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Der CareGap beginnt im Kinderzimmer

Rückblick auf die Spielwarenmesse 2023 mit glitzernden Puppenmuttis und lachenden Männern zwischen pinken Regalen

Vergangenes Wochenende waren wir auf der Spielwarenmesse in Nürnberg, und dort auf der Suche nach Firmen, die auf Vielfalt und Wahlfreiheit setzen. Und ja, es gibt eine ganze Reihe von Unternehmen, die ihre Produkte an "Kinder" vermarkten und auf Geschlechtertrennung in der Ansprache verzichten. Man findet sie vor allem in den Hallen, in denen Bausätze und Steckspiele ausgestellt werden, im Outdoorbereich und bei den Holzspielwaren. Wenn nicht der positive Eindruck direkt wieder weggewischt wird durch Fotos von aktiven Jungs und verträumten Mädchen. Leider ist ausgerechnet die bunte Auswahl zum Beispiel von Kindergeschirr, Taschen&Rucksäcken oder Möbeln unter einem Pastell-Schleier versteckt. Beige und Matt ist Mode, farbenfroh ist keine Selbstverständlichkeit. Am wenigsten in den Hallen "Puppen & Plüsch" und "Baby & Kleinkindartikel". Hier hat sich derart wenig aus der Rosa-Hellblau-Falle heraus entwickelt, dass wir immer noch hoffen, die fortschrittlichen Unternehmer*innen nur nicht entdeckt zu haben an dem einen Tag, der nicht ausreicht, um mit genug Aussteller*innen ins Gespräch zu kommen. Am beeindruckendsten fanden wir, wie sehr viele Männer teilweise in Gruppen einen Stand betreuen, an dem es Produkte gibt, die sich voll Glitzer und Blass-Rosa nur an Mädchen richten. So klein die Rolle der Männer im Kinderzimmer und in der Care-Arbeit nach wie vor ist (der Care-Gap liegt bei 80%), so groß ist sie, wenn es ums Verkaufen von pinkem, klischeehaftem Spielzeug geht. Und ja, da spielen eigene Prägungen auch mit rein, aber es irritiert schon sehr, wenn drei Männern laute und kehliges Fußball-Lachen verbreiten, während sie in ihrem Messestand sitzen, der voll ist mit rosa Nagelstickern, Make-up für Vorschulkinder, glitzernden Mini-Rucksäckchen und großäugigen, dünnen, wenig bekleideten Püppchen im Handtaschenformat. Der Kontrast ist einfach zu heftig und sehr gerne würden wir sie alle am liebsten in Gespräche verwickeln über ihre Vorstellung von Geschlechtergerechtigkeit. Aber wir brauchen ja auch noch Pläne fürs nächste Jahr, denn es steht schon fest, dass wir wieder hinfahren werden. Wir gruseln uns offenbar gerne :D  
(Einige Bilder vom Sonntag gibts auf unserem Instagram-Kanal @rosahellblaufalle (Opens in a new window))

Fazit:

es gibt von unserer Seite zu dem Thema nicht viel Neues zu berichten, sondern es geht immer noch darum, das Problem als solches zu vermitteln, denn die meisten haben sich noch nicht damit befasst. Deshalb folgt hier eine Passage, die zuerst in unserem Buch 'Equal Care' (Opens in a new window)erschienen ist, über 

Hintergrund:

Ausschnitt aus: Schnerring / Verlan. Equal Care. Über Fürsorge und Gesellschaft. Berlin 2020. ISBN: 978-3-95732-427-6. 

Gendermarketing und die Macht der Bilder

Im Gegensatz zu ihren Brüdern bekommen die meisten Mädchen ganz selbstverständlich eine und nicht nur eine Puppe, mit der sie dann allein oder mit Freundinnen und Schwestern spielen können. So scheint es vorgedacht zu sein, wenn frau•man sich Kataloge, Werbung und Verpackungsdesign anschaut: Vielleicht findet sich da irgendwo ausnahmsweise am Rand ein Junge mit im Bild, angesprochen im Text werden aber ausschließlich Mädchen, die »Puppenmuttis«. Sie sollen Mutterschaft spielerisch nachempfinden – und sich offenbar schon einmal einfühlen, wie später ihre Realität aussehen wird mit eher abwesenden Vätern. Möglicherweise ist der Puppenvati (eine Vokabel, die im Spielzeugmarketing nicht genutzt wird) gerade auf Arbeit, und deshalb nicht da, weil er sich um das Familieneinkommen kümmern muss. Vielleicht haben sich die Puppeneltern aber auch getrennt, und sie spielt alleinerziehend und auf sich gestellt. Ein Wechselmodell, wie es gerade in der Erwachsenenwelt diskutiert wird – oder gar ein Nestmodell – scheint zu kompliziert für die Spielewelt, das müssten die Puppenmuttis schon selbst erfinden und einfordern von ihren Brüdern und männlichen Spielkamerad•innen.

Es gibt zahlreiche Studien, die nachweisen, wie sehr dieses nach Geschlecht getrennte und vorsortierte Spielwarenangebot die Entscheidungsfreiheit von Kindern einschränkt und sie in der Entwicklung und Ausbildung ihrer Interessen lenkt. Und der Einfluss auf die Kinder durch Außenwerbung, Smartphones und Social Media hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter vergrößert.

