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Sonderfolge

KI-Bild, das düste Szenerie mit schemenhafter Figur zeigt
Christiane Frohmann

Der Literatur keinen Schaden zufügen. Kulturphilosophische KI-Gesetze

(am 11.07.2024 als Vortrag gehalten bei PoetikKI im Literaturforum im Brecht-Haus)

Literatur und KI kann Vieles bedeuten, etwa:

  • Fiktion, in der KI vorkommt

  • von Menschen mit transparenter KI-Unterstützung produzierte Literatur

  • von Menschen mit nicht transparenter KI-Unterstützung produzierte Literatur

  • transparent von KI im Auftrag von Menschen erstellte Literatur

  • nicht transparent von KI im Auftrag von Menschen erstellte Literatur

  • mit Literatur von Menschen mit deren Einverständnis trainierte KI

  • mit Literatur von Menschen ohne deren Einverständnis trainierte KI

In den genannten Varianten – bestimmt gibt es noch weitere oder es wird sie irgendwann geben – geht es immer auch um die Frage, was Literatur und Gerechtigkeit im Verhältnis von Menschen und Menschen, Menschen und Unternehmen, Politik und Unternehmen, Politik und Menschen, Menschen und Maschinen, Menschheit und Technologie aktuell bedeuten, »bedeuten« im Mehrfachsinn von:

  1. Was verstehen Urteilsgruppen darunter?

  2. Was ist es ihnen kulturell wert?

  3. Was ist es ihnen ökonomisch wert?

Isaac Asimov hat in der Kurzgeschichte »Runaround« 1942 drei Robotergesetze formuliert und sie in den 1980ern in den Romanen The Robots of Dawn und Robots and Empire noch um ein nulltes, übergeordnetes oder a priorisches Gesetz erweitert. Sie lauten:

0. Ein Roboter darf die Menschheit nicht verletzen oder durch Passivität zulassen, dass die Menschheit zu Schaden kommt.

1. Ein Roboter darf keinen Menschen verletzen oder durch Untätigkeit zu Schaden kommen lassen, außer er verstieße damit gegen das nullte Gesetz.

2. Ein Roboter muss den Befehlen der Menschen gehorchen – es sei denn, solche Befehle stehen im Widerspruch zum nullten oder ersten Gesetz.

3. Ein Roboter muss seine eigene Existenz schützen, solange sein Handeln nicht dem nullten, ersten oder zweiten Gesetz widerspricht.

Obwohl die Bezeichnung »Robotergesetze« so klingt, als müssten sich Roboter daran halten, formulieren sie tatsächlich ethische Richtlinien für Menschen, die Roboter entwickeln und programmieren. Die Robotergesetze haben, obwohl sie literarische Fiktion, »nur« Literatur sind, großen Einfluss auf die allgemeine Wahrnehmung technologischer Entwicklungen gehabt, ohne sich jedoch in aktuellen Maschinenrichtlinien und Robotik-Sicherheitsvorkehrungen niederzuschlagen.

Das ist auch besser so, denn das nullte Robotergesetz hat Potenzial zum Genozid in sich. – Was wäre etwa, wenn Donald Trump wieder US-Präsident werden und ein Gesetz erlassen würde, dass Robotern und KI auf nationalem Territorium zu befehlen sei, arme Menschen, die illegal aus dem Süden ins Land kommen, als Bedrohung für die Menschheit einzuordnen.

In »Runaround« wird bereits vorgeführt, warum Roboter für Menschen gefährlich werden: Nicht weil sie ein Roboterböses in sich tragen, sondern weil Menschen zu menschlich sind, um Robotern konsequent sachliche Befehle zu geben. Menschen neigen zum Erzählen, Auslassen, Voraussetzen. Konkret äußert sich das grundsätzliche Problem von Menschen und Robotern in der Geschichte so: Speedy, ein leistungsstarker Roboter, erleidet nach einer technisch zu vagen Anweisung, in deren Folge sich einzelne Robotergesetze gegenseitig logisch aufheben, eine Art Kreislaufkollaps und agiert danach wie betrunken.

