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Welches Thema triggert stärker als ein Veggie-Day in einem stillgelegten Atomkraftwerk? Richtig: Degrowth. 

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#49 #Kapitalismus #Wachstum #Planetare Grenzen

Einigkeit und Recht und Wachstum

Auf einem endlichen Planeten kann es kein unendliches Wachstum geben. Trotzdem ist die gesamte Weltwirtschaft darauf ausgelegt. Dabei gibt es gute, längst überfällige Alternativen ~ 7 Minuten Lesezeit

Warum klingt eine sechs Grad heißere Erde weniger nach Science-Fiction als eine, die in naher Zukunft auf eine schrumpfende Wirtschaft setzt, um die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten? 

Wenn wir das Klima stabilisieren wollen, kommen wir an irgendeiner Form von Degrowth nicht vorbei – das steht sogar im IPCC-Bericht. Und trotzdem findet dieser riesige Elefant im Raum kaum Platz in öffentlichen Debatten. Dabei müssen wir dringend über die Alternativen zum derzeitigen Kapitalismus sprechen. 

Mehr Stücke statt größerer Kuchen

Seit Pandemie-Beginn 2020 gingen 66 Prozent des globalen Vermögenszuwachses an das reichste Prozent (in Deutschland waren es sogar 80 Prozent).

Nochmal zum auf der Zunge zergehen lassen: 99 Prozent der Menschen haben nur krümelige 20 Prozent des Wachstums-Kuchens abbekommen – Manuel hat über diesen Skandal letztens eine ganze Ausgabe geschrieben. 

Ausgabe #43: Erde an Robin Hood: Bitte kommen – Wie Ungleichheit die Klimakrise befeuert.

💌 Ausgabe #43: Erde an Robin Hood: Bitte kommen (Abre numa nova janela). Wie Ungleichheit die Klimakrise befeuert.

Industriestaaten haben kein Produktionsproblem, sondern ein Verteilungsproblem. Ein höheres Bruttoinlandsprodukt (BIP) führt dementsprechend auch nicht zu weniger Armut. Mehr Wirtschaftswachstum macht viel mehr das reichste Prozent reicher – und den Planeten kaputt. Wer will das eigentlich noch? 

BIP: das Maß aller Dinge

Wachstum ist, wenn das BIP steigt. Das passiert, wenn zum Beispiel Autos oder Bambuszahnbürsten produziert und verkauft werden oder Menschen ins Kino gehen. Aber auch wenn RWE Wälder für die Kohle darunter abholzt oder das Ahrtal überflutet wird. All die neuen Straßen und Häuser, die gebaut und Stromkabel und Leitungen, die verlegt werden müssen, fließen in das BIP (Abre numa nova janela) Deutschlands ein. 

Es dürfte kaum verwundern, dass diese magische Kennzahl, in der Zerstörung Wert schafft, ihren Ursprung im Zweiten Weltkrieg hat. Die gesamte Wirtschaftsleistung eines Landes erstmals in einer einzigen Zahl sichtbar zu machen, hatte damals seine Vorteile. Mit ihr konnten vor allem die Briten und Amerikaner schnell und mit ausreichender Genauigkeit die verfügbaren Mittel für Kriegs- und Rüstungsausgaben schätzen. 

Für Wohlstandsmessung ist sie allerdings völlig ungeeignet. Und noch viel schwerwiegender: Sie verhält sich gegenläufig zur Einhaltung der planetaren Grenzen. Sprich, je größer das Wirtschaftswachstum, desto mehr Ressourcen werden verbraucht und desto mehr CO₂ landet in der Atmosphäre.

Das ist eigentlich total logisch. Mehr Dinge brauchen mehr Materialien, um hergestellt zu werden und mehr Energie, die momentan noch zu großen Teilen fossilen Ursprungs ist, sodass CO₂ ausgestoßen wird.

Mehr Wachstum zerstört unseren Planeten. Nicht nur, weil er immer mehr Emissionen bedeutet, sondern auch weil Wälder gerodet, Flächen versiegelt, Ressourcen aufgebraucht, Tiere und Pflanzen getötet und ganze Landstriche wie karge Mondlandschaften zurückgelassen werden. Gerade eben, am 4. Mai, war der Earth Overshoot Day für Deutschland. Ab jetzt verwirtschaften wir für den Rest des Jahres Ressourcen, die der Planet nicht mehr regenerieren kann.

Grünes Wachstum klingt verlockend

Aber wenn wir auf erneuerbare Energien und Kreislaufwirtschaft umsteigen, könnte es dann nicht grünes Wachstum geben? So oder ähnlich hören sich sogar die Überlegungen vom grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck an. 

