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"Nur der Himmel weiß, wie ihre Lea so krank werden konnte und sterben musste". 

Mein Kind ist tot. Es geht mir gut. Zwei Sätze, die nebeneinander keinen Platz haben. Und doch stehen sie so da. Und ergänzen sich, nur durch einen winzigen Punkt getrennt. 

Nur der Inhalt hinter dem Wort "gut"  ist ein ganz anderer. Ich wünsche mir oft eine andere Sprache für das Leben nach dem Tod des eigenen Kindes. Mein "gut" ist ein anderes. Eines, das an der Ungeheuerlichkeit des Todes eines kleinen, unschuldigen Mädchens gemessen ist. Ich bin angekommen in diesem neuen Leben, das ich mir niemals ausgesucht habe. Und es geht mir gut, weil ich genau diese Ungeheuerlichkeit als Teil meines Alltags lebe. Ich lebe aus diesem Tod heraus und mit ihm. Mit meinem toten Kind.

An dem 4. Todestag meiner Tochter Lea im Oktober 2021 saß ich auf der Bank vor dem Grab und blätterte ganz weit zurück in meinem Büchlein, wo ich meine Gedanken festhalte. Ich war über die Tragweite der Worte für mich in diesem Moment überrascht und da flammte die Idee auf, dass es einen größeren Wert haben könnte, auch für andere. Und doch auch für mich, wenn ich sie ein Stück weit in die Welt tragen kann - weil es so viel zu sagen gibt über das Unsagbare.

Seither schreibe ich öffentlich in einem Blog auf Instagram @mein.tanz.imregen.deiner.asche

Im Schreiben finde ich einen Weg der Heilung. Worte an mein geliebtes kostbares Kind. Worte über meine Tochter. Gedanken über den Tod und das Leben und ganz viele, die beides verbinden - die Liebe.

"Nur der Himmel weiß...." ist ein Satz - nicht von mir geschrieben, der für immer in meiner Erinnerung bleiben wird.

Der Satz fiel fast ein Jahr nach Leas Tod - als Ergebnis der umfangreichen humangenetischen Untersuchung.

Drei Monate nach Leas Tod saßen mein Mann und ich wieder in einem Wartezimmer eines Krankenhauses, im Institut für Humangenetik.

Damals hoffte ich auf eine Erklärung. Auf eine Antwort. Auf eine Ursache. Damals dachte ich, es würde mir helfen, wenn es eine gäbe. Wenn ich verstehen könnte, wie ein kerngesundes Kind einen Hautkrebs bekommt und dann einfach keine Luft mehr nach elf Monaten.

Als seit der Untersuchung etwas drei Monate vergangen waren, meldete sich jemand aus der Klinik, um uns mitzuteilen, dass es so ungewöhnlich und unerklärlich ist, dass wir das Ganze wiederholen müssen. Ich schmunzelte - ja, das ist Lea.

Ein Abstrich mehr und eine Blutentnahme waren notwendig.

Einige Monate später klingelte das Telefon, während ich eine gepackte Tasche in der Hand hielt, um in mein erstes Ausbildungswochenende zur Yogalehrerin aufzubrechen. 

Alles, was es gibt, wurde untersucht. Auch das, was wir gar nicht wissen wollten. Und weil es so positiv war, wurde es uns trotzdem gesagt.:

"Nur der Himmel weiß, wie ihre Lea so krank werden konnte und sterben musste". 

Ich schmunzelte - ja, das ist Lea.

Jede mögliche Erklärung und Ursache hätte alles in Frage gestellt, was in den Monaten davor passiert ist. DAS war die Antwort, die ich gebraucht hatte - viele Monate später. Denn genau so habe ich Lea neu kennen gelernt, unsere Beziehung fernab von "erklärlichen" Dingen zu leben. Weil das eben meine Lea ist. Nicht mehr greifbar, nicht mehr zum anfassen, aber da.

Ich weiß um sie. Und es ist nicht ein Glaube, nicht die Vertröstung auf ein Wiedersehen im Jenseits, das meinen eigenen Tod voraussetzt. Es ist  nicht die Vorstellung von einem Kind, das im Himmel bei einem Gott aufgehoben ist. Genau solche Gedanken waren grausam für mich, weil sie nichts als Trennung implizieren. Ich wollte mein Kind im Hier und Jetzt, in meinem Weiterleben. Und genau das durfte ich erfahren und unsere Beziehung in einer anderen Form entdecken. Mein verstorbenes Kind selbst ist mir der größte Trost. 

Und auch nach über fünf Jahren ist es nicht anders. Es gibt einen Unterschied und das ist gut so. Und es bedeutet bei Weitem nicht, dass es leichter ist, aber eben anders. Ich finde den Vergleich von akutem und chronischem Schmerz sehr treffend. Was besser oder schlechter ertragbar ist, können sich vielleicht die Leser selbst fragen. Akut, schlimm, stechend, unkontrollierbar, mit der Hoffnung, dass er aufhört oder chronisch, nicht so stechend, bekannt, durch mühsam erprobte Möglichkeiten der Linderung unter Kontrolle, aber mit der schrecklichen Gewissheit, dass er immer bleiben wird und nicht heilbar ist.

Er ist Teil meines Alltags genauso wie Lea darin präsent ist.

In meinen Gedanken ist sie es jede Minute. Auch in meinem Tun und insbesondere im Umgang mit meinen lebenden Kindern. Wir singen dieselben Kinderlieder, wie spielen mit Leas Spielsachen, im Kinderzimmer hängen von Lea gemalte Bilder. Manchmal zeigen sie Lea etwas oder wollen Essen teilen und bringen es zu ihrem Foto. Der kleine Bruder hat verstanden, dass Federn eine besondere Bedeutung haben und findet dann "Grüße von seiner großen Schwester" beim Spazierengehen.. Das sind zutiefst schöne und traurige Momente.

Pures Glück und verzweifelte Traurigkeit reichen sich die Hand, Tag für Tag.

Schreckliches Vermissen und das Leben genießen bis in die kleinsten Facetten dessen, was es zu geben hat, wechseln sich ab. 

Ich halte die Balance und Yoga hilft mir dabei. Ich möchte so oft in die Welt hinaus schreien und das Schreiben ist mir ein Mittel dafür geworden. 

Ich will laut sein und habe die Stille lieben gelernt. Gleichzeitig lebe ich beides. 

Gleichzeitigkeit ist für mich DAS Eigenschaftswort, um mein Leben zu beschreiben. Viel und wenig. Zu wenig von dem, was so so viel war mit meiner Tochter. Viele Erinnerungen aus wenigen Monaten. Wenige Monate, die viel mehr mein Leben prägen als die meisten Jahre davor und danach. 

Ich habe damals die Koffer gepackt für einen neuen gewagten Schritt. In die Ausbildung zur Yogalehrerin. Mit der frischen Nachricht in den Ohren, dass es keinen genetischen Grund für Leas Tod gibt und den Folgerungen daraus und mit dem unsichtbaren Schmerz auf den Schultern. Das war mein Gepäck und der Koffer war ohne Boden und ich schöpfe weiterhin aus ihm - als Leas Mama und die von zwei weiteren Kindern, als Schreibende und Yogaliebende. 

Das ist kein Happy End. Nur Schlusswort für einen Text, der ein Versuch ist ein wenig greifbarer zu machen, was nicht begreifbar ist: Wie überlebt ein Mensch die größte Katastrophe? In gelebter Gleichzeitigkeit.

Mit individuellen Wegen, die sich auftun. 

Am Wegesrand immer Hinweisschilder, die vom Verlust zeugen und in eine Richtung zeigen.

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