Vermutlich erwarten Sie, erwartet ihr jetzt den naheliegenden Übergang vom ausflippenden Roboter zur entfesselten KI, aber er kommt nicht, denn interessanterweise ist mir »Runaround« bei der Vorbereitung des Vortrags zwar wegen der Robotergesetze eingefallen, die sich vielleicht auf KI übertragen lassen würden – KI kann ja als Teil von Robotik und Robotik als Teil von KI gedacht werden –, aber der desorientierte Roboter erinnert mich nicht an KI, sondern an den klassischen deutschen Literaturbetrieb in seinem Verhältnis zu neuen Technologien und mit diesen entstehenden Kulturen.

Mit »klassischer Literaturbetrieb« meine ich den, der um das Schreiben, Lektorieren, Korrigieren, Übersetzen, Verlegen, Kritisieren, Vermitteln und Verkaufen von Büchern kreist. Wenn eher wirtschaftlich auf ihn geblickt wird, heißt er »die Buchbranche«. (Ich öffne bewusst nicht hin zu »deutschsprachigem Literaturbetrieb«, weil ich den österreichischen und schweizerischen nicht gut genug kenne.)

Wie Speedy, dessen Bestimmung es ist, Aufgaben schnell und präzise abzuarbeiten, überfordert von typisch menschlicher Kommunikation, crasht und im Kreis zu rennen beginnt, geraten auch viele Menschen des Wortes, die doch besonders vernünftig und reflektiert sein sollten, regelmäßig aus der Fassung, wenn es um technologische Innovationen geht, die die Arbeit am Wort, sei es Literatur oder Journalismus, betreffen. Die Maschine bei Asimov wird unprofessionell, wenn sie zu viel Mensch abbekommt, der Mensch meiner Beobachtung nach, wenn er Angst hat, die Maschine nicht zu verstehen. So kommt es, dass absurderweise Medienmenschen, denn das sind Personen aus dem Literaturbetrieb, auch wenn die dem Buch in Deutschland traditionell zugeschriebene erhabene Sonderrolle das in der Fremd- und Selbstwahrnehmung kaschiert, auffällig oft und stark unter einer Medienangst leiden, die Züge des Unheimlichen trägt.

Es sind die Themen auf den Buchmessen-Bühnen, die verraten, was aktuell Buchmenschen das Fürchten lehrt, zu meiner Zeit waren das unter anderem schon: Internet, Blogs, E-Books, Self-Publishing, Apps und Social Media. Jetzt ist es KI. Über KI und in den Jahren davor über die anderen genannten Themen sprechen dann öffentlich mehrheitlich Menschen miteinander, die Medienangst und Ahnung von Literatur haben, aber wenig oder keine Ahnung vom vermeintlichen Endgegner. Das gilt auch für kuratierende Personen, denn sonst würde sie andere Leute einladen. Problematisch ist diese Ausgangslage, weil sie zu wenig neuer Erkenntnis führen kann, ohne dass dies selbst wieder von den meisten Beteiligten erkannt werden könnte. Dafür sorgt der Umstand, dass als Ausnahme von der Regel immer genau eine Technik- bzw. Digitalkultur-und-Literatur-Check-Person eingeladen wird – sehr oft ist das Kathrin Passig, die wirklich sehr klug über diese Themen sprechen kann. Warum allerdings nicht mehrere oder gar nur Technik- bzw. Digitalkultur-und-Literatur-Check- Personen eingeladen werden, die im Dialog womöglich sogar Problemlösungen erarbeiten könnten, bleibt rätselhaft. Solche »Digital-Vergil*innen« gibt es im Literaturbereich zwar nicht zu Tausenden, aber einige mehr als eine lassen sich ohne weiteres finden, hier bei PoetKI hat es ja auch funktioniert.

Weil eine einzelne Person mit der nötigen Expertise schlecht mit sich allein diskutieren kann, gerät ihre Präsenz zum bloßen Vorturnen. Der inhaltlich stärkste Teil von Literaturbranchenveranstaltungen wird so sehr oft performativ zum Showprogramm, während zur Hauptsache wird, dass die anderen Sprechenden ihre geteilte Angst wieder und wieder reformulieren und dadurch neu aufladen. Dabei wird in diesen Kontexten Digital-Vergil*innen durchaus Bedeutung zugewiesen, nur leider eine magische, denn auf sie wird wie im Mittelalter auf Heilige geblickt, so als könnte schon die physische Nähe Wunder bewirken: Kathrin Passig, bitte mach, dass KI uns nicht überflüssig werden lässt.

