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Die Olivetti Valentine

Es ist praktisch unmöglich, in einem Beruf mehr inneren Aufwand mit weniger äußerlicher Aktion zu verbinden als beim kreativen Schreiben. Man bewegt die Finger ein bisschen, höchstens Zentimeter weit, während man im besten Fall den Lauf der Welt verändern, oder wenigstens eine einzige Leserin oder einen einzigen Leser zum Lachen, Weinen oder Nachdenken bringen will; eine Delle im Universum hinterlassen, mit dem sanften Druck der Finger auf einer Tastatur. Für mich ist es bis heute ein Wunder, dass es so etwas gibt wie mich (ich lebe inzwischen den längeren Teil meines Lebens davon), und irgendwo in meiner Vorstellung ist Schreiben nach wie vor das Großartigste, was es gibt. Es ist mein Beruf, mein Hobby, die einzige Art, mich wenigstens halbwegs konzentrieren zu können; meine Art zu versuchen, mit der Welt in Kontakt zu sein. Aber natürlich ist es furchtbar. Es ist einsam, chaotisch, unbefriedigend und macht dick. Und unsicher. Schreiberinnen und Schreiber haben keine Wand zwischen ihrem innersten Ich und der Welt, wenn sie es ernst meinen. Man träumt von einem Buch, weil da wenigstens ein Objekt ist, das durch seine schiere Existenz einen Wert hat, weil da sonst nur körperlose Worte wären.

Das Ding, über das ich sprechen möchte, ist eine Scheibmaschine, konkret eine „Valentine“ des italienischen Herstellers Olivetti, entworfen von Ettore Sottsass und mit einiger Wahrscheinlichkeit die berühmteste Schreibmaschine der Welt. Ich behaupte, sie ist außerdem das einflussreichste Designobjekt meiner Generation, obwohl sie vor meiner Geburt entworfen wurde. Olivetti baute sie schon 1968, aber sie hat zwei Dinge vorweg genommen, die für die Generation X ff. prägend wurden: Sie befreite zunächst die Arbeit vom Büro, der Werbespruch lautete sogar in etwa „Für alle Orte außer dem Büro“, und zweitens machte sie aus dem Arbeitsgerät ein Designobjekt (Olivetti gilt in dieser Hinsicht als Vorbild von Apple), eine Entwicklung, ohne die es meiner Meinung nach nie „Digitale Nomaden“ hätte geben können, denn es war ja nicht immer schon ausgemacht, dass meine Generation „überall arbeiten“ als Freiheit begreift, es hätte ja auch „weniger arbeiten“ sein können. Dass es anders kam liegt meiner Meinung nach nicht unwesentlich an Jonathan Ives Designs bei Apple, und unabhängig von Dieter Rams glaube ich, man sieht eine direkte Linie von der Valentine zum ersten iBook. Aber das ist eine Diskussion für einen anderen Tag, denn tatsächlich gibt es bei allen Gemeinsamkeiten die große Trennende: Eine Valentine beschreibt immer gerade ein – genau ein –  Blatt Papier.

Für mich als Menschen, der schreibt, ist eine mechanische Schreibmaschine zunächst einmal nicht besser oder schlechter als die anderen Werkzeuge, die ich zur Verfügung habe. Ich schreibe – offensichtlich – normalerweise an einem Computer, und die Vorteile sind eindeutig. Die Nachteile aber auch. Durch das Drücken einer Taste auf eine Schreibmaschine löse ich einen Prozess aus, den ich verstehe oder zumindest verstehen könnte, und ich schaffe dadurch ein Werk, dass ich anfassen kann. Zwischen mit und den leuchtenden Punkten auf dem Bildschirm eines Macbook Pro liegen dagegen unzählige Schritte, die ich ehrlicherweise nicht verstehe, und die, wenn ich anfange, darüber nachzudenken, dazu führen, dass ich das, was ich sehe, als ein Vorgaukeln von etwas empfinde. Es sieht aus wie schwarze Schrift auf einem weißen Blatt Papier, aber das ist es nicht. Das muss nicht schlecht sein, aber ich mag es immer weniger, je mehr Gespräche ich über Zoom führe. Mein Wunsch danach, etwas Echtes zu schaffen, trifft auf das immer drängender Bedürfnis, etwas Wahres zu erleben. Ich verstehe, nutze und genieße die Vorteile des Virtuellen, aber ich wünsche mir immer mehr, dass es Dinge gibt, die das sind, wonach sie aussehen, und die sich auch so anfühlen. 

Die Valentine ist auch deswegen ein so gutes Beispiel für diese Fragestellung, weil sie so anders ist als das, was vor und nach ihr kam. Sie ist eine Reiseschreibmaschine, gemacht dafür, in ihrem genialen Transportkoffer mitgenommen zu werden wie eine Handtasche, und schon deshalb abgespeckt. Ihr leichter Kunststoffkorpus verzichtet auf Überflüssiges wie eine Abdeckung der Farbbandrollen, selbst der Transporthebel ist klein und fein, die Gummirolle deutlich schlanker als bei Maschinen, die für einen festen Standplatz vorgesehen waren. 

Es ist kein luxuriöses Schreiben, das sie ermöglicht,  und das verändert den Prozess erheblich, mehr als es das Schreiben auf einer Schreibmaschine ohnehin tut, weil man nur sehr viel umständlicher korrigieren kann und deshalb länger denkt und weniger tippt. Man wird deutlich ökonomischer, was je nach Stil und schreiberischem Temperament tatsächlich auch heißen kann: besser. 

Ich gehe auf der Schreibmaschine mit Buchstaben um wie The Edge, der Gitarrist von U2, mit Noten: Jede einzelne wird wertvoller, deshalb nutze ich so wenige wie möglich, oder hoffentlich sogar nur so viele wie nötig. Gleichzeitig erlebe ich mehr – den Klang der Tasten, die Bewegungen, die größer und vielfältiger sind, den Wechsel des Papiers, und vor allem: Je nachdem, wie stark ich tippe, verändern sich die Buchstaben auf dem Blatt, werden dunkler, breiter, härter. Unterschiedliche Handlungen haben unterschiedliche Ergebnisse – eine sehr natürliche Erfahrung. Es gibt das Einstein zugeschriebene Zitat, nachdem die Definition von Schwachsinn sei, wiederholt das gleiche zu tun und dabei unterschiedliche Ergebnisse zu erwarten. Beim Tippen auf meinem Laptop ist es genau anders herum: Ich tippe mehr oder weniger hart, erhalte aber das gleiche Ergebnis. Es ist winzig, aber erstaunlich mächtig, es anders zu erleben.

Nach der Valentine kamen bald elektrische Schreibmaschinen auf den Markt, die diese Unterscheidung ausmerzten und nebenbei dafür sorgten, dass die Valentine zwar berühmt und Teil der Sammlung des MoMA ist, aber kein riesiger Verkaufserfolg wurde. Das macht sie heute auf dem Gebrauchtmarkt teurer, als sei ein müsste, aber warum nicht mal wert in Geld ausdrücken?

Der wichtigste Unterschied zum Computer ist aber noch einmal ein anderer: Das Nicht-löschen-können. Was einmal geschrieben ist, bleibt – existiert aber auch nur dieses eine Mal, es ist also gleichzeitig viel ewiger und viel verletzlicher als das, was ich in diesen Computer tippe in der Hoffnung, dass es irgendwie, irgendwo gespeichert wird. Das eine Blatt Papier ist auf merkwürdige Art ein Werk, so als ginge es nicht um den Inhalt, sondern um die Gestalt. Das Ding. Um das, was ich halten kann. Und manchmal stimmt das. 

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