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Von Schlechten nur schlechtes

Ich habe den Satz „De mortuis nil nisi bene“, also im weitesten Sinne „Über Tote spricht man nur gut“, in seiner Absolutheit nie so recht verstanden. Natürlich fängt man nicht am Grab an, den Hinterbliebenen die dreckigsten Geheimnisse zu erzählen oder sie auch nur an die Fehler im Leben des Verstorbenen zu erinnern – das tun sie sicher oft genug, aber Trauer ist nicht auf faktischen Input von außen angewiesen. Aber es gibt natürlich trotzdem gute Gründe, schlecht über Tote zu reden. Das ist der Fall, wenn der Tod einigermaßen lange her ist, oder wenn die Person ausreichend öffentlichkeitswirksam war, dass ihr Tod eine Nachricht ist. Wer sich zu Lebzeiten so exponiert hat, der hat keinen Anspruch auf nur Gutes im Tode.

Und damit zu Ursula Haverbeck. In diesem an guten Nachrichten wahrlich armen November kam gestern über einschlägige Szenekanäle die Nachricht, dass die 96-Jährige in der ostwestfälischen Kleinstadt Vlotho gestorben sei. Und dass es eine Nachricht ist, wenn eine uralte Rechtsextremistin stirbt, spricht dafür, dass man sich damit befassen muss: Haverbeck war die prominenteste Holocaustleugnerin im deutschsprachigen Raum, aus gleich mehreren Gründen. Die Meldungen in den etablierten Medien gehen kaum über ihre strafrechtliche Geschichte hinaus, warum auch, aber ein paar Elemente sind mir bislang zu kurz gekommen – und als jemand, der sich nun seit fünfzehn Jahren wissenschaftlich mit Holocaustleugnung auseinandersetzt, kann ich vielleicht das Bild etwas vollständiger machen. Hier also die Punkte, die zum Verständnis der Causa Haverbeck relevant sind:

Die Haverbecks als freie Radikale

Auch wenn wir versuchen sie von einem feministischen Standpunkt aus zu betrachten: Ursula Haverbeck hätte nie irgendeine Relevanz bekommen ohne ihren Mann Werner Georg. Der war mit 14 Jahren schon 1923 in den Vorläufer der Hitlerjugend eingetreten, mit 17 in die NSDAP, mit 20 in die SA – eigentlich war alles gerichtet für eine höchst erfolgreiche Karriere im nationalsozialistischen Staat, aber Werner Haverbeck war bei aller festen NS-Überzeugung trotzdem ein Querkopf, der es sich nacheinander mit allen seinen Friends in high places verscherzte: Erst Baldur von Schirach, dann Robert Ley, dann Heinrich Himmler. Trotzdem bekam er immer wieder Posten und arbeitete zum Beispiel mit dem späteren Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger beim Aufbau von Propagandasendern zusammenarbeitete.

Wir können also zusammenfassen, dass Werner Georg Haverbeck ein ziemlich gefestigter Nazi war, dessen ganzes System 1945 zusammenbrach – der aber immer noch genug Netzwerkergeschick, Charisma und Intellekt zusammenbrachte, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden: Er wandte sich der Anthroposophie zu, wurde freikirchlicher Priester, engagierte sich in der Friedens- und Umweltbewegung: Wo immer eine Form von Querfeldeindenken zum bundesrepublikanischen Mainstream zu finden war, waren die Haverbecks zur Stelle. Ihr Schulungszentrum „Collegium Humanum“ wurde deshalb von der IG Metall ebenso benutzt wie von Anti-Atomkraftgruppen, von Joseph Beuys und Rudi Dutschke – aber eben auch vom „Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers“ (ja, wirklich). Letztlich gehörten sie zu den Verlierern der Gründungsphase der Grünen, als noch nicht klar war, ob die Partei eine eher linke oder stramm rechtsextreme Ausrichtung haben sollte. Entsprechend verloren sie jegliche Verbindung zu den linken Kreisen ab den 1980ern, und seitdem ging es stets und ausschließlich immer weiter nach rechts.

Ursula Haverbeck als Medienperson

Es gibt recht viele Holocaustleugner:innen in Deutschland, darunter auch einige mit hohem Sendungsbewusstsein – aber niemand davon war zuletzt einer breiten Öffentlichkeit so bekannt wie Ursula Haverbeck, und das liegt maßgeblich an einem Bericht aus dem ARD-Magazin „Panorama“. In der Sendung vom April 2015 wurde die Reportage „Wohltäter Hitler: Besuch bei Auschwitz-Leugnern (Opens in a new window)“ ausgestrahlt, die Haverbeck ausgiebig Raum für ihre Aussagen gab. Der Bericht beginnt mit dem Besuch einer NPD-Veranstaltung, auf der Ursula Haverbeck mit bemerkenswerter Kunst um die offene Holocaustleugnung herumreferiert, weil der Staatsschutz mit im Saal ist. Und mit einem banalen „Wir wollen mehr wissen über die angeblichen Beweise“ wechselt der Bericht dann zu einem Hausbesuch bei der alten Dame, die ihre sehr dünnen Argumente noch einmal, gut ausgeleuchtet vor ihrem intellektuelle Redlichkeit ausstrahlenden Bücherregal, ausbreiten darf.

