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Klick. Ffump. Vorbei.

Der Janbruar saust immer durch wie nix. Geht dir das auch so? So viel ist liegengeblieben. Mich hat die Begegnung mit einer Verwaltung ausgebremst, die ich bislang nur aus dystopischer Fiktion kannte. Verwaltung. Ver. Wal. Tung. Sag es ein paar Mal hintereinander und du wirst das Mantra steinzeitlicher Schamanen hören und wild maskierte wahrscheinlich Männer unter schepperndem Trommelklang im Kreis tanzen sehen.

Ver.Wal.Tend.ende (feel the rhythm), die, gepeitscht von einem digital gesteuerten Regelwerk, das ihnen, jedes Bedürfnis, nach kreativem Freiraum, ausgetrieben hat, zutiefst verdrossen, durch Formulare fräsen. Tagein. Tagaus. Die Maschine schläft nie. Und dann komme ich. Und will was verstehen. Was erreichen. Perspektiven ausloten. Nicht witzig. Weder für mich, noch für die Ver.Wal.Tend.End.Enden.

Ich versuche, in die Haut meines Gegenübers zu schlüpfen und nicht in Panik zu geraten. Das klappt bedingt. Ich verstehe immer weniger, meine innere Übersetzerin stockt und ich höre nur noch chinesisch. Sie hassen mich, was mach ich nur, kreist in meinem Hirn. Ich habe zwei Wochen gebraucht, um mich aus dem mentalen Overkill herauszuarbeiten. Falls du mit sozialphobischen Attacken vertraut bist, wirst du wissen, was ich meine.

Soweit der Alltag. Muss man durch. Deshalb gibt es heute einen Quartals-Newsletter. Lass mich dich entschleunigen. Lehn dich zurück. Erlaube dir, ein paar Minuten unnütz zu sein. Keine Leistungspunkte. Einfach nur Lesen. Im Moment sein. Om.

Übrigens: Das Stichwort »Bürokratie« erinnert mich an einen meiner absoluten Lieblingsfilme, nämlich ›Brazil‹ von Terry Gilliam (1985). Falls du diesen Film noch nicht gesehen hast, findet er sich im O-Ton hier (Öffnet in neuem Fenster) (höchst illegal wahrscheinlich, drum schnapp zu, bevor youtube den Link löscht).

Der Februar hatte uns kurz nach Berlin geführt, das war wundervoll. Obwohl. So schnell und laut habe ich Berlin noch nie wahrgenommen. Und so freundlich. Es war ein Highlight, dich, dich und dich zu treffen, zu umärmeln, zu schwatzen und durch eine der schönsten Städte der Welt zu cruisen. Dank dafür!

Geräusch des Monats 4/24: Als mich die Bahn in die Realität zurück beamte, am Hauptbahnhof in Berlin.

Der März verlangte ein blutiges Opfer. Meine Gallenblase modert jetzt in einem Müllsack. Nachschub für die Patho im örtlichen Krankenhaus. Keine Sorge, ist gut gelaufen. Immerhin habe ich Hilde kennengelernt. Hilde aus Plodda. Falls du das auf OpenMaps suchen möchtest: Plodda liegt zwischen Schlaitz, Krina und Schmerz. Im Bett rechts von mir hat Hilde Knie, sie ist frisch operiert, wie die Frau im Bett rechts von mir (Rücken) und ich (Galle). Hilde hat ihr Leben lang Schmerztabletten eingeworfen wie Smarties. Wir hatten ja nichts anderes. Jetzt wirken Schmerzmittel nicht mehr bei ihr. Fies. Hilde greint und wimmert. Die Bettnachbarin auf der anderen Seite knurrt, warum Hilde sich nicht zusammenreißen könne und beginnt dann fortgesetzt nach der Nachtschwester zu klingeln. "Sagen Sie es ihr, auf mich hört sie nicht." Genau, soll sie doch leise leiden, oder?

