Unsere Beziehung
Es ist Montagmorgen. Du liest die Blaupause, den Newsletter, mit dem du Communitys besser verstehst und erfolgreich Mitgliedschaften anbietest. Diese Woche: Parasoziale Verbindungen.
Hallo!
Communitys basieren auf Beziehungen. Es sind die Beziehungen zwischen denen, die empfangen – die also lesen, hören oder zuschauen – denen, die senden. Es handelt sich aber um eine besondere Art von sozialer Beziehung, nämlich eine einseitige emotionale Verbindung zu einer Person, die von der Existenz ihres Gegenübers wenig bis gar nichts weiß. Die Wissenschaft spricht von einer parasozialen Beziehung.
Parasoziale Beziehungen sind normal
Das ist weder problematisch noch neu – Kinder haben eingebildete Freunde; manche Leute sprechen mit verstorbenen Partner:innen, Eltern oder Heiligen, andere beschäftigen sich intensiv mit den vermuteten Innenleben von Taylor Swift, Harry Potter oder dem Wizard von Oz. Die Menschheitsgeschichte ist kaum denkbar ohne die eingebildeten Verbindungen zwischen normalen Menschen und einem Herrscher, Guru oder Gott. Parasoziale Beziehungen sind also nicht weniger normal als normale Beziehungen.
Aber!
Die digitale Vernetzung hat die Illusion einer wechselseitigen Interaktion verstärkt. Wenn jemand direkt in die Kamera spricht und dabei vollen Blickkontakt hält, fällt es dem menschlichen Gehirn schwer, zwischen Emotionen, die es auf dem Bildschirm sieht, und denen im echten Leben zu unterscheiden. Wer stundenlang den vertrauten Stimmen eines Podcast-Gesprächs zuhört, kann sich dem Gefühl von Intimität oder Freundschaft kaum entziehen.
Schon die Möglichkeit der direkten Interaktion auf dem Telefon erzeugt den Eindruck einer wechselseitigen Beziehung und das Gefühl von Nähe. Liken, kommentieren und der Austausch mit anderen Community-Mitgliedern lassen die Grenze zwischen echter und eingebildeter Beziehung verschwimmen.
Parasozialen Missbrauch verhindern
Auf dem Missbrauch von parasozialen Beziehungen basieren heutzutage viele Geschäftsmodelle der Creator Economy. Leute kaufen Produkte, weil sie der Person vertrauen, die das Produkt in die Kamera hält. Ich halte das dann für problematisch, wenn nicht eindeutig zu erkennen ist, dass so eine Empfehlung auf einem Werbedeal basiert. Firmen mit kommerziellem Interesse verabreden sich in so einem Fall dazu, die parasoziale Beziehung des Creators mit seiner Community gegen Geld auszunutzen. Das ist missbräuchlich.
Sozialer Druck – oder eben parasozialer Druck – entsteht natürlich auch durch den Hinweis auf ein Mitgliedschaftsangebot und die Bitte um Unterstützung. Je nachdem, wie so etwas formuliert ist, grenzt es an emotionale Erpressung. Es geht bei Mitgliedschaften anders als bei einem Abo mehr ums Herz als ums Hirn.
Die Churn-Raten sind bei Mitgliedschaft-basierten Communitys besonders niedrig, also der prozentuale Anteil der Mitglieder, die kündigen. Ich vermute, das liegt an dem parasozialen Charakter der zugrundeliegenden Beziehung: Kündigen fühlt sich an wie Schlussmachen.
Wie du fair argumentierst
Sind digitale Communitys und ihre Geschäftsmodelle also grundsätzlich problematisch?
Ich glaube nicht. Die Grenze verläuft für mich zwischen dem Bemühen um Authentizität und Transparenz auf der einen Seite und Manipulation auf der anderen. Formuliere dein Membership-Angebot nicht so, als würdest du einen Freund um einen Gefallen bitten – oder gar jemanden, der dir nahesteht, um Geld fragen. Das fühlt sich für dich und auch für die andere Person unangenehm an und schadet letztlich der parasozialen Beziehung. Stattdessen empfehle ich dir, mit Fakten zu argumentieren und darauf hinzuweisen, dass die Community nur funktionieren kann, wenn alle etwas beitragen.
Es ist einfach so: Du hast laufende Kosten und musst von etwas leben. Du kannst den Job nicht machen, wenn du damit kein Geld verdienst. Das leuchtet jedem ein, die meisten Leute denken nur nicht daran. Sie gehen davon aus, dass du dir schon etwas Cleveres überlegt hast, um mit der Erstellung deiner Inhalte Geld zu verdienen. Diese Illusion solltest du durch Transparenz auflösen.
Du kannst darlegen, wie viele Mitglieder es braucht, um das Ganze zu tragen. Du kannst objektiv Summen und Kosten auflisten, die entstehen und die du nicht allein tragen kannst. Und schließlich kannst du an das Verantwortungsgefühl der Community-Mitglieder appellieren und sie bitten, ihren Teil beizutragen – damit du nicht aufhören musst.
Ich finde daran nichts Manipulatives, Unfaires oder Übergriffiges. Es ist eine Darlegung von Argumenten, die keinen unnötigen Druck aufbauen. Und abgesehen davon funktioniert es am besten, weil dabei kein zwiespältiges Gefühl entsteht, wie es oft bei einem pseudo-emotionalen Pitch der Fall ist.
Ziehe Grenzen und setze Erwartungen
Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass es auch für dich persönlich gesund ist, deinem Publikum gelegentlich den parasozialen Charakter deiner Beziehung in Erinnerung zu rufen. Dadurch ziehst du klare Grenzen und machst den Leuten bewusst, dass ihr keine echten Freunde seid und eure Beziehung in den meisten Fällen eine sehr einseitige ist. Deshalb können Community-Mitglieder auch nicht dasselbe von dir erwarten, wie sie es von Freunden oder Familienmitgliedern tun würden.
Bis nächsten Montag,
👋 Sebastian
🤗 Fand ich hilfreich (Opens in a new window) 😐 War ganz okay (Opens in a new window) 🥱 Für mich uninteressant (Opens in a new window)
Mitglieder-Bereich 🔒
Tiktok ist tot.
Was du verpasst: Die Mitglieder-Ausgabe des Newsletters, Einzel-Termine mit Sebastian und exklusive Blaupause-Community-Calls.
Jetzt Mitglied werden! (Opens in a new window)
Already a member? Log in (Opens in a new window)