Ich bin nicht schuld - 31.10.2022
Ich suche Antworten auf die Fragen, was richtig ist, was ich tun kann angesichts der Zerstörung. In den ersten beiden Newslettern habe ich beschrieben, wie es sich für mich anfühlt in dieser Welt aus den Fugen, und wo ich mich befinde: in guter Gesellschaft von immer mehr Leuten, die sich in die gleiche Richtung bewegen.
Und ich merke, bevor ich zu den Antworten kommen kann, würde mir mehr Selbstverortung helfen. Wer bin ich in dieser ganzen Sache? Und das funktioniert ja auch ex-negativo: Wer bin ich nicht? Und ich merke, das Wichtigste dabei ist, mir klar zu machen: Ich bin nicht schuld.
Wahrscheinlich kennst Du die Geschichte: 1981 schrieben Wissenschaftler des Ölkonzerns BP eine Studie über die Konsequenzen der massenhaften Verbrennung fossiler Brennstoffe. Sie prognostizierten:
„Effekte, die katastrophal sein werden (zumindest für einen substantiellen Teil der Erdbevölkerung)“.
Bereits vor vierzig Jahren wussten also die Chefs von BP, genau wie die Chefs von Shell und Total, was passieren würde – nicht genau, aber annäherungsweise: Dürren, Unwetter, Hunger für Millionen von Menschen.
Es hätte der Moment gewesen sein können, in dem sie zu ihren Regierungen gegangen wären, um zu sagen: “Hey, wir wollen unsere Profite sichern, aber dabei nicht den Planeten zerstören, gleichzeitig braucht es natürlich Energie für die Wirtschaft – Wie können wir das gemeinsam hinbekommen?”
Kein leichtes Unterfangen in einem System der Konkurrenz, doch sie versuchten es nicht mal. Im Gegenteil: Sie ließen ihre Studien in der Schublade verschwinden, und schlimmer noch – sie begannen die Wahrheit zu attackieren. Sie produzierten Fakestudien, bestachen Politiker:innen, schüchterten Klimawissenschaftler:innen ein.
Allein zwischen 2000 und 2016 gaben fossile Konzerne zwei Milliarden Dollar für Lobbyismus aus.
Und es funktionierte.
Auch hierzulande.
Politiker:innen der SPD und CDU trafen immer wieder Vertreter:innen der RWE zu zahlreichen Hintergrundgesprächen. Christian Lindner erhält für Reden bis zu 15.000 Euro, zu seinen Auftraggebern gehören fossile Energieunternehmen wie E.ON, seine Partei lädt Klimaskeptiker in den Bundestag ein. Das Bundeswirtschaftsministerium, so erzählen Insider, habe zeitweise komplette Gesetzesvorschläge aus Lobbyschreiben zusammengesetzt. Es ging so weit, dass RWE-Mitarbeiter:innen bezahlt worden seien, um Gesetze zu schreiben, in denen geregelt wird, wie RWE beaufsichtigt wird. Das bedeutet: RWE kaperte deutsche Staatsorgane.
© RONJA RØVARDOTTER (Abre numa nova janela)
Schuld bedeutet, dass man die Wahl hat zwischen mehreren Handlungsoptionen, und dann die falsche wählt. Die Konzernchefs hatten und haben die Wahl für Profit den Planeten zu zerstören, oder es zu lassen. Und doch tun sie es.
Ich weiß, es wird nicht mehr so gerne von Schuld gesprochen, passt nicht zum postmodernen Relativismus. Aber ich kann mir kein Wertesystem vorstellen, in dem es richtig ist, die Welt auf einen Kurs zu bringen, in dem die Menschheit zusammen mit sechsundneunzig Prozent aller anderen Arten ausstirbt. Und das wäre eigentlich schon schlimm genug. Töten für Geld.
Aber es gibt da diesen perfiden Part, der mich rasend macht: Ein Teil der fossilen Strategie war es, die Verantwortung für das Sterben auf das Individuum abzuwälzen. BP stellte vor einigen Jahren den ersten CO2-Fußabdruckrechner ins Internet, um zu sagen: Die Schuld liegt bei Dir!
Dabei kann man in unserem System nicht klimagerecht leben. Transport, Lebensmittelproduktion, Wärme – alles hängt von Öl ab. Dafür haben die fossilen Konzerne gesorgt. Dafür hatten sie das Geld: die 20 größten Ölkonzerne machten in den vergangenen Jahrzehnten täglich drei Milliarden US-Dollar Profit. Das ist ein Prozent des gesamten Wohlstands der Erde.
„Mit all diesem Geld kann man jeden Politiker und jedes System kaufen“, sagt Aviel Verbruggen, der die Zahlen berechnet hat.
Das soll nicht heißen, die Ölkonzerne sind allmächtig und können alles kontrollieren und bestimmen. Und das heißt nicht, dass ich nicht profitiere. Aber es ist eine Sache, wissentlich zu lügen und zu zerstören, und eine andere Komplize zu sein, weil man es nicht besser weiß.
Und für mich war es wichtig, diese Zusammenhänge zu verstehen.
Meine Schuldgefühlen lähmten mich immer mehr, denn egal wie sehr ich mich anstrengte und mein Leben, meinen Konsum einschränkte, nie war es genug. Nach der Schuld zu fragen war also wichtig, um mich nicht mehr ständig selbst fertigzumachen.
Heißt das dann, Du, ich, wir sind fein raus?
Nein.
Denn neben der Schuld gibt’s die Verantwortung.
Ich besitze eine Reihe von Privilegien. In meinem Fall: Ich bin männlich, weiß, bin zwar aus einem ArbeiterInnenfamilie, habe aber einen akademischen Abschluss und bin weitgehend gesund. Das heißt, ich habe Möglichkeiten, auf mein Umfeld einzuwirken.
Und auch wenn das manchmal schwierig ist, weil ich nicht weiß, was der richtige Hebel ist, genieße ich es vor allem, denn: Ich habe die Möglichkeit, etwas zu tun, und nichts hilft besser gegen die Verzweiflung angesichts der Lage der Welt, als zu handeln – am besten gemeinsam mit anderen, die die Welt ähnlich sehen wie ich.