Ich staune still und möchte mich unter meinen Noise Cancelling Kopfhörern verstecken, komme aber nicht dran. Manchmal hilft mir ›Dungeons&Dreamers‹ in schlaflosen Nächten, die Fantasy-Geschichten hat der norddeutsche Psychotherapeut Lennart Bartenstein für Erwachsene entwickelt. Du findest sie bestimmt in deinem Podcast Player und hier im Netz:

https://www.radio.de/podcast/dungeons-dreamers-fantastisch-einschlafen (Öffnet in neuem Fenster)

Nach der dritten Klingelrunde sind dann drei Damen aufgemischt, Hilde, Frau im Bett links, Nachtschwester, alle drei sind richtig sauer. Die Autorin in mir frohlockt, jetzt wird es spannend. Die Nachtschwester, eine schmale, junge Person, spielt befreit von jener Empathie auf, die früheren Generationen ihres Berufsstands zu eigen war. Sie muss den Ver.Wal.Tungs.Kram nachholen, den die Kolleg:innen der Tagschicht nicht geschafft haben. Schreibarbeit. Wobei Patient:innen, zumal aufgebrachte, stören. Verständlich. Sie wahrt kritische Distanz, schlichtet verkniffen, mahnt Nachtruhe an. Aber Hilde muss aufs Klo und kann nicht aufstehen. Das Knie. Schwester Unwirsch schiebt Hilde eine Pfanne unter und verlässt wortlos die Szene.

Zwanzig Minuten und vier Mal Klingeln später zetert Hilde schrill. Sie kann sich nicht allein vom Topf befreien. Dame links eskaliert. Von rechts tönt tief aus dem Bauch: »Halts Maul, du alte Fotze, du weißt doch nicht, was Schmerzen sind.« Dame Links feuert Fremdsprachliches zurück, spickt Verwünschungen mit Blitzen. Hilde kontert: »Geh zurück in dein Land, wo auch immer du herkommst, du Miststück.« Mit einem schnellen Blick vergewissere ich mich, dass Hilde nicht dämonisch fluchend über ihrer Matratze schwebt. Aber nein, sie liegt und murrt leise »Nichts gegen Ausländer aber.« Links klingelt Sturm. Endlich hat die Nachtschwester den Kaffee auf. Sie rauscht ins Zimmer, löst die Bremsen am linken Bett und schiebt es längsseits auf den Gang zu anderen Betten, in denen kranke Menschen friedlich schlummern. Mit sanftem Fffump fällt die Tür zu.

Hallo, die Pfanne? Unverdientes Leid trifft auf dramatisches Talent. Minuten lang zappelt Hilde jammernd auf Metall, der Inhalt des Topfs ist ihr längst ins Bett geschwappt. Ich kann nicht helfen, mein Kreislauf macht nicht mit. Wir warten. Studieren die Lichter der Stadt am schwarzen Horizont. 6. Stock, die Aussicht ist ja spektakulär. Hilde beruhigt sich etwas. Bis der Lichtschalter klickt, Festbeleuchtung. Die Nachtschwester befreit die wehrige Patientin widerwillig, wechselt ihre Unterlage, findet ein frisches Nachthemd und ein paar steife Worte.

Klick. Fffump. Es ist weit nach Mitternacht, dunkel und still wie ein schwarzes Loch im Universum. Für zwei Minuten, nach denen ich entschieden habe, die Nacht mit Hilde durchzustehen und mein Leselicht anzuwerfen. Ich glätte jede Wallung bis zur morgendlichen Blutdruckmessung, fühle mit, bringe Hilde sogar zum Lachen und mich auch. Nicht witzig, sagt mein frisch geschlitzter Bauch. Ho Ho Ho.

Nein, ich bin kein freundlicher Mensch, aber allgemein so gut durchtraumatisiert, dass ich in Ohnmachtssituationen rosarote Wölkchen pupse, die mein Umfeld harmonisch vernebeln. Reiner Selbstschutz. Man könnte es auch Opportunismus nennen. Oder Solidarität. Oder Stockholm-Syndrom, worunter der Volksmund eine psychische Störung versteht, die vorwiegend Frauen in Notsituationen irrational handeln lasse, indem sie sich loyal zu ihren Peinigern verhalten. Frauen handeln schließlich immer irrational, das sieht man ja beim Einparken, ne? Dabei soll der Erfinder des Stockholm-Syndroms, der schwedische Polizeipsychologe Nils Bejerot, in Verhandlungen mit Geiselnehmern so eifrig um die Gunst der Presse gebuhlt haben, dass den am Überleben interessierten Geiseln rational nichts anderes blieb, als sich mit den Geiselnehmern gut zu stellen. National Geographic hat die Geschichte des Begriffs beleuchtet:

https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2023/12/gibt-es-das-stockholm-syndrom-wirklich-psychologie-kriminalitat (Öffnet in neuem Fenster)

