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Geschmorte Jahresvorsätze

Eine Reportage über ein schlimmes Ereignis zu schreiben, das mich selbst betrifft, ist eigenartig und fühlt sich falsch an. Ich mache es trotzdem. Dafür muss ich erstmal auf Abstand gehen und das fühlt sich wiederum richtig an. 

Es war der Geburtstag meines Sohnes. Ich bin irre früh aufgestanden, nach einer schlaflosen Nacht. Da ich mein Kind im Wechselmodell nicht jeden Tag sehe, ist es mir besonders wichtig, schöne Rituale mit ihm zu haben. So machen wir an jedem zweiten Sonntag Pfannkuchen zum Frühstück. Ja, wir machen sie zusammen, damit er es auch lernt. Aber es gibt sie nur am Sonntag, ohne Ausnahmen!

Umso schöner habe ich mir die Freude meines Sohnes vorgestellt, wo es doch Pfannkuchen mitten in der Woche und auch noch vor der Schule geben sollte. Eine Freundin kam dazu, wir haben acht Kerzen im Pfannkuchenturm angezündet und eine kleine, leise Geburtstagsfeier um 7 Uhr morgens veranstaltet. Als meine Freundin meinen Sohn zur Schule mitgenommen hat, bin ich todmüde, aber mit gutem Gefühl wider ins Bett gefallen. 

Der Anruf kam, als ich gerade eingeschlafen bin (vor Aufregung ist mir das zunächst nicht gelungen). Mein Atelierkollege berichtete, dass der Nachthafen – eine beliebte Bar unter uns – in der Nacht gebrannt hat und unsere Atelierräume, die direkt darüber liegen, ebenfalls betroffen sind.

Wenn ich Stress erlebe, schaltet sich bei mir instinktiv sowas wie ein Autopilot ein. Ich werde langsamer und ruhiger. Ein Gefühl der Taubheit breitet sich aus. Körperlich und emotional.

Bis ich in die Clemens-Schultz-Straße gehen konnte, um mir das alles selbst anzuschauen, nutzte ich Nachrichten und Berichte im Internet. „Im Fernsehen“ sieht alles so aus, als könnte einem sowas nicht passieren.

Auf dem Weg zum Atelierhaus nahm ich schon vom Weiten einen schwarzen Rußfleck in der Häuserreihe wahr. Näher gekommen, fühlte sich das Haus immer noch fremd an. Als ob ich nichts damit zu tun hätte. Fremde Farben, fremder Geruch. Im Treppenhaus alles dunkel. Ich widerstand dem Gefühl das Licht anzumachen und merkte, dass meine Gewohnheiten hier in diesen nicht mehr vertrauten Räumen immer noch auf mich wirkten.

Unsere Ateliergemeinschaft in der Clemens-Schultz-Straße 92 gibt es schon seit sehr vielen Jahren. Seit 2011 bin ich mit einer Freundin mit dabei. Es ist ein Rückzugsort zum Zeichnen, Sichtreffen und Chaotischsein. In den Lockdownzeiten war unser Arbeitsplatz der einzige Ort, wegen dem wir unsere Wohnungen verlassen durften. Hier können Künstler:innen, Goldschmiede, eine Schneiderin, Grafikdesigner:innen und Fotograf:innen in einer familiären Atmosphäre arbeiten, sich austauschen und trotzdem sich ungestört in ihren Räumen aufhalten. Als es noch die Kreativnacht gab, konnten auch alle Interessierten ein Mal im Jahr in unsere Räume rein schauen und uns kennen lernen. Es war ein Riesenevent, auf das wir uns total gefreut haben. Außerdem gab es einen Grund, wenigstens ein Mal im Jahr aufzuräumen.

Einige Räume sind so zerstört, dass ich mir nicht mehr vorstellen kann, hier überhaupt jemanden in diesem Jahr zu treffen. Die Dielen direkt über dem Nachthafen sind von der Feuerwehr aufgeschlagen worden, um die Zwischendecke zu schützen. Die Fenster sind mit Brettern vernagelt, die neben den verrußten Wänden seltsam leuchten. Der früher hellgrau gestrichene Boden ist schwarz vor Ruß und überall liegen Möbel, Glasscherben, Holzbretter. In einem der Räume sind Kunststoffteile einer selbst designten Leuchte geschmolzen und von der Decke auf den Tisch runter getropft. 

Wir hatten mit unserem Raum etwas Glück. Die gesamte Ateliergemeinschaft ist auf zwei "Wohnungen" im ersten Stock verteilt. Darüber wohnen direkt die Eigentümer:innen. Unsere Seite liegt nach Hinten raus und nicht direkt über der Kneipe. Die Seite zur Strasse hin ist mit Ruß überzogen. Eva hat es hart getroffen, denn sie hat hier Hochzeitskleider entworfen und genäht. Viele teuere Stoffe und Kleidermodelle waren in ihrem Raum gelagert. Sie musste alle ihre laufenden Aufträge stoppen und einen Ausweichraum suchen. Alles in ihrem vorher so hell und liebevoll eingerichteten Raum ist jetzt mit einer grauschwarzen, giftigen Schicht bedeckt.

Wir teilen zu viert zwei recht kleine Räume zum Innenhof raus. Ein Raum ist voll mit Arbeitsmaterialien und gelagerten Bildern. Ein großer Tisch steht auch dort. Sehr praktisch zum Passepartoutschneiden. Den Raum mit dem Fenster haben wir mit den Jahren sehr gemütlich eingerichtet: Vorhänge, Regale mit Büchern, zwei Sofas, Fenster zum ruhigen Innenhof mit alten Bäumen und Eichhörnchen, Pflanzen und ein schöner alter Schreibtisch, den ich in St.Pauli auf der Strasse eingesammelt und selbst restauriert habe …

Es ist eher die Verletzlichkeit und die Unsicherheit, die mich plagen. Muss ich mir bald einen neuen Raum suchen, oder kann ich hierher zurück kehren? Kann ich meine Kunstwerke selbst reinigen, oder muss ich viel Geld für eine professionelle Reinigung zahlen, oder muss ich die Kunst sogar entsorgen? Ich stelle mir meine Bilder vor, wie sie im Holzschredder des Schrottcontainers verschwinden.

Das Unglück hat viele Pläne zerstört und wird uns noch als Gemeinschaft sehr lange beschäftigen. Meine Vorsätze für dieses Jahr muss ich neu überdenken und sortieren. Ich hoffe aber auch, dass er uns alle als Gemeinschaft näher zusammen bringt, neue Chancen bietet. Jetzt heisst es erstmal Aufräumen, Entsorgen, Neuanfang. Trotzdem bin ich wütend und verunsichert …

Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Reportage gut finde. Es fällt mir schwer, Bilder dafür zu zeichnen, daher habe ich in den alten Ordnern nach vorhandenen Bildern gekramt. Aber ich denke auch an die Worte vom Chefredakteur der "Zeit" Giovanny di Lorenzo: "Es gibt auch Interwievs, da warst du schlecht. Punkt!"

Bis nächste Woche!

Julia Zeichenkind

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