#9 | Okt 24: Die Ungelebten am Strand
👋 Hallo ihr Lieben,
Zum ersten Mal war ich zu Gast in einem anderen Podcast. Die_Leserinnen haben mich eingeladen und das freut mich sehr, weil ich diesen Podcast auch gerne höre. Wir hatten so viel zum Thema Männer & Feminismus zu besprechen, dass daraus eine Doppelfolge geworden ist. Hört doch mal rein! (Opens in a new window)
🎙️ Ansonsten überlege ich gerade, wie sich VERBITTERT TALENTLOS um ein kurzes, spontanes Podcastformat weiterentwickeln könnte, das weiniger Vorbereitung benötigt. Vielleicht ein Rezensionsformat oder eine feministische Ratgeberin „Frag Susi“ oder feminitsiche Rants? Wenn ihr darauf Lust habt, dann schickt mir doch eure Fragen, Beobachtungen, Gedanken, Artikel, Wutthemen oder Mikrofeminismen des Alltags und wir bauen das Format zusammen auf.
📢 Ich freu mich über eure Post an: verbittert-mail@web.de (Opens in a new window)
Hier sind meine FLINTA-Highlights des Monats:
Die Ungelebten am Strand, dachte ich als ich den Roman von Caroline Rosales aus der Strandtasche kramte. Die Ungelebten sind im Urlaub. Die Ungelebten erholen sich von ihren ungelebten Leben, der Unvereinbarkeit, den unerfüllten Träumen, den lauwarmen Beziehungen und dem Hohlsinn eines Kreislaufs aus Arbeiten, Haushalt und zwei Wochen Sommerurlaub. Ich selbst war am Strand, um mich von meinem ungelebten Leben zu erholen und dachte darüber nach, wie dieses Leben, aussehen würde, das ich nie gelebt habe und nie leben werde, das ungelebt bleiben wird ... Hätte ich eine Führungsposition mit 70h pro Woche, oder würde ich durch Tibet wandern, oder würde ich dem brasilianischen Helikopterpiloten verfallen?
Im Roman „Die Ungelebten“ geht es um einen #metoo-Skandal in der Schlagerbranche. Das Besondere daran: Die Tochter des beschuldigten Schlagermoguls wird zur Komplizin gemacht. Sie soll als Geschäftsführerin den Skandal um ihren Vater abwenden.
Durch dieses emotionale Dilemma berührt der Roman viele Themen über die wir Ungelebten ungern sprechen: Der Wunsch nach Anerkennung von unseren Vätern. Die Geheimnisse unserer Mütter, nach denen wir uns nicht getraut haben zu fragen. Die Kraftlosigkeit uns zu widersetzen. Das Hinnehmen von Unterdrückung und Demütigung, nur um ein kleines bisschen das Gefühl zu haben dazuzugehören. Die stille Hoffnung, dass wir anders sind als andere und etwas ganz Besonderes.
Der Roman zeigt, wie weibliche Lebensgeschichten unsichtbar bleiben, nicht erzählt werden und zum Schweigen gebracht werden als wären sie nie gelebt worden.
Ich habe mir seitenweise Textstellen angestrichen und bin außerdem auf dieses Zitat von Elena Ferrante gestoßen. ("Wirklich alles ist auf männliche Bedürfnisse ausgerichtet worden – sogar unsere Unterwäsche, sexuelle Praktiken, Mutterschaft. Wir müssen Frauen sein, gemäß den Rollen, die Männer glücklich machen, aber wir müssen uns Männern auch gegenüberstellen, auf öffentlichen Plätzen konkurrieren ... und darauf achten, sie nicht zu beleidigen".)
„Everything, really everything, has been codified in terms of male needs – even our underwear, sexual practices, maternity. We have to be women according to roles and modalities that make men happy, but we also have to confront men, compete in public places … and being careful not to offend them.“
Elena Ferrante, The Guardian, 17.03.2018 (Opens in a new window)
Ok, die Landtagswahlen im Osten liefen katastrophal und je mehr Menschen rechtsextreme Positionen wählen, desto verbissener ziehe ich mir alles rein, was es zum Thema Faschismus gibt (aktuell z.B. ARD/Springerstiefel (Opens in a new window)oder Die Zeit/Deutsche Geister (Opens in a new window)) .
