Antizyklisches Schreiben liegt mir. Ich habe selten Lust mich mit Themen zu befassen, über die ohnehin gerade alle reden, schreiben, lesen, weil ich selten das Gefühl habe, dann noch etwas Gehaltvolles hinzufügen zu können; sei es, weil wirklich alles schon gesagt wurde, oder weil ich automatisch alles für banal halte sobald ich es tippe, weil ich es ja einige Sekunden vorher schon gedacht habe und es damit nicht mehr anregend ist (Opens in a new window). Deshalb schrieb ich in der vergangenen Woche nichts über das Ableben der Queen.
Und genau deshalb mache ich es heute, zwei Tage nach ihrer Beerdigung, die von mindestens dem Zweieinhalbfachen der Weltbevölkerung (Opens in a new window) an den Mattscheiben verfolgt wurde und nachdem das Thema in den Redaktionen abgeheftet wurde. Hier einen Überblick der klugen Texte, die in den letzten zwei Wochen über die Monarchin geschrieben wurden zu bieten, würde das Format sprengen (und Steady teilt mir ohnehin unbarmherzig mit dass hier die meisten regelmäßig lesen, aber kaum jemand Links klickt). Stellvertretend sei der Text von Samira El Ouassil (Opens in a new window) empfohlen (wie eigentlich jede Woche), die auf die verschiedenen Rollen der Königin hinweist, die unterschiedliche Funktionen erfüllt haben und entsprechend eine unterschiedliche Reaktion auf ihren Tod erzeugt haben.
Was in den vergangenen zwei Wochen immer wieder betont wurde, war die historische Dimension dieses Ereignisses, ganz so als müsse man sich dessen vergewissern dass es Relevanz hat dass das Staatsoberhaupt einer global relevanten Macht stirbt. Der Queen eigen war, dass sie schon zu Lebzeiten eine Art zeithistorisches Museum darstellte: Geboren in eine Welt ohne Fernsehen, mit sechs Jahren gefilmt, wie sie arglos einen Hitlergruß imitiert, kaum erwachsen im Militärdienst des Zweiten Weltkriegs. Die Krönung als eines der ersten audiovisuellen Weltereignisse, die Beharrungskämpfe und Abwicklung des Kolonialismus verantwortet, Kalten Krieg und „Ende der Geschichte (Opens in a new window)“ überstanden und zuletzt die Nation mit in die Digitalisierung und raus aus der Europäischen Union begleitet: In dieser einen Lebenszeit ist mehr passiert als in vielen anderen Hundertjahrabschnitten.
Das führt gleichzeitig dazu, dass die Institution in ihrer Erneuerung mit einer neuen Epoche konfrontiert wird: Zur Amtsübernahme von Elizabeth waren König:innen mit realpolitischem Einfluss auf der Welt noch vergleichsweise normal, heute hat sich das gewandelt. Mehrere Generationen von Briten und Europäer:innen sind mit einem Königshaus aufgewachsen, indem Architektur und Rituale kongruent waren mit der Amtsinhaberin, die aus einer anderen Zeit kam. Es wird eine kaum zu unterschätzend schwierige Aufgabe für den nun auch schon 73 Jahre alten Charles sein, diese Bilder in Einklang zu bringen – spätestens William wird daran enorm zu knabbern haben.
Nun ist es aber geradezu ein Glücksfall für die Monarchie, dass dieser Übergang in einer ohnehin krisenhaften Zeit stattfindet: Wenige Tage nachdem die Regierung ausgetauscht wurde, hineingleitend in einen Winter, in dem Viele nicht wissen, wie sie ihre Wärme bezahlen sollen. Solche Situationen führen eher nicht dazu, dass eine kritische Masse an Menschen auch noch an der letzten Konstante des Staatswesens sägen wollen. Zu dieser Wagenburgmentalität gehört außerdem, dass Königshaus und Staat nun die seltene Möglichkeit hatten, ihr ganzes Arsenal an Ritualen einzusetzen, die über Jahrhunderte verfeinert wurden, um ein Gemeinschafts-, Sicherheits- und in gewisser Weise auch Untertanengefühl zu erzeugen. Die Sitzordnung bei der Trauerfeier diente als Selbstvergewisserung für einen von der Zeit eigentlich überholten europäischen Adelsstand, der selbstverständlich ganz weit vorne saß, für ein Land dessen aktuelle und ehemaligen Premierminister:innen dahinter saßen und für einen Commonwealth, dessen Staatsoberhäupter, so klein die Ex-Kolonie auch sein mag, damit viele Reihen vor dem US-Präsidenten sitzen durften, weil dessen Land im 18. Jahrhundert beschlossen hatte, nicht mehr dazugehören zu wollen.