Während so der klassische Literaturbetrieb immer mehr Züge einer exklusiven Angstgemeinschaft annimmt, existieren parallel mindestens zwei weitere Literaturbetriebe mit kategorial anderem Verhältnis zu neuen Technologien, Medien und Plattformen: Der eine lässt sich als »postdigitaler Literatur-Betrieb« bezeichnen, er ist winzig, aber gewinnt zunehmend an Einfluss und auch klassischer Bedeutung. Zu ihm gehören Personen, die mit einem Bein in der Wissenschaft und dem anderen in der konzeptuellen digitalen Literatur stehen, Letzteres als Autor*in und/oder Verleger*in. Postdigitale Menschen des Wortes betrachten neue Technologien und Medien als Werkzeuge, mit deren Hilfe sie Literatur produzieren, die neben anderem auch immer die Vorstellung und den Begriff von Literatur und Schöpfung neu auslotet. Der postdigitale Literaturbetrieb ist der intellektuellste der drei, konzeptuell ist er denkbar offen, aber aktuell noch wenig vielfältig. Unter seinen Protagonist*innen ist es ein running gag, dass konzeptuelle digitale Literatur, auch KI-Literatur, selten ein page turner ist. Sie unterhält nicht im klassischen Sinn, aber regt intensiv zum Nachdenken an, allerdings wiederum nicht wie ein philosophisches Buch. Es ist das Wie des code- und maschinengestützten Erzählens, das das Lesen durchschüttelt, weil das Gelesene für Menschen aleatorisch mal Sinn ergibt und mal nicht. (Wobei der Zufall etwas reguliert wird, zumindest bei der postdigitalen Literatur, die ich kenne, wird immer etwas menschlich nachbearbeitet.) Anders als bei Asimov ist es bei der konzeptuellen digitalen Literatur die Maschine, die nicht menschlich genug erzählt, um vom Menschen klassisch hermeneutisch zu bearbeitende Literatur hervorzubringen. Das Lesen solcher Texte macht mir oft buchstäblich Gehirnschmerzen. Ich bin sicher, dass sich durch die Lektorate von Algorithmen- und KI-Literatur mein Gehirn umgebildet hat, so wie es für Menschen, die professionell klassische Musik machen oder Taxi fahren bereits erforscht ist. Vermutlich sieht es aus wie die dadaistische Collage eines Gehirns.

Die im postdigitalen Literaturbetrieb typische Doppelrolle als Theoretiker*in und Praktiker*in kam mir anfangs merkwürdig und fast etwas unseriös vor, auch bei meiner eigenen Arbeit, heute halte ich sie für zwingend, denn all das findet in der »Publishing Sphere« statt, ein Begriff der Literaturwissenschaftlerin Annette Gilbert. Die Grenze zwischen menschlichen Schreibenden und textenden Maschinen ist ja bei weitem nicht die einzige instabil gewordene. Sogar Raum und Zeit flirren in der Publishing Sphere, und durch das Onlinesein hat sich auch verändert, was als real und was als fiktional wahrgenommen wird. Das Digital-Virtuelle hängt dazwischen und wir mit ihm, nicht wie lebende Tote, würde ich sagen, eher wie untote Hyperlebendige.

Diesen gigantischen Limbus, der sich vor allem mit sozialen Medien entwickelt hat, kann meiner Einschätzung nach keine Person, die nicht bewusst Teil von ihm ist, treffend beschreiben und analysieren, denn dort sickern auch Bedeutung und Performanz ineinander, übernimmt Performanz oft sogar die Rolle von Bedeutung. Unseriös sind meines Erachtens Wissenschaftler*innen, die über soziale Medien oder digitale Phänomene sprechen, wenn sie in diesem Kontext stolz erwähnen, kein Smartphone zu besitzen oder persönlich noch niemals soziale Medien genutzt zu haben. Es ist so, als würde ich sagen: Ich zitiere nicht mehr, weil ich mir alles auch selbst denken könnte.

