LöwenPost 2025/13
Sino Kolumne: Anwendungsszenarien für neue Technologien ~ Humanoide Roboter ~ Essenslieferungen

Viele Menschen in Deutschland und Europa fragen sich, warum China mittlerweile zu einem weltweit führenden Land bei Hochtechnologien geworden ist. Stur halten viele Deutsche an dem eigenen verzerrten Narrativ des deutschen Ingenieurslandes und chinesischen Billigproduzentenlandes fest, weil es sich für das eigene Ego der Überlegenheit gut anfühlt. Westliche Beobachter registrieren zwar institutionelle und statistische Veränderung, wie die chinesischen Investitionen in Wissenschaft, Forschung und Bildung, führen aber meisten dann doch wieder nur die wirtschaftsbremsenden hohen Energie- und Arbeitskräftekosten in Deutschland ins Feld und schließlich darf das überholte Argument des Technologiekopierens nie fehlen. Doch alle diese Themen, die medial Verwendung finden, übersehen wichtige kulturelle Faktoren. Während man in China in sämtlichen Bereichen den Fokus auf Verbesserungen legt und immer der schnellste bei der Einführung von neuen Technologien sein möchte, ist die kulturelle Grundstimmung in Deutschland: Nur keine Veränderung! Das Neue strahlt in Deutschland Gefahr aus und verunsichert Menschen aus bloßer Neuartigkeit und der Angst, die Bedienung nicht sofort zu beherrschen und der daraus resultierenden Angst vor dem Kontrollverlust. In China wetteifern die Städte bei der Erweiterung von Stadtgebieten zur Nutzung autonom fahrender Robotaxis und bei der Implementierung von KI in die städtische Bürokratie zur einfachen und schnellen Bearbeitung von Bürgeranträgen. In Deutschland diskutiert man ausgiebig und ängstlich auch die letzte Gefahrensmöglichkeit und tut sich selbst bei einfachen Webanwendungen bei Bürgeranträgen schwer, worauf man schließlich doch wieder einen dicken Briefumschlag mit allerlei Papierausdrucke verschicken muss. Die chinesische Provinz Hebei, zu der auch unser Wohnort Cangzhou gehört, hat zusammen mit den Städten Beijing und Tianjin nun systematisch 284 innovative Anwendungsszenarien entwickelt, um neue Technologien aus dem Labor in die praktische Anwendung zu überführen. Dabei werden Umgebungen geschaffen, für die man einerseits neue Technologien sucht und andererseits Unternehmen sich bewerben, ihre vorhandenen neu entwickelten Technologien ausprobieren zu können. Dadurch wurden über 1.000 Unternehmen unterstützt und hat zur Erprobung von mehr als 640 neuen Technologien oder fortschrittlichen Lösungen geführt. Ein Beispiel ist der vollautomatische Containerhafen von Tangshan, der durch die Integration neuer Informationstechnologien wie autonome Transportsysteme und intelligente Steuerungssysteme zum ersten vollautomatisierten Containerterminal der Provinz wurde. Und während sich deutsche Behörden, Versicherungen und Autowerkstätten mit elektronischen Formularen und Rechnungen schwer tun und sich nicht von dem guten alten Briefverkehr per Papier verabschieden können, schwirren schon in China Drohnen mit Lieferungen von Blutkonserven für Krankenhäuser und von Mittagessen für Büroangestellte oder Landarbeiter durch die Luft.
Ein technologischer Fokus in der Öffentlichkeit in China bildet seit der großen Neujahrsshow im Fernsehen humanoide Roboter (siehe auch Löwenpost 2025/05 (Opens in a new window)). Im Gegensatz zu Roboterarmen oder autonomen mobilen Robotern, die bereits in Fertigungsprozessen in China weit verbreitet sind, bietet ein humanoider Roboter eine größere Vielseitigkeit, indem er komplexe Aufgaben ausführt, die Geschicklichkeit, Anpassungsfähigkeit und Interaktion in menschenzentrierten Umgebungen erfordern. Schätzungen gehen davon aus, dass der weltweite Markt für humanoide Roboter sich in den nächsten fünf Jahren versiebenfacht und in zehn Jahren um den Faktor 19 wachsen könnte und damit ein Volumen von 38 Milliarden Dollar erreicht. 51% der weltweit tätigen Unternehmen zur humanoiden Robotertechnologie stammen aus China, wobei in den letzten drei Jahren über 60% der Innovationen in diesem Bereich aus China kamen. Treiber der Technologie sind vor allem die rasanten Fortschritte der KI-Modelle, welche immer leistungsfähiger, schneller und gleichzeitig sparsamer werden. Die Verbesserungen schlagen sich insbesondere bei der 3D-Wahrnehmung der Roboter nieder. Die alternde Bevölkerung in China und der Rückgang der Erwerbsbevölkerung schafft außerdem den wirtschaftlichen Druck auf chinesische Unternehmen, Investitionen in die humanoide Robotik zu tätigen und solche Lösungen ins Auge zu fassen. Technologische Highlights der chinesischen Unternehmen sind u.a. Hochleistungs-Servogelenke für flüssige Bewegungen, Gelenke mit hohem Drehmoment (bis zu 300 Nm), Fähigkeiten zur Emotionserkennung, medizinische Rehabilitationaufgaben in Krankenhäuser und neue KI gesteuerte Hirnsysteme. Ein humanoider Roboter von Unitree hält den Weltrekord für den am schnellsten laufenden humanoiden Roboter mit einer Geschwindigkeit von 3,3 m/s und kann außerdem einen Rückwärtssalto ausführen. Das chinesische Unternehmen UBTECH setzt Dutzende von ihren Walker S1-Robotern in der Fabrik des chinesischen Automobilherstellers Zeekr in Ningbo ein. Die Roboter führen dabei Multitasking- und Multi-Site-Operationen durch, einschließlich des Hebens schwerer Kisten und des Umgangs mit weichen Materialien. Es ist der Einstieg von UBTECH in die industrielle Automatisierung mit ihren humanoiden Robotern. Ich bin gespannt, welche Bereiche in China von dieser rasanten Entwicklung in Zukunft erfasst werden. Und passend zu meinem obigen ersten Thema: Das ZDF Auslandsjournal hat gestern einen Beitrag mit dem Untertitel "Wie Xi mit Robotern die Welt erobert" veröffentlicht. Eine feindliche, bedrohliche, negative und aggressive deutsche Propagandaberichterstattung über die ich selbst nur den Kopf schüttelt kann und verwundert schaue, wie die Deutschen klaglos ihre Gehirnwäsche hinnehmen.
