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Ende Gelände, Verfassungsschutz und der Extremismus der Verdrängungsgesellschaft

(Quelle: https://umweltzoneberlin.de/2016/05/21/ende-gelaende-augenzeugen-berichten/ (Öffnet in neuem Fenster))

Liebe Leute,

natürlich war es Zufall, ein richtiger, echter Zufall, dass der Tag, an dem die Klimakatastrophe in Deutschland das Sanctum Sanctorum angriff – den Fußball und das Volk: wegen Unwettergefahr wurden Fanmeilen in Dortmund, Leipzig und Berlin für den Abend gesperrt – auch der Tag war, an dem der immer wieder für spannende Schlagzeilen sorgende Inlandsgeheimdienst der BRD in seinem Jahresbericht 2023 die bisher für Linksradikale immer ziemlich freundlich behandelten Klimaaktivist*innen von Ende Gelände kurzerhand zum linksextremistischen Verdachtsfall erklärte. Ganz so eng greifen “Wetter” und “Politik” nicht einmal in der Klimakatastrophe ineinander.

Aber nur, weil die Gleichzeitigkeit ein Zufall war, bedeutet das nicht, dass wir sie nicht als Symbol dafür analysieren können, was passierte, als der Verfassungsschutz entschied, Ende Gelände plötzlich zu kriminalisieren: hier bestätigt sich das, was ich vor über zwei Jahren vorhergesagt habe, dass die Radikalisierung der Klimakrise notwendigerweise zur Radikalisierung der Repression gegenüber der Klimabewegung führen würde, völlig unabhängig davon, ob wir selbst unsere Aktionen radikalisieren (Öffnet in neuem Fenster).

An Ende Gelände liegt's nicht

Aber bevor ich in die ökofreudomarxistische Deutung des Verfassungsschutzberichts als Projektionsakt einer allenthalben scheiternden Verdrängungsgesellschaft einsteige, sollte ich mich vermutlich zuerst mit der etwas offensichtlicheren These auseinandersetzen, die besagt, dass Ende Gelände kriminalisiert wird, weil ihre Aktionen krimineller werden, weil die Gefahr, die Ende Gelände für die freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellt, gestiegen ist. So zumindest sieht das der Verfassungsschutz (Öffnet in neuem Fenster):

In Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols und vor dem Hintergrund vermeintlich ausbleibender klimapolitischer Erfolge bei gleichzeitigem Festhalten an apokalyptischen Endzeitnarrativen werden dennoch auch weitergehende Begrifflichkeiten wie 'ziviler Ungehorsam plus' und 'friedliche Sabotage (Öffnet in neuem Fenster)' diskutiert. Damit soll unter anderem die Sabotage Kritischer Infrastrukturen legitimiert und als Aktionsform etabliert werden.”

Abgesehen davon, dass es mich natürlich freut, dass der Verfassungsschutz meinen Blog zu lesen und auch zu verstehen scheint (ich erwarte natürlich, dass Ihr ein Freund*in Doppelplusgut-Abo (Öffnet in neuem Fenster) abgeschlossen habt ;)), ist das ziemlich, wie sagt man das auf nochmal... it's pretty weak tea. Wie Sebastian Weiermann (Öffnet in neuem Fenster) im nd klug bemerkt: “Über Sabotageaktionen von Ende Gelände findet sich kein Wort. Stattdessen setzt sich der Geheimdienst mit zwei programmatischen Schriften (Öffnet in neuem Fenster) des Bündnisses auseinander. Mit Zitaten belegt er eine antikapitalistische und polizeikritische Haltung.”

