese Frage kannst du dir mit Fug und Recht mit Ja beantworten! Du bist im weiteren Sinne von Schöpferkraft kreativ und du bist in engeren Sinne von künstlerischen Tätigkeiten kreativ.
Du nimmst dir im Moment nur nicht die Zeit dafür oder hast noch nicht das gefunden, was dich interessiert, wo deine kindliche Neugier wieder erwacht, wo dein Vergnügen hingehen darf, die Tätigkeit, die du gegen Fernsehgucken eintauschen magst, bei der dein ICH seinen Ausdruck findet und dein EGO (bestehend aus Verpflichtungen, Anspruchsdenken, Erwartungen und Geltungsbedürfnis) abtaucht, damit du Momente des Flows erleben und einfach mal die Zeit vergessen kannst.
Was meinst du? Was könnte dein künstlerisches Feld sein? Womit hast du dich als Kind stundenlang beschäftigen können?
Die Antwort auf diese Frage bringt oft dasjenige Gebiet hervor, das ganz DEINS ist. Verleugne es nicht, integriere es in dein Leben. Und zeig der Welt, was DEIN DING ist. Deine Zufriedenheit, dein Glück, dein Seelenfrieden, deine Gesundheit werden es dir danken – und die Menschen, die du damit inspirierst. Denn das wird unweigerlich geschehen.
Für weitere Inspiration, was DEIN DING sein könnte, lausch mal Udo Lindenberg vorbei. Er rät jedem: Mach dein Ding! (Öffnet in neuem Fenster) (YouTube-Link)
Andrea aus dem Atelier am Rain
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