Benzodiazepine - die Sucht auf Rezept?
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Diesen Beitrag habe ich letzte Woche auf LinkedIn gepostet und dachte mir gerade, dass ich dieses Thema echt wichtig finde und deswegen auch noch mal hier im Newsletter teile. An meine lieben LinkedIn Follower - sorry, wenn das fĂĽr euch eine Dopplung ist đź’›
Vor etwa zwei Jahren schrieb mir eine Frau auf Instagram. Sie hatte gerade meine Podcastfolge zu Benzodiazepinen gehört und war in großer Verzweiflung.
Aufgrund einer orthopädischen Indikation habe ihr Arzt ihr für zwölf Wochen Benzodiazepine (genauer Wirkstoff unbekannt) verschrieben. Sie nehme sie nun seit sechs Wochen und verspüre bereits deutliche Entzugssymptome – Nervosität, innere Unruhe, Schlafstörungen. Sie wisse absolut nicht, was sie tun solle. Nach dem Hören meiner Podcastfolge habe sie erkannt, dass es sich dabei um Entzugserscheinungen handle. Sie hatte Angst. War sie nun benzodiazepinabhängig? Würden die Konsequenzen dieser Verschreibung sie ein Leben lang begleiten?
Laut ihrer Aussage habe ihr Arzt ihr die Benzodiazepine ohne jegliche Aufklärung verschrieben. „Gegen die Schmerzen“ – mehr Informationen habe sie dazu nicht erhalten. Über das Abhängigkeitspotenzial und mögliche Nebenwirkungen habe sie erst durch eigene Recherchen erfahren. Nun sei sie massiv verunsichert.
Es war der 23. Dezember, ihre orthopädische Praxis hatte schon wegen der Feiertage geschlossen, sie war auf dem Weg in ihre Heimat und hatte dort keinen Arzt mehr.
Wie ist diese Situation zu bewerten?
Ganz ehrlich, mich hat diese Beschreibung der Medikation ziemlich schockiert. Ich bin natürlich keine Ärztin. Doch mir erschien die Verschreibungsdauer von zwölf Wochen bereits sehr lang. Für die Verschreibung von Benzodiazepinen wird die sogenannte 5K-Regel nahegelegt:
Klare Indikation / Diagnose
Kleinste wirksame Dosis
Kurzfristige Anwendung (maximal sechs Wochen, wobei ich mittlerweile immer häufiger Empfehlungen mit einem Maximum von vier Wochen lese)
Kein abruptes Absetzen
Kritische Indikationsstellung / Kontraindikationen beachten (Die Verschreibung sollte stets kritisch hinterfragt werden, insbesondere im Hinblick auf die Notwendigkeit und mögliche Alternativen.)
Was mir in der 5K-Regel jedoch fehlt, ist das 6. K: Klare Aufklärung über die Substanz. Vielleicht wird diese als selbstverständlich vorausgesetzt – doch in ihrem Fall war sie anscheinend nicht erfolgt. Meiner Meinung nach hätte der zuständige Arzt bei so einer langen Verschreibung mögliche Nebenwirkungen und was in diesem Falle zu tun sei ansprechen müssen. Denn dass diese eintreten ist bei 12 Wochen durchaus erwartbar.
Wie ging die Geschichte aus?
Ich habe sie zunächst beruhigt. Auch wenn sich erste Entzugserscheinungen abzeichneten, sei die Entwicklung eines Abhängigkeitssyndroms im Rahmen einer medizinischen Verschreibung mit klarer Indikation nicht besonders hoch einzuschätzen. Besonders bei Opioiden zeige sich in Studien deutlich, dass sich durch eine Medikation zwar eine physische Abhängigkeit entwickle – das liege in der Natur der Substanz –, diese sich aber nach dem Absetzen nur selten zu einem manifesten Abhängigkeitssyndrom entwickle. Zudem habe sie mir erzählt, dass sie keinerlei Erfahrung mit Drogen habe und nur sehr selten Alkohol konsumiere. Ein Suchtrisiko sei daher als eher gering einzustufen.
Ich habe ihr geraten, den Hausarzt ihrer Eltern in ihrer Heimat aufzusuchen, um die Situation zu besprechen und gegebenenfalls das Ausschleichen der Benzodiazepine zu planen.
Ein paar Wochen später schrieb sie mir erneut. Sie habe genau das getan, das Medikament abgesetzt – und sich zudem entschieden, ihren Orthopäden zu wechseln. Auch wenn sie keine bleibende Konsequenzen aus der Medikation verspürt, sei ihr Vertrauen in ihn erschüttert gewesen. Ich kann gut nachvollziehen, warum.
Hier geht es zur Podcast-Folge und zum Blogartikel zu Benzodiazepinen: Benzodiazepine: Wirkung, Risiken und Abhängigkeit | 5K-Regel (Abre numa nova janela)
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