Die vielen, vielen öffentlichen Transporte des Sarges und natürlich auch die Aufbahrung mit der schon Meme gewordenen Queue sind natürlich neben einer Möglichkeit für Untertanen, Abschied zu nehmen, auch Gelegenheiten, eine populäre Anteilnahme zu demonstrieren. Eine durch die Hauptstadt reichende, über viele Tage bestehende Menschenschlange lässt sich nicht wegdiskutieren: Hier stehen, frieren, humpeln Menschen, die Solidarität mit der britischen Monarchie demonstrieren. Und auch wenn es am Ende offenbar weniger Menschen waren als bei Elizabeths Vater vor 70 Jahren und natürlich keine qualifizierte Mehrheit der britischen Bevölkerung, war es doch ein Signal: Das mit der Monarchie, das lassen wir jetzt erst einmal so.
Das heißt natürlich nicht, dass das Thema bei den Republikaner:innen (ist das eigentlich ein Wort, das in jedem Land eine andere Bedeutung hat?) beendet wäre. Es wird auch mit Macht zurückkehren, wenn nicht Trauer, sondern Krönungspomp das Ritual beherrscht, wenn der Winter überstanden wurde und der Nachfolger von Liz Truss fest im Amt sitzt, also voraussichtlich im kommenden Sommer: Die Menschen werden immer noch viel für Energie zahlen, Inflation und Rezession ineinander verzahnen, und ein 73 Jahre alter Mann namens Charles wird sich auf den Fernsehern der Welt mit mehr Gold umgeben als in sämtliche Rapvideos der Jahrtausendwende passt. Denn auch wenn er, das ist jetzt schon zu hören, alles weniger aufwändig will, die Spielregeln der Monarchie gelten eben auch für ihn.
Das merkt man auch an der Entrüstung, die Menschen entgegenschlug, die Ambivalenz, Freude oder nur kritische Anmerkungen hatten, als Elizabeth verstarb: Diese Entrüstung war unehrlich, sie bezog sich nämlich nur auf das Ableben eines Menschen. Wäre dieser Tod aber einfach nur das Ende eines Menschenlebens, wäre das legitim. Hier war es aber das Ende einer Amtszeit einer in politischer Verantwortung stehenden Funktionärin, und im Gegensatz zu anderen Ämtern in modernen Demokratien war es die einzige Art, wie man dieses Amt überhaupt neu besetzen konnte. Wer also darauf Wert legt ein Amt auf Lebenszeit zur Verfügung zu stellen, muss auch damit leben, dass die Abgewählten zukommende Kritik auch für eine verstorbene Königin gilt.
Die Debatte über die Monarchie wird wieder geführt werden, es steht immerhin zu erwarten dass nun auch neue Argumente dazukommen. Schon jetzt berufen sich auch gestandene Liberale Europas darauf, dass Monarch:innen als repräsentative Staatsoberhäupter Stabilität bringen. Was dabei geflissentlich übersehen wird ist das schiere Glück, dass europäische Fürstenhäuser dem Vernehmen nach überzeugt demokratisch sind: Nur die Liebe verhinderte 1936, dass mit Edward VIII. ein überzeugter Freund des Nationalsozialismus das Vereinigte Königreich im Zweiten Weltkrieg regierte – jener Edward, der seiner kleinen Cousine Elizabeth drei Jahre vor seiner Abdankung den Hitlergruß beigebracht hatte.
Viel Zeit wird das Land nicht haben, um sich neuzusortieren. Einige Male wird es zu Aha-Momenten kommen, wenn neue Briefmarken, Geldscheine oder Postkästen präsentiert werden, aber am Ende wird der Alltag wie immer stärker sein. Eine europäische Monarchie, wenn sie hält, wird politisch nur noch auffallen, wenn sie negativ auffällt. Und dann wird sie schnell fallen. Das Konzept, das Menschen durch Geburt höherwertig sind als andere, ist auf Sand gebaut.