Warum wir es lassen sollten
Hallöchen zu diesem ungewöhnlichen Newsletter,
immer wieder wird in Kommentarspalten von Rechtsextremen gefordert: Redet doch mal mit uns - anstatt nur über uns! Und viele ziehen das in Erwägung. Man müsse im Gespräch bleiben, abholen, zuhören. 🗯️
Auch Caren Miosga will in ihrer Polit-Sendung wieder AfD-Politiker:innen einladen. Die Menschen also, die gerade gemeinsam mit hochrangigen Rechtsextremen, Unternehmer:innen und Entscheider:innen die “Remigration” planen - einen Masterplan, um Zugewanderte aus Deutschland loszuwerden und unpassende Staatsbürger:innen auszubürgern. (Opens in a new window)
(Wer die Correctiv-Recherche noch nicht gelesen oder gehört hat - tut das! Es ist wichtig und es entlarvt auch einige AfD-Ausreden. Etwa die Erzählung, dass rechtsextreme Tendenzen vor allem ein Problem der Landesverbänden seien. Nein. Auch Alice Weidels persönlicher Referent Roland Hartwig bekennt sich bei dem Treffen dazu, ein Fan des österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner zu sein und gibt damit an, die AfD-Bundesparteienspitze zu vertreten.
Deshalb geht es in diesem Newsletter nicht darum, “Wie Rechte reden”, sondern um das “Mit Rechtsextremen reden” - und warum man es lassen sollte.
Bleibt achtsam! 🧠
Worum geht’s diesmal?
Anne Will hört auf, im Ersten zu talken. Dafür übernimmt Caren Miosga. Im Interview mit dem Spiegel (Opens in a new window) wurde die Moderatorin vergangene Woche auch zu ihrem geplanten Umgang mit der AfD befragt.
Während Will schon länger keine Politiker:innen der teilweise rechtsextremen Partei eingeladen hat, möchte Miosga das anders handhaben:
“Wir stehen vor Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. In allen drei Bundesländern liegt die AfD vorn, also müssen wir sie einladen”, sagt sie, schränkt aber ein: “Das gilt nicht für jeden und jede aus dieser Partei. Nicht wenige von ihnen sind Meister im Errichten von Lügengebäuden. Da kommst du als Moderatorin im Überprüfen der Aussagen live nicht hinterher. Und es gibt in dieser Partei jene, die so krass rechtsextrem sind, dass sie ebenfalls keine Einladung bekommen werden.”
Trotzdem wollen wir wissen: Bringt es was, mit AfD-Abgeordneten zu sprechen?
Können sie in einer Talkshow entzaubert werden? Demaskiert?
Stellt man diese Fragen Natascha Strobl, fällt die Antwort sehr sicher sehr eindeutig aus. Die österreichische Politikwissenschaftlerin hat sich schon oft dazu geäußert. Sie beschäftigt sich viel mit Rechtsextremismus und den Neuen Rechten.
Sie schreibt beispielsweise hier (Opens in a new window), dass sie sich nicht mit “faschistischen Ideologen” auf eine Bühne setzen oder gar ein Streitgespräch mit ihnen führen würde.
Warum, das wollen wir diese Woche zusammentragen.
Wer spricht da?
An dieser Stelle sammeln wir sonst Infos zu rechten Akteur:innen, über die wir schreiben.
Heute machen wir eine Ausnahme und stellen hier Natascha Strobl vor. Sie ist vielen bekannt für ihre (Echtzeit-)Rhetorik-Analysen, die sie auf (damals) Twitter unter #NatsAnalyse (Opens in a new window) verfasst hat.
Meist entlarvte sie konservative bis rechte Sprachcodes von Politiker:innen. Das zeigt schon ihre Herangehensweise im Umgang mit Rechts: nicht mit ihnen, dafür über sie sprechen.
Das macht sie viel, als Kolumnistin und Buchautorin, unter anderem hat sie über die Identitären geschrieben. Und sie ist vielgebuchte Speakerin zum Themenkomplex Rechtsextremismus bis Neue Rechte. Sie ist eine starke und vielgehörte Stimme. Ihre Arbeit empfehlen wir sehr.
Wir geben ihr an dieser Stelle aber nicht nur deshalb Raum, sondern weil wir auch kurz berichten wollen, was vor kurzem passiert ist: Strobl ist aufgrund ihrer Arbeit ins Fadenkreuz der Rechtsextremen geraten. Wieder einmal.
Deshalb hat ein Freund eine Spendenkampagne organisiert, damit sie Schutz für sich und ihre Familie bezahlen kann. Wie dringend der notwendig ist, zeigt einer der ersten Sätze auf der gofundme (Opens in a new window)-Seite:
“Sie [Strobl] wird öffentlich denunziert, beleidigt und bedroht. Nach Veröffentlichung ihres ersten Buches im Jahr 2014 gab es sogar Einschusslöcher an ihrem Fenster!Und jetzt geht es wieder los.”