Der zweite parallele Literaturbetrieb, ich nenne ihn den Partizipativen Literaturbetrieb, weil es ihn ohne die aus neuen Technologien resultierende beinahe globale Teilhabe an Kommunikation und auch Literatur nicht gäbe, ist riesig. Er umfasst sehr unterschiedliche Stimmen und Literaturen, die auf neuen, noch nicht vom klassischen Betrieb validierten Kanälen erscheinen, in der jüngeren Vergangenheit sind das etwa soziale Medien und Fan-Fiction-Plattformen gewesen. Die neuen Literaturen entstehen oft zunächst ohne eine Selbstwahrnehmung ihrer Protagonist*innen als Literaturschaffende, aber auf mich und andere wirken sie literarisch, und deshalb verlege ich sie nach Kräften – leider wachsen meine Ressourcen immer schlechter nach. Ich verlege neue Literaturen aus der Publishing Sphere bewusst in schön gestalteten Büchern, denn für Literatur außerhalb von Büchern gibt es in Deutschland immer noch keine Aufmerksamkeit. Im Partizipativen Literaturbetrieb gibt es gesellschaftlich repräsentativ viele »andere Stimmen«, wie sie im klassischen Literaturbetrieb heißen, gemeint sind damit etwa migrantische und queere Autor*innen, für die in Publikumsverlagen extra experimentelle Reihen eingerichtet werden. In meiner publizistischen Perspektive sind sie nicht die anderen, sie gehören dazu und weil sie dazugehören nicht nur in Einzelfällen ins Hauptprogramm von Publikumsverlagen.

Ein Blick auf den Partizipativen Literaturbetrieb zeigt, dass die Zukunftskonferenzen der Buchbranche anachronistisch sind, denn die Zukunft des Lesens, der Literatur, des Erzählens ist längst da, wenn Blicke und Türen endlich geöffnet werden, damit die drei Literaturbetriebe zusammenwirken können, woraus sich von selbst ein solidarischer Literaturbetrieb ergeben würde. Er würde, sachlich betrachtet, als einziger verdienen, »der« Literaturbetrieb genannt zu werden. Im Kleinen, das zeigt meine Arbeit, funktioniert das Miteinander der drei Literaturbetriebe schon lange, warum sollte es nicht im großen Maßstab funktionieren.

Glücklicherweise gibt es in letzter Zeit erste Neubesetzungen von branchenwichtigen Positionen mit Technik- bzw. Digitalkultur-und-Literatur-Check-Personen. Wenn die Bundesvorsitzende des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller Lena Falkenhagen, die auch Computerspiele schreibt, 2023 unreguliert mit urhebergeschützter Literatur trainierte KI als »Raubbau am geistigen Eigentum« bezeichnet und sagt, dass man im Grunde alles löschen und neu aufsetzen müsste, klingt das für mich nicht mehr nach unheimlicher Medienangst, sondern nach einer vielleicht unrealistischen, aber nachvollziehbaren Forderung; weniger ernst kann ich es nehmen, wenn Personen auf Bühnen Datenraub beklagen und dann bei der Mailkorrespondenz rund um die Konferenz per cc eine offene Mailliste versenden. So etwas passiert immer noch, und zwar oft.

Früher plädierte ich dafür, dass Literatur Schreibende sich selbst theoretisches und praktisches Grundwissen im Umgang mit ihre Arbeit betreffender Technologie aneignen müssten. Die Zeit dafür ist mittlerweile abgelaufen, denn sowohl global operierende Tech- Unternehmen als auch demokratiefeindliche Publizist*innen überholen auf allen Spuren und in allen Richtungen mit strategischer und konsequenter Performanz. Erstere können damit rechnen, dass auch Textprofis nur in seltenen Fällen die AGB ordentlich lesen und während sie auf der Bühne noch besorgt über Urheberrechte reden, unwissentlich längst etlichen Plattformen Gratis-Nutzungsrechte an ihren Inhalten und Daten eingeräumt haben. Manche werden sich noch an die juristisch lachhaften Copy&Paste- Einspruchserklärungen erinnern, die früher auf Facebook geteilt wurden. Vermutlich gibt es sie noch heute und ich sehe sie nur nicht mehr, weil ich lange von Facebook weg bin. Weil keine Zeit mehr bleibt, rate ich den Entscheider*innen des klassischen Literaturbetriebs dringend, nicht mehr nur in Einzelfällen Verantwortung an inhaltliche und performative Expert*innen abzugeben. Sonst geht es bei den Menschen des Wortes auch nicht anders zu als beim Trash-TV, wo C-Promis öffentlich ihre Meinung zu jedem beliebigen Thema äußern, weil es primär um bekannte Namen und Gesichter, um Aufmerksamkeit und Aufregung geht und nicht um Expertise und Inhalt.

