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Venedig scannen und sterben

So sah er aus, der erste Tag in der einzigen Stadt auf der Welt, die man nur mit Eintrittskarte betreten darf: Willkommen in Venedig!

Ich habe für die ZEIT darüber geschrieben, wofür die Redaktion die schöne Überschrift “Venedig scannen und sterben” (Abre numa nova janela) gefunden hat.

Wenn man bedenkt, dass Venedig am 25. April 113 000 Besucher zählte, von denen allerdings nur 15 700 das Ticket bezahlt haben, also nur jeder Zehnte, kann man wohl von einem Flop sprechen (Abre numa nova janela). Nahezu die gesamte Weltpresse war angereist, blickte verwundert auf Venedig -

und rieb sich die Augen angesichts einer Verordnung, die mehr Ausnahmen als Regeln enthält: Im Ausland weiß man nicht, dass es in jedem italienischen Gesetz und jedem Erlass eine erste Zeile gibt, in der unerbittliche Verbote ausgesprochen werden, und dass auf diese erste Zeile immer eine zweite und dritte und vierte folgen, die Listen von Ausnahmen, Befreiungen, Abweichungen, Sonderfällen, Vorbehalten und Freistellungen enthalten, ähnlich wie es Alessandro Manzoni in seinen “Brautleuten (Abre numa nova janela)” mit dem Winkeladvokat “Azzeccagarbugli” beschreibt.

Ich habe mich darüber gefreut, dass nicht alle Medien auf die Propaganda von Brugnaro hereingefallen sind - und Free Venice from Ticket (Abre numa nova janela) ausführlich gewürdigt (Abre numa nova janela) wurde. Inzwischen haben 1000 Menschen unser Manifest unterzeichnet, darunter viele, viele namhafte Kulturschaffende: Namen wie Pierre Rosenberg, Ehrenpräsident und Direktor des Louvre, die Schriftstellerin Donna Leon, der Direktor der Münchner Kunsthalle Roger Diederen, Regisseure wie Patrice Leconte und Coline Serreau, der Direktor des Wiener Burgtheaters Martin Kušej, der venezianische Bühnenbildner Ezio Toffolutti, Schauspieler wie Katharina Thalbach oder Joachim Król, Schriftsteller wie David Wagner.

Wer mehr zum Eintrittsgeld wissen will: Hier sind weitere Hintergründe zur Ablehnung (Abre numa nova janela) des Tickets ausgeführt.

Ich habe mit dem Deutschlandfunk Kultur (Abre numa nova janela), dem WDR (Abre numa nova janela) und einigen anderen Radiosendern darüber gesprochen, dass sich hinter dem Ticket nichts als heiße Luft verbirgt. Mein Freund Enrico Ricciardi, venezianischer Autor und

Regisseur, hat sich ein Lätzchen umgebunden, das ihn als “Veneziano doc”, Venezianer aus kontrolliertem Anbaugebiet, ausgeweist, damit er nicht, wenn er das Haus verlässt und angehalten wird, die von Venezianern zur “contributo di cesso”, Klogebühr, umgetaufte Zugangsgebühr (contributo di accesso) bezahlen muss.

Eine Ironie des Schicksals wollte es, dass dieses famose Eintrittsgeld an einem Tag eingeführt wurde, der nicht nur Venedigs Schutzheiligen San Marco gedenkt, sondern auch der Befreiung Italiens vom Faschismus. In Italien heißt es an dieser Stelle immer: vom “Nazifaschismus” - weil der italienische Faschismus ja von einigen bis heute als keine schlechte Sache angesehen wird. Genau darüber wollte der italienische Schriftsteller Antonio Scurati sprechen - und da haben sich Giorgia Melonis Vasallen ins Knie geschossen, als sie seine für Rai 3 vorgesehene Rede kurzfristig aus dem Programm gestrichen haben.

