Künstliche italienische Intelligenz
Es soll ja schon Roboter geben, die Weintrauben die Haut abschälen (Abre numa nova janela), also was künstliche Intelligenz betrifft, gäbe es in Italien noch einiges zu tun. Zu diesem Schluss kam ich, seitdem ich Ende Oktober die verwegene Idee hatte, ein Mikrophon, das mir für die Aufnahme eines Podcasts geliehen wurde, als Paket per Einschreiben zurück nach Berlin zu schicken. Keine drei Wochen später kam das Paket in Berlin an. Und wurde, weil der Empfänger nicht anwesend war, fünf Tage später zurück nach Venedig geschickt. Wo es sechs Wochen später (Wenn man zu Fuß von Berlin nach Venedig geht, bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von zwanzig Kilometern pro Tag, würde man nur eine Woche länger brauchen), am 8. Januar angekommen sein soll.
"Sein soll": Natürlich bekam ich darüber keine einzige Mitteilung - was mich, eingedenk meiner jahrzehntelangen Erfahrungen mit der italienischen Post eigentlich nicht erstaunen sollte: Einmal erhielt ich statt eines Pakets mit Nürnberger Plätzchen, das mir meine Tante Ruth geschickt hatte, eine Sammlung italienischer Opernarien: Der Boden des von Lebkuchen Schmidt in Nürnberg versiegelten Päckchens war nachträglich mit Paketband zugeklebt - offenbar hatte der Dieb nicht mit meiner deutschen Hartnäckigkeit gerechnet und wusste sich nicht mehr anders zu helfen: Ich hatte mit der Registriernummer in der Hand nicht nur auf der venezianischen Hauptpost (heute in den Luxussupermarkt Fondaco dei Tedeschi verhext) protestiert, sondern auch bei der Paketpostverwaltungsstelle in Rom.
Und weil sich in mir immer noch Residuen von jener Deutschen befinden, der es ja immer um "das Prinzip" geht, ignorierte ich auch jetzt wieder das, was mir der Italiener an meiner Seite (Abre numa nova janela) schon vor Jahrzehnten sagte: Also dass auf der italienischen Post Wesen arbeiten, die beschlossen hätten, dem Menschen die Vergeblichkeit des Seins zu beweisen. Du existierst nicht, auf der Post bist du nur eine Hülle deiner selbst, eine Hülle, die nicht ausreichend frankiert, die falsch adressiert, Überweisungsformulare falsch ausfüllt und die unbeirrt Pakete verschickt, obwohl sie genau weiß, dass sie ihren Empfänger nie erreichen werden. Jeder, der sich weigere, sich der Post als Bittsteller zu nähern, jeder, der glaube, auf einer Dienstleistung bestehen zu müssen, werde eines Besseren belehrt, denn es handele sich hier nicht um Dienstleistungen, sondern um Gnadenerweise. Meine Empörung darüber sei zwar redlich, aber im Grunde völlig sinnlos.
Ja, was soll ich sagen: Ich habe einen schweren Rückfall erlitten. Ich wagte, nach dem Verbleib meines nach Berlin geschickten und nach Venedig zurückgesendeten Pakets zu fragen. Natürlich sind für solche niederen Auskünfte keine Menschen zuständig, ich habe den zurückgelegten Weg meines Pakekt nur online, vulgo "telematisch", erfahren können, wie die digitale Kommunikation im Behördenitalienisch genannt wird - wobei mir jedes Mal der Magier Catweazle (Abre numa nova janela)
https://www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/catweazle-2021 (Abre numa nova janela)(hier in der modernen Form mit Otto in der Hauptrolle) in den Sinn kommt, der sich vor modernen Dingen wie Telefonhörern fürchtet, die er „Zauberknochen“ nennt.