Hier nun meine kulturphilosophischen KI- und noch ein paar andere Gesetze. Ich habe sie nicht konsequent in ihrem logischen Verhältnis zueinander ausbalanciert, sie sollen nur erste Denkanstöße sein. Deshalb bitte ich darum, sie nicht kontextlos in soziale Medien zu pusten, sondern nur zum Selbstdenken zu nutzen.

0. Über KI und deren Verhältnis zu Menschen dürfen öffentlich nur Personen diskutieren und entscheiden, die über genug technisches Verständnis verfügen, um dies sachlich tun zu können.

1. KI muss reguliert werden, um Menschen und der Menschheit nicht schaden zu können. KI darf nur reguliert werden von Teams von Menschen, die über genug technisches Verständnis verfügen, um dies sachlich tun zu können und genug ethisches Verständnis haben, um ermessen zu können, was »Menschen und der Menschheit schaden« bedeutet.

2. KI-Inhalte, auch Inhalte mit KI-Anteilen müssen für Menschen grundsätzlich transparent gemacht werden.

3. KI darf Inhalte von Menschen nur nach deren Einwilligung und gegen tariflich festgelegte faire Entlohnung zum Selbst-Training benutzen. Eine freiwillige Rechteübertragung durch Menschen ohne deren Entlohnung ist nur in gemeinnützigen Kontexten erlaubt.

Auch mich selbst hat das Formulieren der KI-Gesetze weiter zum Nachdenken gebracht, vor allem darüber, warum viele und besonders viele Menschen im Kulturbereich vor KI so große Angst haben, während doch alle Befürchtungen, die sie äußern, auch ohne KI durch Patriarchat, Kolonialismus, Kapitalismus längst wahr geworden sind, weil Menschen und menschengemachte Strukturen Menschen und der Menschheit schaden, indem sie andere ungefragt und unbezahlt um ihre Arbeitskraft und ihr geistiges Eigentum bringen, sie mittels klassischer oder digitaler Sklaverei, als Musen, unbezahlte Praktikant*innen, ungefragte Ideengeber*innen aus dem Internet ausbeuten. Was ist ethisch fragwürdiger: Mit Text-, Übersetzungs-, Korrektur-KI zu arbeiten oder Menschen für diese Arbeit Honorare zu bezahlen, von denen sie nicht leben können?

Ebenso schadet es Menschen und der Menschheit nicht erst seit dem Einsatz von KI, dass mit populistischem Clickbait-Journalismus und dem marketing-, nicht inhaltsgetriebenen Verlegen von die Gesellschaft unnötig spaltenden Hass-Büchern die Demokratie ausgehöhlt wird.

Daran, dass die meisten Übersetzungen und Korrektorate – Ausnahmen bestätigen die Regel – schlecht bezahlt werden, daran, dass kleine Verlage kaum Vorschüsse zahlen können, von denen Menschen während des Schreibens leben könnten, daran, dass immer mehr eher linke Verlage Pleite gehen, ist nicht KI schuld, sondern der Markt und eine Regierungspolitik mit relativ austauschbaren Parteien, die die Interessen von Unternehmen vor Menschenrechte stellt. »Der Markt regelt das« ist eine in wirtschaftlichen Kontexten wohl zutreffende Aussage, aber was er nicht regelt, ist es, Schaden von Menschen und der Menschheit abzuhalten.