Das Problem sei, so steht es in der Kampagne, dass Betroffene von rechtsextremer Hetze und Drohungen meist auf sich allein gestellt seien und hohe Kosten für Personenschutz, Alarmanlagen oder Sicherheitstüren tragen müssten.
Das war Mitte November. In weniger als 24 Stunden wurde das erste Spendenzeil erreicht: 20.000 Euro. Mittlerweile sind 27.672 Euro zusammengekommen (Stand 10. Januar 2024).
So schrecklich der Grund ist, dass sowas notwendig ist, so sehr freut uns aber auch der Zusammenhalt der Community. ✊
Das Geld ging übrigens nicht direkt an Strobl, sondern kam dem “Gegenrechtsschutz” der Stiftung Común zugute. Um was es sich dabei genau handelt, haben wir im letzten Teil dieses Newsletters ausführlicher beschrieben.
Das Narrativ dahinter
Heute geht es nicht um ein konkretes Sprachbild, sondern um einige grundsätzliche Strategien rechtsextremer Akteur:innen, wenn sie in der Öffentlichkeit sprechen.
Thomas Niehr und Jana Reissen-Kosch erklären dazu in “Volkes Stimme"?” das Konzept der Trialogischen Kommunikation. Dahinter steckt die Absicht, nur vordergründig einen Dialog mit Anwesenden führen und Argumente austauschen zu wollen. “Tatsächlich richtet man sich zusätzlich an ein anderes Publikum.” Viele Politiker:innen nutzen dafür beispielsweise die Redebühne im Bundestag. Das Plenum ist nicht für ergebnisoffene Debatten da, Positionen und Entscheidungen stehen da schon längst fest. Die Reden richten sich deshalb immer auch an Wähler:innen, selbst wenn diese nicht direkt adressiert sind.
“Mit ihrer Strategie, in der Öffentlichkeit und insbesondere auch im Parlament gezielte Tabubrüche zu inszenieren, nutzt die AfD Mechanismen aus, […] weil man sich gewiss sein kann, dass die Medien breit darüber berichten werden.” Durch die so geschaffene Medienpräsenz würden Anhänger:innen der eigenen Position erreicht und man sorge für anhaltende Aufmerksamkeit.
Ein Beispiel ist Alice Weidels Rede (Opens in a new window) über die “Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner”, die große Empörung ausgelöst hat.
👉 Die AfD möchte sich nicht austauschen oder einen Kompromiss finden, sondern vor allem provozieren, Gleichgesinnte ansprechen und den demokratischen Diskurs schädigen.
Das machen viele Vertreter:innen der Partei auch in Talkshows, meist kaum gebändigt von Moderator:innen. Die Schweizer Soziologin Franziska Schutzbach erklärt dazu im Spiegel: “Journalisten kommen bei rechtspopulistischen Strategen an ihre Grenzen: Sie können jede Form von Aufmerksamkeit für sich nutzen, auch negative.”
👉 Damit meint sie, wenn Rechtsextreme in einer Talkshow unsouverän wirken oder nicht auf Fragen antworten können oder wollen, inszenieren sie sich im Nachhinein als “Opfer der Medien und mutige Tabubrecher”.
Diese Opferpose wird meistens schon zeitig vorbereitet, erklärt Kulturwissenschaftler Daniel Hornuff in der Zeit (Opens in a new window). Dort beschreibt er, wie Björn Höcke das macht:
“Zunächst ist festzustellen, dass Höcke seine TV-Auftritte in typischer Populistenmanier vor- und/oder nachbereitet. Bei Kundgebungen auf Marktplätzen und in Bierzelten versucht er, den Blick auf die eigene TV-Rolle zu prägen, also eine Art Wahrnehmungsregie durchzuführen.”
Das erreiche Höcke beispielsweise, indem er sich über einen angeblichen Demokratiezerfall beklagt (Opens in a new window), der damit beginne, dass AfD-Politiker:innen in Talkshows nicht ausreden dürften, in eine Rechtfertigungshaltung gedrängt würden oder ihnen das Gefühl vermittelt werde, einem Tribunal unterworfen zu sein.
👉 Das Ziel solcher Einlassungen laut Hornuff: “Menschen sollen dazu gebracht werden, TV-Debatten mit Höcke von festgelegter Warte aus zu verfolgen - nämlich von der Position desjenigen, der nur darauf wartet, eine Bestätigung dafür zu finden, was ihm der Betroffene berichtet hat.”
Bekanntes Beispiel dafür ist das von Höcke abgebrochene Interview im ZDF (Opens in a new window). Die Redakteure zeigten darin dem Politiker Aufnahmen, wie sie anderen AfD-Abgeordneten Textpassagen vorgelesen und sie dann nach dem Ursprung gefragt hatten: Hitlers “Mein Kampf” oder Höckes Buch “Nie zweimal in denselben Fluss”. Keiner konnte oder wollte es beantworten. Höcke versuchte dann noch ungefähr eine Viertelstunde lang, die Hoheit zurückzugewinnen. Das gelang ihm nicht. Er brach ab.
