Skip to main content

LöwenPost 2025/09

(ursprünglich am 14.3.2025 veröffentlicht)

Sino Kolumne: Altersdiskriminierung bei Einstellungen ~ Konsummaßnahmen ~ Wohlstandsausgleich

Die jährlichen Treffen des Nationalen Volkskongresses (NVK) und der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes (PKKCC) haben in der chinesischen politischen Meinungsbildung und Politikrichtung eine große Bedeutung und werden auch zwei Sitzungen bzw. Lianghui bezeichnet. Diese sind nun am vergangenen Dienstag (11.3.2025) zu Ende gegangen. Deswegen gilt die heutige LöwenPost komplett dieser bedeutenden Veranstaltung.

Da ist zunächst die Diskussion um das Verbot der Altersgrenzenfestlegung bei Einstellungen ("35岁危机" - "35 suì wēijī" / "curse of 35"), wobei viele Firmen für bestimmte Ausschreibungen von Arbeitsstellen gleich die Bedingung der Altersgrenze festschreiben und nur junge Bewerber akzeptieren. Sollte ein Verbot dieser Altersdiskriminierung in ein Gesetz festgeschrieben werden? Ich meine, dass ein Verbot mittels Gesetz das Problem der Umsetzung mit sich bringen. Ein Arbeitgeber kann trotzdem jüngere Bewerber bevorzugen, es aber nicht mit dem Alter begründen. Ich finde hier ein Gesetz sinnlos, vielmehr muss das Bewusstsein der Arbeitgeber gestärkt werden, dass ältere Arbeitnehmer manchmal motivierter und mit mehr beruflicher Erfahrung qualitativ besser arbeiten können. Diese wichtigen Faktoren sind keine Frage des Alters, aber hier kann nur die Wettbewerbsbedingung und das Fachkräfteangebot am Markt wirken und kein Gesetz. Noch dazu, dass generell in China die Regelungen zu den gesetzlichen Arbeitsvorschriften sehr ungenügend kontrolliert und Verstöße nur selten sanktioniert werden. In diesem Bereich sollten die Institutionen verbessert werden, um die Durchsetzung von bezahlten Urlaubstagen zu gewährleisten oder versteckte Überstunden aufzuspüren. Schließlich ist die berühmte und weit verbreitete "996"-Arbeitszeit (von 9 Uhr bis 21 Uhr arbeiten, 6 Tage in der Woche) gesetzlich eigentlich auch nicht erlaubt.

Das zentrale Thema auf dem 14. Nationalen Volkskongress in China war die Steigerung des Konsums und damit der Ankurbelung der Wirtschaft, was ich schon in einem früheren LöwenPost aufgegriffen habe (siehe LöwenPost 2025/01 (Opens in a new window)). Die Konsumorientierung wird meiner Meinung nach nicht zum gewünschten Erfolg führen und nur kurzfristig wie ein Strohfeuer funktionieren. Dafür steigt die Staatsverschuldung und Strukturreformen werden vernachlässigt. Leider scheinen sich aber die beratenden Wirtschaftsexperten rund um der Regierung dem Keynesianismus verpflichtet zu fühlen und fast allen Politikern weltweit gefallen solche Wohltaten für die Bevölkerung, weil es die eigene politische Macht stärkt. Der Versuch, die chinesische Wirtschaft stärker auf die Binnennachfrage auszurichten, kann ich eigentlich sehr gut verstehen. Etwas mehr Unabhängigkeit von den Exportmärkten macht die wirtschaftliche Entwicklung berechenbarer. Nur kritisiere ich mit einer Verschuldungs- und Gutscheinpolitik die dafür angewendeten Mittel. Was also wären die besseren Maßnahmen? Eine Erhöhung der Renten könnte den Konsum anregen und zusätzlich die in der Vergangenheit hart arbeitende ältere Bevölkerung unterstützen. Insgesamt kann das Renten- und Krankenversicherungssystem so ausgebaut werden, dass für medizinische Behandlungen jedweder Art und für den Eintritt ins Rentenalter keine großen Ersparnisse mehr vorhanden sein müssen. Dadurch würde die Konsumlaune der jüngeren Bevölkerung erheblich gehoben werden. Ein wirtschaftlicher Aufschwung und Stabilität kann auch ohne Konsumfokus erreicht werden, indem man die schwächere Bauwirtschaft im Wohnungsbau auf ein Investitionsprogramm der Infrastruktur für den ländlichen Raum lenkt, wo einfache moderne Wasser- und Abwassersysteme fehlen oder Straßen und Wege in einem besseren Zustand sein könnten. Eine andere große politische Zielvorgabe lässt dagegen China schnurstracks Richtung wirtschaftlicher Weltmarktführung voranschreiten. Die immer wieder etwas hölzern klingende Entwicklung neuer, qualitativ hochwertiger Produktivkräfte wird die effiziente durch KI und Robotik getriebene Modernisierung der Produktionsmethoden vorantreiben und die eher technologie-skeptischen westlichen Gesellschaften in Effizienz weiter hinter sich lassen. Bei diesem Punkt spürt man die Zukunftstauglichkeit der Regierungspartei.

Und eine Bemerkung von Xi Jinping möchte ich aufgreifen, welche nicht in einem offiziellen Protokoll aufgetaucht ist, dabei als Nebengeschichte bekannt geworden ist. Der Präsident nahm an einer Sitzung des Delegiertenkreises der Provinz Jiangsu teil und sagte folgende Worte: "社会工作一定要加强,对这些年出现的快递小哥、网约车司机、电商从业人员等,在管理服务上要跟上,填补好这个空白。" Übersetzt und interpretiert bedeutet dies ungefähr: "Die Sozialarbeit muss gestärkt werden, damit die Lücke zwischen den in den letzten Jahren entstanden Dienstleistungsjobs, wie Kuriere, Online-Fahrdienstleister und E-Commerce-Anbietern zu den Managementjobs geschlossen wird und mit der Wohlstandssteigerung Schritt halten kann." Das ist eine bemerkenswerte Anmerkung, die zeigt, dass die Regierung sich der schwierigen Situation von manchen Menschen in Dienstleistungsjobs sehr wohl bewusst ist und die lokalen Behörden mit ihrer Communityarbeit nicht nur darauf einen Fokus setzen sollen, sondern auch die Verantwortung zur Verbesserung tragen. Zentralgesetzliche Regelungen wären meiner Meinung als Rahmen allerdings notwendig, wie es gerade erst die Regierung von Singapore hinsichtlich dieser Berufsgruppe getan hat, siehe meinen Taibang-Blog-Beitrag: Verbesserungen für Plattformarbeiter. Der Ansatz bei der lokalen Communityarbeit stärkt zwar das wichtige Problembewusstsein vor Ort, die zentrale Regierung kann aber mit gesetzlichen Rahmenbedingungen viel schneller positive Veränderungen schaffen. Die Worte von Xi Jinping zeigen, dass das Thema in höchsten Regierungskreisen angekommen ist und so kann man auch weitere Maßnahmen in Zukunft erwarten.

Topic LöwenPost