Der klassische Literaturbetrieb zwingt strukturell die meisten seiner Mitglieder dazu, unter prekären Bedingungen zu leben. Ich habe selbst die meiste Zeit meines Lebens viel zu niedrige Honorare akzeptiert und auch verlangt, weil ich mir dachte, andere Menschen müssen unterbezahlt wirkliche Drecksarbeit machen, während ich wenigstens eine selbstgewählte, schöne, freie Arbeit habe. Ich habe auch anderen Menschen ähnlich unfaire Arbeitsbedingungen zugemutet, weil ich ihnen die gleiche kulturelle Opferbereitschaft unterstellt habe. Das mache ich nicht mehr, aber deswegen kann ich als Non-Erbin auch kaum noch Bücher verlegen.

KI wird eine Gefährderrolle für Menschen im Kulturbereich zugesprochen, die dem Betrieb selbst immanent ist. Es geht trotz einiger progressiver Bemühungen immer noch grundsätzlich, strukturell unfair zu: Cis Männer halten Frauen und Queere klein und raus, klauen deren kostenlos lesbare Netz-Inhalte und -Ideen für eigene geldwerte Kontexte, Weiße tun das Gleiche mit BIPoC, Ältere mit Jüngeren, abled-bodied Personen mit Behinderten, und Bürgerliche bedienen sich am Style und Sound armer Menschen. Eltern, meist Frauen, bekommen viel weniger Stipendien und Preise, weil sie mit Kindern erst schlechter an anderen Orten arbeiten können und dann zu alt sind, um die Bewerbungsvoraussetzungen zu erfüllen.

Deshalb nach den KI-Gesetzen gleich noch Menschen-des-Wortes-Gesetze.

0. Menschen des Wortes müssen sich in der klassischen und in der digitalen Publishing- Sphäre so verhalten und diese gemeinsam so gestalten, dass sie Menschen und der Menschheit nicht schaden, auch nicht sich selbst.

1. Menschen des Wortes treten als Expert*innen öffentlich nur auf, wenn sie es sachlich sind.

2. Von anderen Menschen übernommene Inhalte sowie eigene Inhalte mit Anteilen von Inhalten Zweiter müssen grundsätzlich transparent gemacht werden.

3. Inhalte von Zweiten dürfen von Menschen nur nach deren Einwilligung und gegen tariflich festgelegte faire Entlohnung genutzt werden. Eine Rechteübertragung ohne Entlohnung ist nur in gemeinnützigen Kontexten erlaubt.

Lena Falkenhagens Aussage zu unregulierter KI, dass man eigentlich alles löschen und noch mal neu aufsetzen müsste, bringt mich zu jenem berühmten Zitat von Audre Lorde, wonach man das Haus des Herrn nicht mit den Werkzeugen des Herrn zerstören könne. Dieser Gedanke oder besser, diese Analyse Audre Lordes ist, nachdem sie mir Schwarze und queere Autor*innen im Internet überhaupt erst vor Augen geführt haben, zentral für meine gesamte Arbeit geworden. Ich sage mittlerweile: Eigentlich müsste der ganze klassische Literaturbetrieb, die ganze Verlagsbranche gelöscht und neu aufgesetzt werden, damit Literatur frei und der Literaturbetrieb offen und solidarisch sein kann.

»Raubbau am geistigen Eigentum« wird die ganze Zeit betrieben, indem interessante neue Literaturen klein- und rausgehalten werden. »Raubbau am geistigen Eigentum« wird ganz aktuell betrieben, indem zugelassen wird, dass reihenweise literarische Autor*innen resigniert verstummen, weil jene Menschen des Wortes, die in der öffentlichen Wahrnehmung für »den« Literaturbetrieb stehen, keine und seien es auch nur selbst als unzureichend aufgefassten Worte der Solidarität für ihre gesellschaftlichen Diskriminierungen und staatlicher Gewalt ausgesetzten, für ihre leidenden, trauernden jüdischen, palästinensischen, Schwarzen, muslimisch eingeordneten Kolleg*innen finden, weil sie erst gar keine Worte mehr suchen. Ich empfinde das als ästhetischen und moralischen Skandal.