Scurati, preisgekrönter Autor einer vierbändigen Mussolini-Biographie, sollte seine Rede anlässlich des „Tags der Befreiung“ am 25. April in der Sendung „Che sarà“ (Abre numa nova janela) (Was wird sein) auf Rai3 vortragen. Eine Rede (nachzulesen unter anderem hier (Abre numa nova janela)), die auch von Giorgia Melonis Weigerung handelt, das Wort „Antifaschismus“ nur auszusprechen, geschweige denn, anzuwenden. Das ist im Grunde nichts Neues, hat aber in einem Italien, wo die Schaltstellen der Macht – nicht zuletzt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und im Kulturleben – mit linientreuen Parteigängern der „Brüder Italiens“ besetzt wurden, zu einem Medienskandal geführt. Wer noch Zweifel an der neuen rechten Ausrichtung der Rai hatte, wurde eines Besseren belehrt, als in der Sendung anstelle der angekündigten Rede von Scurati über das nie verleugnete und immer noch lebendige faschistische Erbe Italiens die stellvertretende Chefredakteurin, pardon des stellvertretenden Chefredakteurs - wie der Ministerpräsident Giorgia Meloni möchte auch sie in der männlichen Form angeredet werden - der Nachrichtensendung von Rai 1 ihre Ansichten über das Abtreibungsgesetz verbreiten konnte: Abtreibung sei kein Recht, sondern ein Verbrechen, sagte sie. Womit sie sich exakt auf der Parteilinie von Melonis „Brüdern Italiens“ befindet, die soeben einen Gesetzesvorschlag eingebracht haben, um das Abtreibungsgesetz zu schwächen.

Die Journalistin sei das neue Gesicht des Meloni-Fernsehens (Abre numa nova janela) und trägt den wunderbaren Vornamen Incoronata (die Gekrönte). Ich weiß, dass man sich nicht über Namen lustig machen sollte, aber nur in Italien kommt man auf die Idee, Frauen Vornamen wie Incoronata, Immacolata, Preziosa zu geben, die Gekrönte, Unbefleckte, Wertvolle. Eine meiner Freundinnen heißt mit Nachnamen Vergine, Jungfrau, und mit Vornamen Preziosa, also Kostbare Jungfrau - ich kenne aber auch Männer, die mit Vornamen wie Crocifisso geschlagen sind: Kruzifix.

Die Gekrönte also ist das neue Gesicht des öffentlich-rechtlichen Fernsehens Italiens - wobei es eigentlich keine Neuigkeit ist, wenn eine italienische Regierung das Fernsehen kontrolliert: Kurz vor der Jahrtausendwende kam es unter Berlusconi zu einer „Reform“, die nichts reformierte, sondern vielmehr dafür sorgte, dass es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen keinen Parteienproporz mehr gibt. Heute sind alle drei öffentlich-rechtlichen Fernsehsender regierungstreu: Wer an der Regierung ist, kontrolliert das Fernsehen, und weil das jahrzehntelang Berlusconi war, dem auch noch die Privatsender gehören, ist das Fernsehen zum wichtigsten Instrument des politischen Establishments geworden. In dem jetzt Meloni den Ton angibt. Übrigens hat zur regierungstreuen Kontrolle auch der in Deutschland so ungeheuer beliebte Matteo Renzi beigetragen.

Gegen die Zensur von Scuratis Rede haben in Italien viele engagierte Journalisten protestiert - Marietta Slomka hat mich dazu für das Heute Journal interviewt, und ich habe versucht, klarzumachen, warum es ein Fehler ist, Meloni zu unterschätzen.

https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/sgs-reski-slomka-100.html (Abre numa nova janela)

Und ja, in Zukunft sollte ich der Einfachheit von “Melusconi” sprechen, das bringt es besser auf den Punkt. Denn schließlich war es Berlusconi, der die Faschisten in Italien wieder salonfähig gemacht hat - unter dem Giorgia Meloni dann 2008 auch zur jüngsten Ministerin Italiens berufen wurde.