Auch jenseits der Einschätzung dessen, was Ende Gelände derzeit so tut, muss man ganz klar konstatieren, dass die Klimabewegung derzeit jeden Tag weniger handlungsfähig wird, sowohl der eigentlich schon verschwundene moderate Flügel, als auch der auf einerseits seinen linksradikalen, andererseits auf Versatzstücke von LG und XR zusammengeschrumpften “klimaradikalen” Teil geschrumpfte radikale Flügel. Jegliche “Bedrohung”, die wir gegenüber der fossilistischen Mehrheitsgesellschaft darstellen, schrumpft derzeit jeden Tag, und doch wird genau in unsere Niederlage, in unser tägliches “becoming-irrelevant” hinein, dieser Extremismusvorwurf geworfen. Aber an den Realitäten unserer Aktionen scheint es nicht zu liegen. Das widerlegt m.E. hinreichend die These der BfV.

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Repression als Verdrängung

Also, wenn sich unser Klimaaktivismus nicht radikalisiert, woher dann der Impetus, im Nachgang der Repressionen gegen die Letzte Generation – gegen mehrere von ihnen wurden kürzlich Verfahren wegen der Bildung einer Kriminellen Vereinigung nach §129 StGB eingeleitet (Öffnet in neuem Fenster) – jetzt auch noch Ende Gelände, und damit die verbleibende Klimabewegung zu kriminalisieren?

Dieser Impetus rührt aus der Radikalisierung dessen, was man nicht nur verdrängen will, sondern gleichzeitig aktiv weiter vorantreibt: aus der in immer mehr Hochwassern, Jahrhundertfluten des Monats, “heat domes” wie dem über den USA und in Teilen Mexikos, in immer mehr Absagen lange geplanter Events wie public viewings wegen Unwettergefahr, aus immer mehr Mikroklimakatastrophen immer deutlicher sichtbaren Makroklimakatastrophe.

Denn der Kampf gegen die Klimabewegung stellt für eine klimaschutzversprechende aber klimaschutzunwillige, mithin schuld- und schamerfüllte Verdrängungsgesellschaft den Kampf gegen die “Wiederkehr des Verdrängten” dar: die Gesellschaft will die Klimakrise verdrängen; die Klimakrise drängt sich aber immer mehr auf, schafft so negative emotionale Energien und einen zunehmenden Leidensdruck, den die zum Klimaschutz unfähige Verdrängungsgesellschaft versucht, durch die Projektion ihrer eigenen Fehler auf Andere zu kompensieren, in diesem Fall gerade auf die Anderen, die sie ständig an ihr eigenes Scheitern erinnern. So werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, erstens die Klimabewegung (nervige Fliege), zweitens kann durch die Delegitimierung der Klimabewegung auch die Relevanz ihrer Kritiken downgraded werden. Win-win für die Verdrängungsidiot*innen.

Extremismusvorwurf als “Gegenanzeige”

Und das ist wichtig, denn nicht nur die Angst vor der Klimakatastrophe muss hier verdrängt werden, auch die ständig ansteigende Schuld und Scham ob unseres weiteren Vorantreibens der Klimakatastrophe fühlt sich scheiße an. Der Extremismusbegriff ist zwar konzeptionelle Grütze, weshalb ich ihn nicht durch einen formale Definitionsversuch aufwerten möchte, aber auf der psychologischen, auf der symbolischen Ebene bedeutet er wohl so etwas wie “zu viel”, bedeutet er irrationales Verhalten, getrieben von einer irrationalen Ideologie, und erwachsend aus beidem eine fundamentale Gefährdung der Gesellschaft.

Wenn man sich diesen Bedeutungscluster anschaut, fällt natürlich auf: das beschreibt nicht Ende Gelände, beschreibt nicht die Klimabewegung, es beschreibt die fossilkapitalistische Externalisierungs- und Verdrängungsgesellschaft Deutschland (Öffnet in neuem Fenster). Nicht wir sind die Extremist*innen – die Gesellschaft, die mitten in der Klimakatastrophe weiter gigantische fossile Autos baut, und fossile Energieinfrastrukturen ausbaut, ist extremistisch.


Mit linksradikalen Grüßen,


Euer Tadzio

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