Doch wer Gendermarketing kritisiert und mit dem negativen Einfluss auf Kinder argumentiert, erfährt aus Vertrieb- und Marketingabteilungen, dass hier nur die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Kund•innen erfüllt werden, in dem Fall von Kindern. Und der Umsatz gibt ihnen scheinbar recht, es wird gekauft, sonst gäbe es das geschlechtergetrennte Angebot ja nicht. Doch die Tatsache, dass Firmen Unsummen investieren, um zu erfoschen, wie durch Werbung neue Bedürfnisse geschaffen werden können, die es vorher noch gar nicht gab, wird in dieser Debatte gerne unter den Tisch gekehrt. Dass das angeblich angeborene Bedürfnis von Mädchen nach Puppen auch dann befriedigt würde, wenn Puppen als »Kinderspielzeug« angeboten und nicht pink gelabelt und durch Bildsprache und Einordnung in die »Mädchenabteilung« von Jungen ferngehalten würden – egal. Das Spielwarenangebot hält an traditionellen Rollenbil- dern fest und reproduziert gesellschaftliche Verhältnisse und eine stereotype Aufgabenverteilung, die viele Familien längst hinter sich gelassen haben und die in anderen noch nie so aussah. Und selbst wenn das eigene, traditionelle Bild als Vorlage dient, wel- che Verantwortung trägt die Medien- und Konsumgüterindustrie, und wo liegt ihre Vision? Wie wäre es, wenn wir Kindern anböten, ab und zu eine bessere Welt zu spielen, kein kitschiges Idyll ohne Streit und Konflikte, sondern die Utopie eines gleichberechtigten gesellschaftlichen Zusammenlebens, in dem alle entdecken können, was in ihnen steckt, wofür sie sich interessieren, was sie gut können? Möglicherweise stellten wir dann fest, dass alle wichtigen Bereiche und Aspekte des Lebens abgedeckt werden, freiwillig und von Menschen, die ihre Aufgaben wirklich gern übernehmen.

Doch stattdessen reproduziert Werbung Rollenbilder so, als hätte es nie eine Frauenbewegung gegeben. Es ist immer wieder ernüchternd zu sehen, welche Angebote Jungen in Werbespots, in Prospekten und auf Verpackungen gemacht werden und welche Rolle für Mädchen vorgesehen ist: Was kann er alles erleben und entdecken, solange sie in der Puppenküche steht – und ihm den Rücken freihält? Welche berufliche Vielfalt wird Jungen vorgestellt, während Mädchen in ein Prinzessinnenkostüm gezwängt werden? Wie vielfältig und spannend sind seine Spielwelten, wie eingeschränkt das Angebot für Mädchen. Ist das die Kernaussage, die wir Mädchen mit auf ihren Weg in eine selbstbewusste Zukunft geben wollen, dass sie schön und niedlich, liebevoll und zurückhaltend sein sollen? Und dass ihr vorbestimmter Platz die Küche sei?

Ja, Unternehmen müssen Gewinne machen, sich von der Konkurrenz abheben. Und durch die Aufspaltung der einen Zielgruppe Kinder in die zwei Zielgruppen Jungen und Mädchen lassen sich die Umsätze steigern, denn die Eltern sollen Spielzeug zweimal kaufen, einmal in hellblau, einmal in rosa. Dies wird funktionieren, solange Familien bereit und in der Lage sind, dem kleinen Bruder ein neues Fahrrad zu kaufen, weil das der großen Schwester so übertrieben süß-pink-glitzernd ist, dass ihm das als Junge nicht zugemutet werden kann. Doch warum wollte die Tochter damals unbedingt diese rosa Version von Fahrrad, Bett oder Schulranzen haben? Vielleicht auch, weil alle anderen Mädchen ähnliche Fahrräder hatten, weil sie dazugehören wollte und weil es ohnehin kaum eine neutralere Auswahl mehr gibt.

Ist es vertretbar, dass in den Spielwelten, die für Mädchen vorgesehen sind, Abenteuer und Technik eine so kleine Rolle spielen? Und sich alles um Schönheit und Haare, kleine Felltiere und Magie dreht, um Prinzessinnen und Pferde? Kinder wollen nicht einfach nur spielen! Kinder erkunden spielerisch die Welt, fühlen sich ein, und was sie spielen (sollen), lenkt ihre Interessen und prägt wesentlich die Vorstellungen, die sie sich von ihrer eigenen Zukunft machen. Und wenn sie nie angeregt wurden, im Spiel auf den Mars zu fliegen, Außerirdische zu entdecken und eine Rakete zu bauen, wenn sie Schminkköpfe, Puppenhäuser und Laufstege geschenkt bekommen, dann ist der Traum, Astronautin zu werden, natürlich weiter entfernt als der des Models oder der Beauty-Influencerin. Wünschen sich die Unternehmen der Spielwarenindustrie tatsächlich eine neue Generation von Hausfrauenmüttern, die die Küche als ihren angestammten Ort sieht? Ihre Kataloge lassen genau das vermuten. Wenn hier reale Welten (jenseits der märchenhaften Prinzessinnenwelten) mit Mädchen abgebildet werden, dann beim Kochen, Wickeln oder Haare Kämmen – Rollen im Haushalt. Eine breite Auswahl an Berufen wie in den Spielewelten für Jungen gibt es auf den rosa Seiten nicht. Und trotzdem behaupten dieselben Unternehmen in ihren Stellenausschreibungen, dass sie sich selbstbewusste, technisch interessierte und führungsstarke junge Frauen wünschen. Wenn das stimmt, dann ist es höchste Zeit, dass die Spielzeugindustrie ihre Mitarbeitenden aus Personal, Entwicklung und Marketing diesen Widerspruch diskutieren und auflösen lässt.

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