einfach mal hassen - 28.11.2022
Donnerstags nehme ich immer früh einen Zug, fahre in den Wald; rauskommen, zu mir kommen, wollte dieses Mal darüber nachdenken, dass ich bald 37 werde, weil es sich anfühlt wie eine Lebensmitte, weil langsam ein Ende am Horizont auftaucht, und ich mich fragen wollte, wie ich mich zukünftig in die Welt einbringen will.
Im Wald finde ich Ruhe.
Durch den Wald schallte Lärm – eine Säge oder eine Schleifmaschine.
Ich ging meine normale Runde, der Himmel reflektierte auf der dunklen Wasseroberfläche des Sees in der Mitte des Walkdes, und der Lärm kickte mich immer wieder aus meinen Gedanken.
Warum ist unsere Zivilisation so fucking laut?
Auch als ich auf der anderen Seite des Sees weiterlief, war das Geräusch da. Mal wie das Summen einer Mücke, mal wie das Sirren eines Zahnarztbohrers, schallte es zwischen den Bäumen her. Ich raschelte extra laut mit den Füßen im Laub, aber das änderte nichts daran, dass der Lärm mich verfolgte, und, ja, nichts an dem Hass, der in mir aufloderte.
Ich spielte mit dem Gedanken, den Typen zu suchen, ihm zu sagen, was er für ein Arschloch ist, machte es aber natürlich nicht, auch weil ich wusste, wie irrational das war. Pure Projektion. Mein Hass galt nicht dem Typen an der Säge, sondern all den Pennern, die unsere Welt kaputt machen:
© RONJA RØVARDOTTER (Opens in a new window)
Den British Petrol-Managern, die schon 1981 wussten, dass das Verbrennen fossiler Brennstoffe zu „Effekten, die katastrophal sein werden (zumindest für einen substantiellen Teil der Erdbevölkerung)“ führen würde, die es trotzdem taten, und dann später den Fußabdruckrechner erfanden, um uns weiszumachen, dass wir schuld sind.
Den 637 fossilen Lobbyisten, die der vergangenen Weltklimakonferenz rumliefen, mit dafür sorgten, dass die Abschlusserklärung mal wieder so fucking dürftig ist.
Dem Promi-Pärchen, das ein Foto auf Instagram postet, auf dem die beiden zwischen ihren Privatjets stehen, dazu die Bildunterschrift: „Nehmen wir deinen oder meinen?“, während zur gleichen Zeit in Pakistan 33 Millionen Menschen aufgrund klimabedingter Überschwemmungen aus ihrem Zuhause fliehen müssen.
Wenn ich mir einen Moment nehme, weiß ich, dass all diese Menschen ihre legitime Logik haben, dass sie alles gute Menschen sind, mit ihren eigenen Kindheitstraumata, ihren eigenen Zwängen, ihren eigenen Träumen, dass sie alle nur das Beste wollen. Und ich profitiere ja auch von vielem, was auf fossilen Brennstoffen beruht: All die Häuser, Maschinen, Lebensmittel, die ich genieße, alles was dafür sorgt, dass ich bisher in Sicherheit und Freiheit leben konnte – fast alles davon beruht auf der Zerstörung, die ich so hasse.
Und dann: Ohne zu wissen, wer die Person an der Säge war, ging ich davon aus, dass es ein Mann war, weil es fast immer Männer sind, die sowas machen, die Karrieren verfolgen, die auf der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen basieren, die auf große Maschinen stehen, mit der Kettensäge in den Wald gehen, Tagebaue in den Boden treiben. Es sind vor allem Männer, die diese patriarchale Welt entworfen haben, die sie stützen.
Ich bin ein Mann.
Fuck.
Als die ersten Sterne rauskamen, das erste Mal ein Kauz durch den Wald rief, die Luft schwerer und feuchter wurde, hörte der Lärm endlich auf.
Für mein Nachdenken war es zu spät, im Versuch dem Geräusch zu entkommen, war ich so schnell gelaufen, dass ich fast zurück am Bahnhof war. Was mein Geburtstag für mich bedeuten würde, keine Ahnung. Ich hatte nur diesen Text ins Handy getippt, um irgendwo hin zu können mit meinen Gefühlen.
Ich weiß, dass er unfrei macht, der Hass. Dass er den Hassenden bindet an das Objekt seines Hasses.
Ich weiß, dass Hass nicht dabei hilft, eine schönere Welt zu schaffen.
Ich weiß, dass Hass auch den Hassenden verzehrt.
Ja, ich weiß das alles.
Und trotzdem spüre ich ihn in solchen Momenten, und ich frage mich oft, was ich mit ihm anfangen soll.