Solltest du dich für Psychologie interessieren, empfehle ich den Stefanie Stahls Podcast für Normalverrückte: ›So bin ich eben‹ …

https://www.youtube.com/playlist?list=PLRvYzc4dwIEE9kDIe0Zh9zdbIjt1bQ9BZ (Öffnet in neuem Fenster)

Je nun. Hilde ist nur zwei Jahre älter als ich, frühverrentete Friseurin mit, siehe oben, kurzer Zündschnur. Sie hat mir von ihren Kindern erzählt, von ihrer alten Arbeit, der neuen Wohnung, von kleinem Glück und großem Kummer. Am Morgen kommt mir mein Leben vor, wie Ponyschlecken oder Zuckerhof oder wie das heißt. Natürlich habe ich für mich behalten, dass Hilde als Schablone für eine ebenso empfindliche wie hartleibige Frauenfigur in mein Charakterschäppchen wandert. Als der Kaffee kommt, haben wir einander ehrlich lieb. Hilde kriegt einen Schuss Dipidolor obendrauf und ich kann schlafen, bis die Physio kommt, um sie zu mobilisieren. Was irgendwann eine kurzweilige Geschichte werden kann vom Kreide fressenden Hulk und der quietschenden Hilde. Süß, die beiden. Die andere Bettnachbarin hat im Zimmer nebenan Frieden gefunden. Zwei Tage später darf ich nach Hause.

Du magst es prinzessinnenhaft finden, dass ich in meinen Begegnung des ersten Quartals eine Besorgnis erregende Verrohung wittere. Aber Prinzessinnen haben es auch nicht leicht. Der vierteilige englischsprachige Podcast des New Yorker, ›The Runaway Princesses‹, erzählt zum Beispiel, warum die Töchter des regierenden Scheichs ihr Leben riskierten, um aus ihrem Elternhaus in Dubai zu fliehen.

https://www.newyorker.com/the-runaway-princesses (Öffnet in neuem Fenster)

Janbrumar, auch schon vorbei. Bin ich zu langsam oder ist die Welt zu schnell? Ich lasse Fäden ziehen, finde das Tempo meiner Genesung völlig in Ordnung und beschließe, mich nicht mehr hetzen zu lassen. Gar nicht so einfach. Om.

Immerhin habe ich meinen rebellischen Geist wiedergefunden: »Macht kaputt, was euch kaputt macht«, war die Hymne meiner verhuschten Jugend im ostwestfälischen Nirgendwo. Ein Befreiungsschlag, es klang so einfach.

›Musik ist eine Waffe – Die Geschichte von Ton Steine Scherben‹ erzählt von der besten deutschen Rockband ever in acht Folgen. Zu finden in deinem Podcast Player oder schau hier in die ARD-Audiothek

https://www.ardaudiothek.de/sendung/musik-ist-eine-waffe-die-geschichte-von-ton-steine-scherben/13224183/ (Öffnet in neuem Fenster)

Gegen den Strom zu schwimmen, ist heute so wichtig wie nie. Lässt sich das überhaupt noch verdrängen? Vielleicht kannst du noch einen Moment in deinem Leben ausmachen, wo dich ein Ereignis in Versuchung brachte, ins »Erwachsene« zu wechseln und möglichst nachhaltig zu vergessen, wie politisch das Private sein kann. Hast du so einen Punkt? Bei mir war es der NATO-Doppelbeschluss 1979. Vollgesogen mit den humanistischen Idealen meiner Kindheit, an deren Widersprüchen im gelebten Alltag ich allein schon fast zerbröselt bin, entscheidet sich eine damals sozialdemokratisch geführte Bundesregierung für atomare Aufrüstung zur Sicherung des Friedens in Europa. Hä? Zerstörung und Gewalt schafft Frieden? Wer glaubt denn sowas? Außer den paar Leuten, die an Waffen unanständig viel Geld verdienen. Viele offenbar. Ich konnte es nicht fassen und beschloss, niemals erwachsen zu werden.