In einem solidarischen Literaturbetrieb, der übrigens auch Vorbildfunktion für eine gelebte Demokratie haben würde, gäbe es Raum für unvereinbare Positionen, Gefühle und Stimmen. Unterschiedliche Menschen des Wortes könnten nebeneinander existieren und arbeiten, ohne befürchten zu müssen, wenn es mal etwas persönlich unbehaglich oder auch nur unsympathisch wird, von etwaigen Herr*innen in die Unsichtbarkeit abgeschoben zu werden. In der Überschrift zum endgültigen Entwurf des EU AI Act mag ich die Formulierung »harmonisierte Vorschriften für künstliche Intelligenz«. Es passiert wirklich nicht oft, dass juristische Texte mich beim Denken inspirieren aber hier war es so: Harmonisiert heißt eben nicht, dass etwas bereits harmonisch ist oder jemals wird, es heißt, dass man unterschiedliche Interessen möglichst gut vereint und nicht einfach laufen lässt, bis nur noch Chaos ist.

Die Diskussion über KI kann Menschen des Wortes etwas Wesentliches lehren: Literatur nicht nur konservativ zu verwalten, sondern beobachtend, analysierend, beschreibend, literarisierend, gestaltend mehr Teil des partizipativen Flows in der Publishing-Sphäre zu werden, statt durch überkommene Werte, Gewohnheiten und Medienangst Literatur/en, Menschen und Menschheit nachhaltig zu schädigen.

Menschen und Menschheit brauchen aktuell von Literatur am allerwenigsten einen primär mit seinen internen Dystopien beschäftigten Literaturbetrieb, sie brauchen Menschen des Wortes, die vordenken und vorstellbar machen, wie eine bessere oder zumindest nicht unnötig schlimmer werdende Realität aussehen könnte. Sie brauchen Literatur, um ins Umsehenlernen, ins partizipative Handeln und ins Mitgestalten zu kommen, Nah-Utopien, die plausibel machen, warum Menschen und die Menschheit gut daran tun würden, demokratiestärkend und transnational zusammenzuarbeiten, um sicher und würdevoll leben und das Leben auf der Erde schützen zu können. KI kann Menschen des Wortes dabei Anregungen geben und sie kann auch dazu beitragen, dass Menschen nicht mehr un- oder schlecht bezahlt für bestimmte Drecksarbeiten des Wortes ausgebeutet werden. Ich etwa hätte beim Verlegen im Einpersonenverlag sehr gern eine perfekt trainierte KI, die mir die allerletzte Korrekturrunde abnimmt und diesen einen übersehenen Tippfehler findet.

Nulltes Literaturbetriebs-Gesetz
Der Literaturbetrieb darf nicht der Literatur und damit der Menschheit Schaden zufügen, indem er strukturell Menschen des Wortes und Literaturen ausschließt.

Ich wünsche mir, der Literatur und den Literaturen, den Menschen und der Menschheit, dass eine Ethik literarischer Gerechtigkeit entwickelt wird, die zu einer gemeinschaftlichen Praxis führt, das Verhältnis von ästhetisch und ethisch guter Literatur mit sich ändernen technischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten immer neu auszuloten. Aktuell kann in Deutschland der Eindruck entstehen, als wäre Literatur mal ideelles, unschätzbares Kulturgut und mal gesetzlich zu schützende, geldwerte Ware. Im Kapitalismus ist aber immer beides gleichzeitig wahr.

Isaac Asimov, der Mensch, der große ethische Ideen für eine Mitgestaltung der Zukunft geliefert, der Literatur mit großem Einfluss geschaffen und andere Autor*innen zum Literaturschreiben gebracht hat, war auch der Autor, der seine literarischen Frauenfiguren ziemlich regressiv gestaltete: entweder klug oder hot – das könnte noch als bedauerlich, aber zeittypisch durchgehen. Er war aber auch der Mann, der zeitlebens im Donald- Trump-Stil Frauen notorisch in den Arsch kniff und deshalb »der Mann mit den hundert Händen genannt« wurde, und das war nicht lieb, nicht als erotisches Kompliment gemeint. Obwohl Frauen ihm explizit sagten, dass sein Gezwicke schmerzhaft und entwürdigend sei, ließ er niemals davon ab, schrieb sogar 1971 unter dem nicht sehr datensicheren und bald gelüfteten Pseudonym Dr. A das Buch The Sensuous Dirty Old Man, buchstäblich eine Anleitung zum ungeahndeten Frauenbegrapschen – natürlich in leicht ironischem Ton, denn dann gilt es ja nicht, dann ist es Literatur. Keine KI, kein Schreibroboter, sondern ein hochangesehner Autor, der es hätte besser wissen müssen, hat dieses Scheißbuch geschrieben. Nein, es war auch in den 1940ern, -50ern, -60ern, -70ern nicht normal, anderen Menschen bei der Arbeit oder auf Partys sexualisierte Gewalt anzutun, aber die Gesellschaft hatte damals im Vergleich zu jetzt noch ein bis zwei Feminismuswellen und eine me-too-Bewegung weniger durchlebt und Menschen mussten noch mehr als heute befürchten, wenn sie sich wehrten, wegen des patriarchalen Binärcodes, 1: Playboy, 0: Schlampe, 1: denkendes, vernünftig handelndes Subjekt, 0: emotionsgesteuertes, hysterisches Objekt, abgetan und erneut gedemütigt zu werden.