Nun wird das alles natürlich eingeordnet, und in keiner Sekunde des Films kommt auch nur ein Hauch von Sympathie für Haverbeck vor, aber das muss es auch gar nicht: Wer sich schon von vorneherein in ihrem politischen Lager befindet, der wird den Film als Bestätigung der juristischen Verfolgung einer alten Dame für ihre Meinung betrachten, der wird ihre selektiven „Beweise“ zur Kenntnis nehmen und deren Widerlegungen als von oben gesteuerte Kontrolle. Und wer schon immer fand, dass die Juden da bestimmt übertrieben haben, aber keine Motivation fand, sich tiefer mit dem Thema zu befassen, hat plötzlich einen Namen, den man googlen kann, und damit einen bequemen Einstieg in die rechtsextreme Szene.

Seit diesem Bericht ist Haverbeck nämlich nicht mehr nur eine Referentin des deutschen Nationalsozialismus gewesen, sondern seine Ikone. Jede neue Anklage, jeder Haftprüfungstermin, jede amtsärztliche Untersuchung wurde zu einem rechtsextremen Happening. Sie als Person wurde zum Anschlusspunkt zwischen der „gemäßigten“ und der faschistischen AfD, denn in die Partei hinein konnte man nun regelmäßig signalisieren, dass man den Holocaust für eine Lüge hält – aber sich bei Fragen aus der Mitte darauf zurückziehen, dass man die Meinungsfreiheit verteidigt.

Haverbeck als Bindeglied

Und genau diesen Mechanismus, den Politiker wie Björn Höcke ausarbeiteten, macht sich seit geraumer Zeit die digital arbeitende rechtsextreme Szene zunutze. Eine simple Suche über die etwa 400 von mir beobachteten Telegram-Kanäle fand gestern dutzende Nachrufe und Trauerbekundungen nicht nur in den NS-Gruppen, sondern auch bei den „QAnon“-Ausläufern und bei diversen Querdenken-Organisationen. Beispielhaft dafür ist dieser Post:

„Ursula Haverbeck war die mutigste Frau Deutschlands. Sie blieb immer bei ihren Überzeugungen, auch wenn sie dafür Freiheitsverlust in Kauf nehmen musste.

Unabhängig von ihren Überzeugungen: Wenn alle Menschen so unbeugsam wie sie wären, würde die Menschheit in echter Freiheit leben.“

An keiner Stelle wird dort erwähnt, was denn ihre Überzeugungen waren – das spricht die an, die ihren Namen noch nicht kannten, und soll sie dazu bringen, sich das unten angehängte Panorama-Interview (natürlich sind die kritischen Stellen weggeschnitten) anzusehen. Wer es schon weiß, dem wird mit „Unabhängig von ihren Überzeugungen“ immerhin noch die Möglichkeit gegeben, die Person trotzdem für ihre Standhaftigkeit zu bewundern. Auch hier ist die Botschaft klar: Man kann als Querdenker auch zu uns gehören, wenn man Auschwitz nicht für eine Lüge hält. Und wenn man zu uns gehört, wird sich das in ein paar Jahren auch erledigt haben.

Fassen wir also zusammen: Es ist nicht schade um Ursula Haverbeck. Die Welt wird ohne sie allerdings auch nicht besser. Es werden sich andere Referenten finden, ihre Vorträge werden weiterhin leicht im Internet zu finden sein, ihre Schriften sind es ohnehin. Aber auch die Mehrheitsgesellschaft sollte sich daran erinnern, dass sie eine Verantwortung hat, dem Faschismus, gleich welcher Prägung und Epoche, nicht einfach so eine Bühne zu geben.

Was sonst noch war:

Erfreulich viele Menschen haben zuletzt XvormalsTwitter den Rücken gekehrt. Wer zu uns auf Bluesky gekommen ist, findet hier einen von mir kuratierten Starterpack mit aktiven Historikerinnen und Historikern aus dem deutschsprachigen Raum: https://go.bsky.app/7RmjZri (Opens in a new window)

Außerdem:

Hier war es eine Zeit lang sehr ruhig. Eine erfreulich hohe Auftragsdichte war dafür verantwortlich, zwischendurch auch eine massive emotionale Überforderung mit der Weltlage. Es geht jetzt regelmäßig weiter, versprochen.

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