Mehr Alltag und weniger fromme Formeln?
Herzlich willkommen an meinem "kleinen Tisch" hier im Internet!
Wenn du diesen Blog liest, dann besteht die große Chance, dass du in einem christlichen Milieu mit seinen ganz besonderen geistlichen Disziplinen groß geworden bist, die Menschen ohne diesen Hintergrund befremdlich finden könnten:
Am Morgen in der Bibel lesen, beten und seine klugen oder doch meist eher mittelmäßigen Gedanken notieren. Sonntags in den Gottesdienst gehen. Unter der Woche einen Hauskreis besuchen, mit anderen gemeinsam Worshiplieder singen. Beim Beten die Augen schließen. Sich an den Maßstäben Jesu versuchen auszurichten.
Und wenn du nicht aus diesem Milieu stammst, dann werte diesen Blogpost als Erweiterung deines Horizonts (aaaah, was für Menschen es auf diesem Planeten gibt!)
Ich habe zwei Probleme mit diesen Disziplinen (die durchaus wertvoll sind): Sie können dazu führen, dass man sich paradoxerweise zu wenig mit dem Nächsten und Gott beschäftigt, sondern zu sehr mit sich selbst: Glaube ich genug? Glaube ich richtig genug? Glaube ich kompromisslos genug?
Und das Zweite resultiert aus dem Ersten: Ich müsste eigentlich. ICH-MÜSSTE-EIGENTLICH!
Ich müsste eigentlich mehr Zeit mit Gott verbringen, mehr beten, mehr lieben, mehr dienen, mehr Lobpreis machen, öfter in den Gottesdienst gehen und weniger sündigen.
(Dabei ist ja schon das normale Leben vollgepackt mit ICH-MÜSSTE-EIGENTLICHS: Ich müsste eigentlich öfter Sport machen. Ich müsste eigentlich meinen Social-Media-Kanal besser pflegen. Ich müsste eigentlich früher ins Bett. Ich müsste eigentlich meine Kontakte pflegen. Ich müsste eigentlich mehr Geld verdienen. Ich müsste eigentlich die Fenster putzen. Ich müsste eigentlich disziplinierter, netter, aufmerksamer und sexier sein.)
Stell dir vor, du würdest eine Weile all diese frommen Disziplinen fasten.
Das wäre ein gewagtes Experiment, nicht wahr?
Aber es könnte mit ziemlicher Sicherheit dazu führen, dass wir Gott plötzlich an den unmöglichsten Orten suchen und finden. Vielleicht auf den Seiten eines Gedichtbandes oder eines russischen 1000-Seiten-Romans. Vielleicht im Gesicht des Junkies, der mich an der U-Bahn-Station jeden Morgen anbettelt. Vielleicht in dem Morgennebel eines Novembertags oder in einer Handvoll Himbeeren? Vielleicht in einem Kinderlied oder einer warmen Scheibe Brot mit Butter? Vielleicht am Bett eines Sterbenden oder eines Neugeborenen? Vielleicht an der Nähmaschine oder im OP-Saal?
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