Halten wir fest: Eine Person mit verbürgtem moralischem Doppelstandard hat die Robotergesetze formuliert, welche Millionen Menschen in ihrem Technik-, Roboter- und auch Menschenbild geprägt haben. Ähnlich problematisch ist, dazu gibt es schon hinreichende Studien, dass aktuell eingesetzte KI zu sehr von einer bestimmten Weltbevölkerungsgruppe designt, programmiert und trainiert wird, die ich hier mal etwas flapsig weiße Silicon Valley Dudes nenne. Mittelbar wird die Menschheit so mehr auf deren mentales Portfolio geprägt.

Hier bekommt mein Vortrag ganz unabsichtlich einen ironischen Twist, denn wenn sich jetzt die erfolgreicheren Vertreter*innen des klassischen Literaturbetriebs dagegen wehren, mit ihrer Literatur ungefragt KI zu trainieren, sorgen sie unbeabsichtigt auch für mehr inhaltliche Gerechtigkeit, denn ihr literarisch eher konservativer Beitrag wäre genauso wenig vielfältig wie der der KI-Schöpfer*innen.

Am Beispiel Asimovs wird überdeutlich, dass es, wenn es um Menschen geht, eben nicht null oder eins heißen kann. Menschen sind null und eins. Alles, was von Menschen erdacht wird und für Menschen, nicht gegen Menschen arbeiten soll, muss immer auch eine gedankliche 0-und-1-Komponente enthalten, muss Menschen Raum geben für Widersprüchlichkeit, Abstrusität, Paradoxales, für Gedankensprünge, Tagträume, ungesuchte Erkenntnis, all das, was die Schöpfungskraft von Menschen nährt und ausmacht.

Mein Vortrag heute ist ziemlich sprunghaft und überladen und diffus, aber ich gehe davon aus, dass er einigen Zuhörenden etwas geben wird. Keine KI hätte ihn so schreiben können und auch kein anderer Mensch. Literatur, die das Menschsein im Zentrum hat, kann nicht von KI übernommen werden, das wird jede Person, die sich ethischen Fragen wirklich, mit dem Verstand und mit dem Gefühl, aussetzt, unmittelbar verstehen.

Literatur wird von Menschen gemacht und von Menschen zunichte gemacht. KI kann zur Unterstützung von beidem designt, genutzt und trainiert werden.

KI-Imperativ für Menschen des Wortes
Schreibe nur diejenige Literatur, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie KI trainiert, ohne Menschen und der Menschheit zu schaden.

Im EU AI Act gibt es in Artikel 1 eine weitere interessante Formulierung, sie lautet »Einführung von menschenzentrierter und vertrauenswürdiger künstlicher Intelligenz« und eignet sich für ein schönes Gedankenspiel ganz ohne Chatbot: Was ist, was könnte eine menschenzentrierte und vertrauenswürdige Literatur sein? Ich glaube, es wäre mit der Menschheit in ihrer Vielfalt solidarische Literatur, Literatur, die als ihr nulltes, a priorisches Gesetz das Plausibelmachen der Menschenrechte versteht.

KI, bitte mach, dass Menschen sich endlich die Schönheit des solidarischen Literaturbetriebs vorstellen können.

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