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Lust aufzubrechen

Über zehn Jahre habe ich das Elend der Welt beschrieben. Soldaten, die im Libanon ausländische Arbeiter verprügelten. Junge Syrer, die vor dem Krieg in ihrem Land durch den Balkan nach Deutschland flohen. Ein Jugendlicher aus dem sächsischen Aue, der mir erzählte: Neonazis hätten erst sein Skateboard zerbrochen, ihn anschließend Liegestützen „für den Führer“ machen lassen und dann eine Zigarette auf seinem Hals ausgedrückt.

Einmal rief mich meine Mutter an, als ich gerade von einer Recherche wegfuhr, und fragte, wie ich mit dem ganzen Leid umgehen würde. Ich hatte keine richtige Antwort darauf. Ich sagte, dass ich da eine professionelle Distanz hätte, es nicht an mich ranließe.

Ich glaube, ich hatte einfach verinnerlicht, dass nur News ist, was scheisse ist, das es zur Jobbeschreibung also dazugehörte. Außerdem glaubte ich: Wenn nur alle Menschen von den Problemen wüssten, wenn ich nur genug schreiben würde, dann würde sich auch etwas tun.

Und manchmal gelang das. Gegen die gewalttätigen libanesischen Soldaten gab es einen Aufschrei. Die Armee musste sich erst rechtfertigen und ihre Übergriffe dann einstellen.

Einer der Syrer, die ich begleitete, wäre fast abgeschoben worden, bekam dank meines Artikels Asyl in Deutschland.

In Aue gab es in der Stadtgesellschaft eine monatelange Diskussion über Rechtsradikalismus, nachdem meine Artikel erschienen.

Dann noch mein erster Klima-Essay, in dem ich die gesamte Brutalität der weltweiten Prognosen zusammenfasste, und von dem mir über die Jahre mehrere Menschen gesagt haben: aufgrund dieses Texts bin ich Aktivist:in geworden.

Doch meistens war das nicht der Fall, meistens passierte nichts – das Elend der Welt, es ist hinreichend beschrieben.  Alle die es wissen wollen, wissen es. Eigentlich wissen es alle. Aber längst nicht mehr alle haben die Kapazitäten, es zu halten.

Kürzlich telefonierte ich mit dem Mann meiner Mutter, der sich viel und gern mit seinen Nachbar:innen unterhält. Er meinte: Die Menschen sind komplett zu. Covid. Krieg in der Ukraine. Krieg in Gaza. Inflation ­– da sei schlicht kein Platz mehr für weitere Krisen wie das Klima.

Meine Mutter fügte in anderem Kontext passend hinzu: Ihr sei aufgefallen, wie früh in diesem Jahr die Menschen angefangen hätten, für Weihnachten zu dekorieren. Sie würde es sich zuhause gemütlich machen, sich verkriechen.

Und mir geht das auch so. Ja, ich habe mich in meinem Schreiben immer auf ein einziges Thema konzentriert. Aber neben der Klimakrise bleibt auch einfach wenig Raum. Corona, Kriege – ich habe mich nicht so eingehend damit beschäftigt, wie es angemessen gewesen wäre.

Ja, viele Kennzahlen zeigen global in die richtige Richtung – Kindersterblichkeit, extreme Armut, Schulbildung – doch das fühlt sich nicht so an. Mein Aktivismus hilft, aber natürlich habe auch ich Angst. Wo ich auch hinkomme, geht es Menschen ähnlich.

Angst führt dazu, dass Menschen einander weniger vertrauen. Sie lässt uns schlechtere, kurzfristigere Entscheidungen treffen. Sie macht uns krank. Rutger Bregman, der Philosoph und Aktvist, empfiehlt nur ein Mal in der Woche Massenmedien zu konsumieren. Ich kann dem mittlerweile viel abgewinnen.

Im Sommer habe ich längere Zeit mit einer Gruppe verbracht, und am Schluss sagte eine Frau zu mir: „Ich glaube, du bist bereit, nicht mehr gegen Dinge zu kämpfen, sondern für sie.“

Von den vielen Gesprächen in dieser Zeit, eigentlich vom ganzen Jahr, ist dieser Satz besonders präsent geblieben. Worte für einen inneren Wandel in mir, den ich vielleicht schon spüren, aber noch nicht so benennen konnte.

Buckminster Fuller hat mal gesagt: “Man ändert nie etwas, in dem man die aktuellen Gegebenheiten bekämpft. Um etwas zu ändern, erschaffe etwas Neues, das das Alte hinfällig macht.”

In seiner Absolutheit halte ich dieses Zitat für Quatsch. Aber, ja, angesichts des riesigen Ungleichgewichts in unserer medialen Debatte, habe ich das Bedürfnis, mich mit den Alternativen zu beschäftigen. Mehr als das. Ich spüre, dass es drängend notwendig ist, denn: Wenn wir nicht wissen, was wir wollen, wie sollen wir dann dafür kämpfen?

Und Alternativen meine ich nicht Solarpaneele und Insekten als Lebensmittel, weil sie so proteinreich sind. Und ich meine auch nicht nur darüber schreiben: Ich glaube, die Probleme der Welt wurzeln in diesem Klumpen aus Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus, der uns allen so schwer im Magen liegt – dem kommt man theoretisch nicht bei.

Das geht nur durch gelebtes Erfahren.

Doch die jahrzehntelange Konditionierung in einer medialen Debatte, die angstbasiert ist, einfach vergessen, geht nicht. Dafür gibt es keinen Schalter, den ich umlegen könnte. Es ist ein Weg, den ich versuchen will zu gehen. Nicht mehr auf die Dunkelheit starren, sondern die Lichtungen suchen – es reizt mich auch, weil es paradoxerweise gegen den Mainstream geht. Zynisch sein, ist für viele Realismus. Wer ans Gute glaubt, gilt als naiv.

Was da genau vor mir liegt? Keine Ahnung. Ich habe tatsächlich keine Landkarte, keinen genauen Plan. Aber Lust, aufzubrechen und vielleicht klappt es ja, vielleicht finde ich ja ein universelles utopisches Prinzip, eine Vision oder eine Lösung – irgendetwas, das meinen, das unseren Bemühungen eine Richtung gibt, ja vielleicht sogar Hoffnung spendet.

Falls Du einige Bücher, Filme oder Gruppen kennst, die dich inspirieren, mail mir gerne oder lass einen Kommentar da: Ich würde diesen Newsletter nicht schreiben, wenn ich glauben würde, das alles wäre eine Solo-Expedition – letztlich wird es nur gemeinsam gehen.

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