Zwischen den beiden großen Essenslieferantenfirmen Meituan und JD ist es in China zu einem öffentlichen Streit gekommen. In einem offenen Brief greift JD über Social Media den Konkurrenten an, ohne ihn dabei namentlich zu nennen. Die Vorwürfe lauten auf Behinderung der selbständigen Fahrer, damit diese keine Essensbestellungen der Konkurrenz ausfahren. Außerdem soll Meituan bestimmte Sozialversicherungsbeiträge für Fahrer nicht zahlen. Nicht lizensierte Küchen sollen Essen schlechter Qualität (Lebensmittelsicherheit) liefern. Die Unfallrate der Fahrer des Konkurrenten soll wegen des Lieferdrucks viel höher sein. Nun kann ich nicht wissen, was von diesen Vorwürfen unter Marketinggerassel zu werten ist, aber es bleibt ein Fakt, dass die Fahrer für die Essenlieferungen einem hohen Druck ausgeliefert sind, um ein anständiges Einkommen zu erzielen. Über die Diskussion zur sozialen Absicherung der Fahrer habe ich schon in der Löwenpost 2025/09 (Opens in a new window) geschrieben und ist ein wirklich drängendes Problem. Ich möchte aber an dieser Stelle in diesem Zusammenhang auf die gesellschaftliche Entwicklung beim Boom der Lieferung von Essen diskutieren und nehme mal die Lieferung an den Arbeitsplatz von meiner Betrachtung aus. Warum lassen sich immer mehr Menschen immer öfter das Essen nach Hause liefern? Ich selbst habe kein Spaß und keine Lust viel Zeit in der Küche mit der Essenszubereitung zu verbringen, weshalb ich die Motivation hinter den Bestellungen diesbezüglich schon verstehen kann. Viele Menschen haben durch lange Arbeitszeiten oder Wegezeiten zum Job auch ein organisatorisches Problem oder die Wohnräumlichkeiten lassen das ausgiebige Kochen nicht zu. Aber warum gehen dann die Menschen nicht in die Restaurants und Imbissläden, wo ja auch das gelieferte Essen zubereitet wird? Besonders die Hawker Centre in Singapore sind ein idealer sozialer Schmelztiegel bei gleichzeitiger vielfältiger kulinarischer Auswahl. Mir vermittelt die Atmosphäre in den zahlreichen Hawker Centre, die es auch in ähnlicher Weise an einigen Orten in China gibt, ein lebendiges gesellschaftliches Zusammenleben unterschiedlicher Menschen, unabhängig von Alter, Herkunft oder Einkommen. Ein Shopping Center in China wird erst zum lebendigen Schauplatz durch die Restaurants oder Essstände auf den "Fressetagen". Und wie liebe ich die Buffetrestaurants, wo ich für umgerechnet 2 Euro nicht nur sämtliche Hauptgerichte verspeisen, sondern sogar noch beim Obst und Dessert zugreifen kann. Auch hier gehört das Schauspiel des Menschengewimmels zur lebendigen Kulisse. Das alles ist viel aufregender als das Essen aus einer Styropordose in den eigenen vier Wänden zu verzehren. Trotz tausender Essenslieferanten ist das Gewimmel an den belebten kulinarischen Orten in China und Singapore zum Glück noch groß und ich hoffe nicht, dass sich diese Esskultur der europäischen Kultur angleicht, wo horrende Restaurantpreise einen großen Teil der Bevölkerung aus Kostengründen ausschließt und das öffentliche kulinarische Erlebnis auf wenige Begegnungen im Jahr begrenzt bleiben muss und nur vor allem die gut verdienende Klasse unter sich erleben darf.