Hauptsache »kriegstüchtig«. Wiederholt sich die Geschichte? Marx sagte, nein, es sei denn als Tragödie oder Farce.

Ich hoffe einfach, dass Jüngere es besser hinkriegen. Mögen Fridays for Future, mögen Friedensbewegung und Klima-Aktivisti niemals an den Punkt kommen, wo sie ihr Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verlieren. Obwohl: Im rheinischen Braunkohlerevier dürfte es vor gut einem Jahr einige gerissen haben. Und es ist Gewalt, die den möglicherweise irreparablen Schaden angerichtet hat. Diesmal Polizeigewalt. Auch nicht neu, aber für viele junge Menschen war die Räumung Lützeraths eine existentielle Erfahrung.

›Verletzte Generation‹ ist ein Hörspielpodcast mit frei erfundenen Protagonist:innen, der auf wahren Begebenheiten während der Klimaproteste in Lützerath beruht. Die Geschichte wird aus drei Blickwinkeln erzählt, dem einer Aktivistin, einer Polizistin und eines Journalisten. Link zu podcast.de (Öffnet in neuem Fenster)

Eine Einschätzung des ›Komitee für Grundrechte und Demokratie‹ zu den Polizeieinsätzen während der Räumung liegt hier: PDF (5,5 MB) (Öffnet in neuem Fenster)

In besagter Nacht haben Hilde und ich auch über Politik gesprochen. Vielmehr über ihre abstruse Abneigung gegen Außenministerin Baerbock. Weil sie Trampolin springt? Ach was. Ja, was genau stört dich denn? Sie könne der dummen Kuh einfach nicht aufs Fell gucken. Aha.

Termine

Digitales CoWorking über BigBlueButton läuft werktags durch. Steckst du in einer strukturschwachen Phase? Hol dir den Kick am Morgen für einen gelingenden Tag! Link auf Zuruf: post@aigiko.de (Öffnet in neuem Fenster)

Rückblick

Ich habe meine Lesung aus der Judenbuche von Annette von Droste-Hülshoff Mitte März mitgeschnitten. Nicht mikrofoniert und vor überwiegend älterem Publikum musste ich im Heimatverein Schildesche mit ordentlich Stütze über die Rampe ballern. Es war mir ein Fest! Hör gern mal rein.

Triggerwarnung: Der hebräische Satz ist mir misslungen. Ich hatte ihn aus einer Umschrift in lateinische Buchstaben einsprechen lassen, ihn so gelernt und den Klang des Originals erst kurz vor der Lesung gehört. Mein Hirn hat versagt, es tut mir leid :(

Ausblick

Ich werde das digitale CoWorking zuspitzen auf ›Kollegiale Beratung und digitales CoWorking für soloselbständige Künstlerinnen‹. Preview: »Seinen Job jeden Tag easy und lustvoll anzugehen, scheint immer nur anderen zu gelingen? Nur du haderst mit scheinbar kleinen Erledigungen, schiebst Entscheidungen vor dir her und verhedderst dich in Widerständen? Es mag dich überraschen: Du bist nicht allein« ...

KickOff in Kürze über Social Media – Verbinde dich mit mir auf instagram / aigiko2

Beim Schreiben gehört: Ton Steine Scherben, Keine Macht für Niemand

https://www.youtube.com/watch?v=9gHEhmhmjj8&list=OLAK5uy_ldJCX_XtPb8SgdYESSBtX4kEWU72Jee30&index=2 (Öffnet in neuem Fenster)


Bleib der Welt gewogen!

Aiga

PS. Antworte gern auf diese Mail, ich freue mich über Feedback.

PPS: Falls dir mein Newsletter gefällt, leite ihn gern an Freund:innen weiter. Gefällt dir mein Newsletter nicht, dann schick ihn deinen Feinden.

https://steady.de/aigiko (Öffnet in neuem Fenster)

PPPS. Dieser Newsletter entsteht KI-frei – Weil ich die netten Dinge lieber selbst mache.







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