Der ARD-Podcast NS-Cliquen kommt mit grauenhaftem Artwork, aber dafür mit der Historikerin und Influencerin Leonie Schöler 💜@heeyleonie (Opens in a new window). Der Podcast dröselt so kleinteilig – wie es ich es noch nie gehört oder gelesen habe – auf, wie die faschistischen Männerbünde der NS-Zeit aufgebaut waren, wie sie funktioniert haben und wie sie sich festigen konnten. Es geht um die Ökonomie der Nazi-Cliquen, um Korruption und um Vetternwirtschaft. Dabei ist es garnicht überraschend, dass die Herrschaften sich auf Kosten anderer die Taschen vollgestopft haben. Interessant ist der Umgang mit Widersprüchen, die die Ideologie ins Wanken bringen könnten.
Mit dem aufkommenden Rechtsruck müssen wir uns eingestehen, wir haben zu wenig auf die Funktionsweisen des Faschismus geschaut. Zu vieles ungesehen, ungesagt, unverstanden. Faschismus basiert vor allem auf Männerbünden [ital. fascio = Bund, Bündel]. Diese formieren sich erneut und genau dort müssen wir hinschauen.
Es ist schwer auszuhalten, wenn eine Geschichte weder mit einem Happy End noch mit einer tragischen Auflösung endet. Aus der patriarchalischen Erzähltradition sind wir es gewohnt, dass Geschichten entweder gut oder schlecht ausgehen, dass sie abgeschlossene Handlungsstränge haben und uns eine einfache Moral zu komplexen Fragen anbieten. In der Serie Expats müssen wir auf all das verzichten – und genau dadurch öffnen sich neue Erzählmöglichkeiten.
Ein Expat [kurz für Expatriate, von lat. ex: „aus“, „heraus“ und patria: „Vaterland“] ist eine Person, die in einem fremden Land oder einer fremden Kultur lebt, ohne dort eingebürgert zu sein.
Es klingt zunächst wenig interessant, reichen Amerikaner*innen in Hongkong bei ihren Lebenskrisen zuzusehen. Doch die Serie zieht mich sofort rein mit einer Aufzählung von Unfallunglücken. Es geht um die Perspektive von Menschen, die absichtslos Schuld auf sich geladen haben. Wie ist Leben möglich, ohne Verzeihen, ohne Erlösung, ohne Ende oder Strafe, ohne eine Widergutmachung? Müssen sie ihr Dasein als Ungeliebte fristen?
Zunächst hatte ich Probleme damit, dass die Protagonistinnen wiedermal einem extrem priviligierten Milieu angehören. Sie kümmern sich um ihren Gefühlshaushalt, während die weniger priviligierten Expats aus den Philipinen oder Südamerika als Bedienstete und Kinderfrauen, Köchinnen und Hausmägde die Care-Arbeit übernehmen.
Doch in meiner absoluten Lieblingsfolge (Ep 05) geht die Serie ausgiebig auf die Klassenthematik und Care-Spirale ein. Sie beschäftigt sich nicht nur mit dem unsichtbaren Leben der Hausangstellenten, sondern wir erfahren auch von ihrem Heimweh, ihren Verlusten, ihren Sehnsüchten und der komplizierten Beziehung zu ihren Arbeitgerberinnen.
Wir sehen den ungerechten Care-Zirkel, indem Menschen ihre eigenen Kinder und Familien verlassen, um sich um fremde Kinder und Familien zu kümmen. Ein Dilemma aus dem der Kapitalismus keinen Ausweg bietet. So ist das Leben der reichen Expats an das der armen Expats geknüpft. Es entsteht eine gegenseitige Abhängigkeit, eine Scham auf beiden Seiten, aber auch Zuneigung. Eine unscharfe Grenze verläuft zwischen der Intimität, die kaum auszuhalten ist, und die doch nie ausreicht, um sich auf Augenhöhe zu begegnen.
Expats ist eine traurige Serie, die es wagt, sich auf die Komplexität von Gefühlen einzulassen. 💔
6 Folgen | Prime. 2024
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📚 Zu Globalen Care-Ketten könnt ihr übrigens in dem Buch „Die Erschöpfung der Frauen“ von Franziska Schutzbach nachlesen.
In einem Kapitel beschreibt sie, wie Care-Arbeit sich durch tiefergehende Ungleichheit im globalen System verlagert; wie im globalen Süden oder in osteuropäischen Staaten Care-Arbeit immer prekär wird, während reiche Länder von der Migration „billiger“ Pflege-und Betreuungskräfte profitieren.
Bleibt unbequem. Eure Susi!
👉 Eine neue Folge VERBITTERT TALENTLOS erscheint am Do 21.11.24
42.🥊 Sylvester Stallone Spezial | Körperpanzer & Healthy Masculinity | mit Dr. Patricia Gwozdz
Die Folge über „Joker: Folie à deux“ mit Christoph May muss wegen Krankkeit leider ausfallen.