Was Giorgia Meloni jetzt durchsetzt, davon hat Berlusconi geträumt, aber nicht geschafft: Eine Justizreform in Gang zu setzen, die zur Folge hat, dass die Abhörpraxis – unerlässlich im Kampf gegen Mafia und korrupte Politiker – eingeschränkt wird, dass Journalisten, die aus Haftbefehlen zitieren, hohe Haftstrafen drohen und der Geisteszustand von Staatsanwälten und Richtern getestet werden soll. Schon Berlusconi, der Richter und Staatsanwälte als “anthropologisch anders als der Rest der Menschheit” erklärte, hat diesen Test erfolglos durchzusetzen versucht. Und wo wir schon mal dabei sind, werden auch noch Mafiosi und andere Schwerverbrecher dank des Gesetzesdekrets 146, auch genannt “Svuotacarceri”, “Leere Gefängnisse”, aus dem Gefängnis entlassen.

Wie so oft in Italien wird auch diese Schweinerei mit dem Argument “Europa verlangt das von uns” gerechtfertigt: Das Gesetzesdekret, hinter dem sich in Wirklichkeit eine weitere versteckte Begnadigung verbirgt, sei verabschiedet worden, um weitere Sanktionen der Europäischen Gemeinschaft wegen der Überbelegung der italienischen Gefängnisse zu vermeiden, heißt es. Ähnlich verfuhr auch Mario Draghi, als seine Justizministerin die von der EU kritisierte Länge der Verfahren in Italien einfach dadurch verkürzte, dass sie Prozesse, die zu lange dauern, als improcedibile, undurchführbar erklärt. Wodurch alle, die gute Anwälte haben, um Prozesse in die Länge ziehen können, belohnt werden: Sie gehen nicht nur straffrei aus dem Prozess heraus, sondern auch mit einem sauberen Vorstrafenregister.

Berlusconis Träume erfüllt jetzt Giorgia Meloni, die mit ihrem Plan, die Verfassung zu ändern sogar noch weiter geht: Also den Ministerpräsidenten direkt zu wählen und die Rolle des Staatspräsidenten zu schwächen, der jetzt noch die Rolle eines Korrektivs gegenüber dem Ministerpräsidenten spielt, indem er sich weigern kann, bestimmte Gesetze zu unterzeichnen. So kommt Giorgia Meloni einem alten Traum der extremen Rechten in Italien näher.

Dies alles wissen wir in Italien übrigens nur, weil es immer noch sehr viele unbeirrte Journalisten gibt, die sich keinen Maulkorb umhängen lassen.

Und zum Schluss noch ein Tipp: Natürlich werde ich immer wieder gefragt, wie man sich im Hinblick auf das Eintrittsgeld verhalten soll. Meine Antwort lautet: Ich rate von Tagestouren grundsätzlich ab. Venedig muss man sinnlich erfahren, indem man nachts oder morgens früh durch die noch leeren Gassen läuft und seinen Schritten lauschen kann. Venedig ist die einzige Stadt der Welt, in der sich, wie Jean Paul Sartre einst bemerkt hat, der Fußgänger noch wie ein Aristokrat fühlt. Erst wer zwei oder drei Tage (mindestens!) hier verbringt, entwickelt ein Gespür für die Einzigartigkeit dieser Stadt, die mehr ist als ein kostenpflichtiges Schauobjekt.

Ansonsten gibt es auch noch ziviles Ungehorsam, ganz im Sinne von “Indignez-vous!” (Abre numa nova janela), dem “Empört Euch!” des französischen Widerstandskämpfers Stéphane Hessel, der schrieb: Wenn auch die Komplexität der gesellschaftlichen Strukturen und Beziehungen keine einfachen Erklärungen erlaube, so sei doch die Gleichgültigkeit gegenüber den politischen Verhältnissen „das Schlimmste, was man sich und der Welt antun“ könne.

In diesem Sinne grüßt Sie herzlich Petra Reski und, nicht vergessen:

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