Die deutsche Wirtschaft ist im vergangenen Jahr um 1,9 Prozent gewachsen. Grünes Wachstum wäre es nur dann, wenn gleichzeitig die Menge an Treibhausgasen in der Luft sinken würde. Man spricht dann von Entkopplung (englisch: Decoupling). Und da wären die anderen planetaren Grenzen wie Landverbrauch und Wassernutzung noch gar nicht mitgedacht.

Für jedes zusätzliche Prozent BIP müsste also mehr CO₂ aus der Luft geholt werden, als ein Staat produziert. Das ist bei jetzigem Kenntnisstand, vorsichtig gesagt – unmöglich. Falls dieses Luftschloss irgendwann Realität werden sollte, sind längst diverse Klima-Kipppunkte überschritten.

Es braucht zwar immer weniger CO2, um Wert zu schaffen, eine vollständige Entkopplung ist jedoch nicht in Sicht. 📸: Bundeszentrale für politische Bildung, 2016; Jackson, T. (2013)

Es braucht zwar immer weniger CO, um Wert zu schaffen, eine vollständige Entkopplung ist jedoch nicht in Sicht. 📸: Bundeszentrale für politische Bildung, 2016; Jackson, T. (2013)

Und es gibt noch eine riesige Hürde: den Rebound-Effekt. Effizientere Technologien führen nämlich häufig nicht zu weniger Emissionen, sondern zu mehr Leistung. Oder fallen Dir viele E-Auto-Modelle in Smart-Größe ein? 

Solange Wirtschaftswachstum nicht von Ressourcen- und Energieverbrauch entkoppelt ist, ist Wirtschaftswachstum schlecht für den Planeten. So einfach ist die Gleichung.

Auch beim IPCC geht’s um Degrowth

Wenn es so offensichtlich ist, dass ein wachsendes BIP mit der Klimakrise korreliert, müsste der IPCC-Bericht dann nicht voll davon sein? Ist er auch – aber eher im Kleingedruckten. Selbst die Emissionsszenarien des IPCC fokussieren sich nämlich noch darauf, bei möglichst hoher Wirtschaftsleistung möglichst wenig Treibhausgase auszustoßen und stattdessen CO₂ im großen Stil aus der Luft zu filtern. Szenarien, die Auswirkungen von Degrowth beinhalten, sind kaum vertreten, da sie mit wenigen Ausnahmen nicht in die Datenbank aufgenommen wurden – so schreibt es der IPCC selbst, im dritten Teil des aktuellen Reports. 

In der Summary for Policymakers, der entscheidenden Zusammenfassung, um die politisch von den UN-Staaten gerungen wird, findet Degrowth dann auch so gut wie keine Erwähnung. 

Anders im 2258 Seiten langen Hauptbericht. Hier liest man zum Beispiel diesen Satz: „Mehrere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass nur ein Postwachstumsansatz eine Klimastabilisierung unter 2 Grad ermöglicht“. Mit anderen Worten: Um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten, darf die Weltwirtschaft nicht weiter wachsen.

Und an anderer Stelle steht sogar: „Die Annahmen bezüglich Wirtschaftswachstum sind die wichtigste Variable für die Emissionen eines Szenarios“. 

Das ist schon bemerkenswert. Der größte Hebel, den wir in der Hand haben, um unseren Planeten als Lebensraum zu erhalten, ist demnach unsere Wirtschaftsleistung runterzufahren. Warum hören wir darüber so gut wie nichts in Talkshows oder in Zeitungen?

Die Angst vor weniger Wachstum

Ulrike Herrmann argumentiert in ihrem neuesten Buch Das Ende des Kapitalismus (Abre numa nova janela) für einen radikalen Wirtschaftswandel: private Flugreisen, PKW, große Einfamilienhäuser – alles nicht mehr drin, wenn man die Stabilisierung des Klimas priorisiert. 

Wenn man das Ende des Kapitalismus zu Ende denkt, könnte also ganz schön viel von dem auf der Strecke bleiben, was uns heute als selbstverständlich vorkommt. Wovon man hingegen mehr hätte, wäre vor allem: Zeit. Weniger Dinge, dafür mehr Freiheit (im ursprünglichen Sinne des Wortes, nicht in FDP-isch).

Man kann Ulrike Herrmanns Vision einer wachstumsfreien Welt mögen oder nicht. Wer sie dystopisch findet, sollte zumindest das andere Ende des Spektrums auch einmal zu Ende denken: fortschreitendes Wachstum trotz endlicher Ressourcen, bewaffnete Konflikte um schwindenden Wohnraum und knappe Lebensmittel, unaufhaltsam steigende Meeresspiegel, Milliarden Menschen auf der Flucht. Ist der Weg zum Ende des Kapitalismus wirklich so viel befremdlicher als der Weg zum Ende der Welt? 

