Von Hühnern und Liebe
Ich spiele mit dem Feuer. Das weiß ich. Wenn ich erzähle, wie kraftvoll, ja schön Wut ist, dann beschwöre ich machtvolle Geister. Wut kann unglaublich zerstörerisch sein. Aber das gleiche gilt für Liebe, für Trauer, für Angst – sie alle haben Schattenseiten: Abhängigkeit, Depression, Paranoia.
Nach meinem letzten Newsletter schickte mir jemand einen TED-Talk (Abre numa nova janela). Die Tierrechtsaktivistin Leah Garcés erzählt darin, wie sie zum ersten Mal den Besitzer eines Hühner-„Farm“ getroffen hat, die beiden Vertrauen zueinander aufbauten und schließlich ein gemeinsames Video veröffentlichten, darin: all die Brutalität, die unsere Art, Tiere zu halten, bedeutet. Millionen von Hühner eingesperrt in stinkende, dunkle Hallen, wo sie krank werden und verrecken.
Das Video ging viral, es gab eine öffentliche Debatte, und bald saß Garcés beim Chef eines Konzerns, dessen Profite darauf basieren getötete Tiere zu verkaufen. Weil sie zufällig beide adoptierte Kinder in ihrer Familie hatten, fanden sie einen Zugang zueinander, und begannen zusammenzuarbeiten für bessere Haltungsbedingungen.
Die Geschichte ist ein bisschen märchenhaft, hochpoliert zu diesem schicken TedX-Stil, und natürlich trotzdem inspirierend, weil sie eine der höchsten menschlichen Qualitäten zum Ausdruck bringt: kleinliche Gefühle von Rechthaben wegschieben, um sich für das größere Gut einzusetzen.
Garcés hätte sich in ihrer moralisch erhöhten Position eingraben können, statt den Menschen im Gegenüber sehen. Das hätte sich sicherlich gut angefühlt. Stattdessen hat sie das Menschliche getan und damit ja implizit eingestanden: Wir sind alle fehlbar und sitzen alle im gleichen Boot.
Wenn ich in meinen Texten davon schreibe, wie sehr ich die Wut feiere, dann als Antrieb, als Kraft, als Klarheit, die es mir erlaubt zu handeln, Verbrechen von Gerechtigkeit und Lüge von Wahrheit zu unterscheiden.
Und die Wahrheit ist natürlich, dass auch Christian Lindner ein guter Mensch ist, der nur eine beschissene Rolle in einem korrumpierenden System spielt. Aber das heißt ja nicht, dass ich gegen Lindner vorgehen will – ich will das System verändern.
Menschen nach gut und schlecht sortieren, das machen nur die Rechten, sie leben und denken in Hierarchien. Unseres ist die Liebe, das Verständnis füreinander und das Vertrauen, das daraus erwächst.
Und darin liegt auch unsere Stärke.