Wurde Höckes Rhetorik hier entlarvt, fragt der Spiegel im Nachhinein Franziska Schutzbach. Die sagt:
“Ich halte es für klug, jemandem wie Höcke zu verweigern, seine üblichen Spielwiesen zu betreten. Statt ihn über Islam oder Schweinefleischverbote referieren zu lassen, wurde hier darauf beharrt, die ideologischen Dimensionen seines Handelns zu dekonstruieren. […] Höcke hat seinen autoritären Kern gezeigt, leider wurde er deshalb trotzdem nicht entzaubert. Wir wissen ja über ihn, dass er zum faschistischen Flügel der AfD gehört. Wir müssen ihn nicht mehr reden lassen oder interviewen, um das zu zeigen.”
Damit stimmt auch Natascha Strobl überein. Sie hat schon 2019 in einer ihrer Analysen (Opens in a new window) Punkte zusammengetragen, wieso sie es persönlich immer ablehnt, sich mit faschistischen Ideolog:innen auf eine Bühne zu setzen. Einige wollen wir hier kurz zusammenfassen:
1️⃣ Das Ziel der Rechtsextremen ist Diskurszerstörung. Sie agieren laut Strobl auf einer anderen Sprachebene, wollen keine Argumente austauschen, sondern faktenfrei “Bilder in die Köpfe einpflanzen, die Angst, Untergang, Terror vermitteln”. Es geht ihnen nicht eine demokratische Lösung.
2️⃣ Strobl erklärt die Folgen eines solchen öffentlichen Zusammentreffens für sich selbst und möglicherweise auch andere: “Nach so einer Konfrontation wäre die Hölle los. Die Gewalt folgt am Fuß. Viele Antifaschist:innen und Wissenschaftler:innen haben das leidvoll erfahren. Auch die, die naiverweise dachten, Diskussion ist möglich.”
3️⃣ Wer sich nicht genau auskennt, die Kommunikationsstrategien nichtn versteht, tappt in eine Falle: “Die geschliffene, bürgerliche Sprache und Attitüde blendet viele. Das ad hoc zu dechiffrieren ist schwer.” Selbst Strobl, die sich seit Jahren mit dem Thema auseinandersetzt, kommt hier an ihre Grenzen, schreibt sie. Auch ihr falle mitunter erst Tage später noch etwas in Texten oder Reden auf.
Das passt also sehr gut zu dem, was Caren Miosga sagt: Dass sie als Moderatorin im Überprüfen der Aussagen live nicht hinterherkommen würde.
4️⃣ Trotzdem ist es auch Strobl zuletzt wichtig, über rechtsextreme Rhetorik zu sprechen. Sie sagt: “Ich bin unbedingt der Meinung, dass wir viel mehr über Faschismus reden müssen.”
Auch Franziska Schutzbach sagt im bereits erwähnten Spiegel-Interview: “Ich bin zwar nicht dafür, mit rechten Ideologen zu sprechen, aber doch mit Menschen, die nach rechts driften. Wir sollten mit ihnen streiten und klar machen, dass wir ihnen nicht zustimmen. Dass wir uns nicht als ‘das Volk’ sehen, von dem die AfD immer spricht.”
Hier wollen wir euch heute die Común-Stiftung vorstellen: Sie versteht sich selbst “als Kapitalbasis für gesellschaftlichen Fortschritt”. Das will sie erreichen, indem sie soziales, kulturelles und ökonomisches Kapital bereitstellt und so den ökologischen, sozialen und demokratischne Wandel fördert. Sie ist eigenen Angaben zufolge unabhängig von Parteien, Interessenvertretungen und Konzernen.
Besonders spannend finden wir den Gegenrechtsschutz (Opens in a new window). Sein Ziel ist es, Schutz vor Angriffen von Rechts zu organisieren. Denn: “In den letzten Monaten hat der Rechtsextremismus in Österreich und Deutschland erheblich an Stärke gewonnen. Seine Akteur:innen treten zunehmend sichtbar und spürbar auf, befördert durch Höhenflüge bei Umfragen, Wahlerfolgen und Regierungsbeteiligungen. Es reicht ihnen nicht länger den Diskurs zu verschieben, sie greifen inzwischen offen Personen und Institutionen an, die ihre Aktivitäten thematisieren oder sich für Menschenrechte und eine offene Demokratie engagieren.”
Konkret umfasst der Gegenrechtsschutz beispielsweise die Finanzierung und Organisation von juristischer Hilfe oder die Finanzierung von Schutzmaßnahmen (bis hin zu Personenschutz).
Unterstützt werden können “Personen, die von Rechten öffentlich verunglimpft, bedroht oder zur Zielscheibe wurden. Außerdem Empfänger:innen von Hassnachrichten oder Drohungen aus dem rechten Milieu und Betroffene von rechtem Cybermobbing”.
Wer helfen möchte, kann das mit einer Spende machen:
Empfänger: Stiftung COMÚN
Verwendungszweck: Gegenrechtsschutz
IBAN: AT73 2011 1842 9167 4800 / BIC: GIBAATWWXXX
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