Die Wirtschaft in zwei Kreisen

Die vielleicht eingängigste Alternative für eine Wirtschaft mit Zukunft liefert Kate Raworth mit ihrem Konzept der Doughnut Economics. Sie zeichnet die Weltwirtschaft mit nicht mehr als zwei Kreisen: Nach unten hin ist sie begrenzt durch das Einhalten von Menschenrechten und dem Erreichen der Sustainable Development Goals der UN. Nach oben hin bilden die Ressourcen des Planeten eine natürliche Grenze. In der Mitte, dem Doughnut, ist der Bereich, in dem wir uns als Menschheit wirtschaftlich austoben können.

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Doughnut Economics: Ein sicherer und gerechter Wirtschaftsrahmen. 📸: conversationearth.org (Abre numa nova janela)

Und wie kommen wir dahin? Nicht besonders sinnvoll wäre es, um jeden Preis die Wirtschaft zu schwächen. Sorgen vor Rezession und Arbeitslosigkeit sind natürlich nicht ganz unbegründet. Und ein globales Finanzsystem kann zwar über Nacht crashen, das hat bisher aber nicht dabei geholfen, das Prinzip von Investitionen und Zinsen menschenfreundlicher zu gestalten. 

Momentan ist eine schrumpfende Wirtschaft noch ein Fehler im System. Aber es gibt auch Möglichkeiten, das System neu auszurichten. Neue Kennzahlen als Alternative zum BIP wären ein Anfang. 

Da gäbe es zum Beispiel den Human Development Index, der die Lebenserwartung, Bildung (in Anzahl der Schuljahre) und das Bruttoeinkommen pro Kopf in einem Land zusammenfasst.

Ein Land kann maximal den Wert 1 erreichen. 📸: taz.de (Abre numa nova janela)

Oder den Happy Planet Index, bei dem lateinamerikanische Staaten ziemlich abräumen. Er spiegelt Lebenserwartung, Lebenszufriedenheit und Ungleichheit wieder – im Verhältnis zum ökologischen Fußabdruck eines Landes.

Deutschland landet im Happy Planet Index übrigens auf Platz 49, die USA auf Platz 108. 📸: taz.de (Abre numa nova janela)

Der Weg zum Doughnut

Nachdem man wichtigere Dinge richtiger misst, könnte man längst überfällige soziale Innovationen auf den Weg bringen. Innovationen, von denen vor allem die 99 Prozent profitieren, die bisher nur einen kleinen Teil des zusätzlichen Reichtums abbekommen: ein bedingungsloses Grundeinkommen, ein Maximalerbe, einen Mindestlohn, der an einen Maximallohn gekoppelt ist, Förderung von geteiltem Besitz (zum Beispiel Autos, Werkzeug, Waschmaschinen und Ferienwohnungen), Klimageld, Einmalzahlungen an junge Erwachsene. Das alles kann Degrowth sein. 

Für nichts davon wird es schnelle oder einfache Mehrheiten geben. Und natürlich ist der Erfolg dieser riesigen Transformation alles andere als abgemachte Sache, auch hinsichtlich geopolitischer Spannungen. 

Unterm Strich steht bei den Überlegungen wie so häufig die Frage: Wohin wollen wir eigentlich? Was ist überhaupt unser Ziel? Wachstum um des Wachstums Willen, nach einem längst abgelaufenen ökonomischen Rezept kann es schon mal nicht sein. Der erste Schritt, um uns das bewusst zu machen, ist vielleicht damit aufzuhören, Reichtum mit Glück, Verteilung mit Armut und mehr mit besser gleichzusetzen.

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Die Community-Umfrage

Dieses Mal brauchen wir das gesammelte Know-How der Treibhauspost-Community. Wir sammeln Tipps, Insights, Strategien, Hacks, Ideen, Routinen und alles, was dabei hilft, einen kleineren Fußabdruck oder größeren Handabdruck zu hinterlassen. Die besten und originellsten Tipps landen vielleicht sogar in einer unserer nächsten Ausgaben ...

Was ist Dein ganz besonderer Tipp für ein planeten-kompatibles Leben? (Abre numa nova janela)

Und hier die Umfrage-Ergebnisse aus unserer letzten Ausgabe (Abre numa nova janela): Vielleicht war unsere Frage auch ein bisschen zu offensichtlich – auf jeden Fall halten 90 Prozent von euch ziemlich viel vom Konzept der sozialen Kipppunkte.

Die nächste Treibhauspost bekommst Du am 20. Mai. Wir können es selbst kaum glauben, aber es wird unsere 50. Ausgabe!

Herzliche Grüße
Julien

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