Daraufhin versuchte ich eine Mail an die Post zu schreiben. Nice try, der sofort abgeschmettert wurde: Obwohl ich alle Felder entsprechend ausgefüllt habe, konnte meine Online-Nachfrage nicht zugestellt werden. Also versuchte ich es ganz oldschool, telefonisch, wobei am anderen Ende aber kein Mensch antwortete, sondern künstliche Intelligenz, die nicht mal verstand, wenn ich „sì“ oder „no“ ins Telefon brüllte. Nach diesen beiden erfolglosen Versuchen dachte ich, dass ich mich vielleicht einfach an die Basis, vulgo das Postamt, wenden sollte, wo ja immer noch Menschen hinter den Schaltern sitzen.
Die Dame vom für mich zuständigen Postamt am Markusplatz schüttelte ratlos den Kopf, als ich ihr den Fall schilderte, vergeblich suchte sie in den Räumen der Post nach meinem Paket und gab mir dann drei Telefonnummern: eine Servicenummer und zwei für die Briefträger - die, wie sie mir flüsternd versicherte, eigentlich „interne Nummern“ seien, also eigentlich nur für Angestellte der Post vorgesehen. Ich solle es da versuchen, auch wenn sie befürchte, dass es nicht unbedingt erfolgversprechend sei, selbst sie würde dort nur sehr selten jemanden erreichen.
Unter den beiden ominösen „internen Nummern“ hörte ich nur: „Kein Anschluss unter dieser Nummer.“ Und bei der Servicenummer antwortete mir wieder die künstliche Intelligenz. Die jetzt aber einen gewissen Ehrgeiz in mir weckte und mir, nachdem ich sie auf Italienisch angeschrien und verflucht habe, porca miseria, und ihr die Paketnummer unter besonderer Berücksichtigung des italienischen Buchstabieralphabets - D wie Domodossola, I wie Imola - diktiert habe, genau die Auskunft gab, die ich bereits aus dem Internet „telematisch“ heruntergeladen hatte. Also dass mein Paket am 8. Januar wieder nach Venedig zurückgekehrt sei.
Störrisch machte ich mich auf, um dieses Mal im Hauptpostamt in der Merceria nachzufragen. Vor unserer Haustür kam mir ein Briefträger entgegen, was kurzfristig einen Hoffnungsschimmer in mir keimen ließ, der aber sogleich erstarb, als mir der Briefträger mitteilte, dass er nichts mit der Sache zu tun habe, weil er nur vertretungsweise den Dienst in Venedig versehe und eigentlich für Mestre zuständig sei.
Im Hauptpostamt traf ich, fatalità, auf dieselbe Dame, mit der ich bereits in der Post am Markusplatz zu tun hatte, (ich will jetzt keine Verschwörungstheorie verbreiten, aber komisch ist es schon: Werde ich vielleicht von einer Drohne überwacht, die dafür sorgt, dass immer dieselbe Postbeamtin hinter den Schalter sitzt, wenn ich ein venezianisches Postamt betrete?), und die mir sagte, dass sie auch keine Erklärung habe, weil die italienische Post und der Zustelldienst zwei unabhängig voneinander arbeitende EINHEITEN seien und sie selbst nicht in der Lage seien, den Zustelldienst zu kontaktieren. Sie klang, als spreche sie nicht von einem Paketdienst, sondern von einer autonomen Zelle, über die niemand mehr Gewalt hat.
Ich könne jedoch eine Beschwerde einreichen. Dazu müsse ich ein Formular ausfüllen. Sie reichte mir ein sogenanntes Beschwerdeformular. Ich muss dazu sagen, dass ich so ein Formular in meinem Leben noch nicht gesehen habe: mit Buchstaben, die so kleingedruckt waren - vielleicht ein Nanometer (Millionstel Millimeter) Höhe und 0,3 Nanometer Breite - also eigentlich nur mit Hilfe eines Rastertunnelmikroskops (Abre numa nova janela) zu lesen. Das Problem war dabei allerdings auch, dass der normale Post-Kugelschreiber zu dick für diese Zeilen war - in denen ich vom Geburtsdatum über die Steuernummer bis praktisch zur Blutgruppe alles angeben musste. Was ich - es geht mir um das Prinzip - dennoch bewältigte.
Triumphierend präsentierte ich mich wieder am Schalter. Da erfuhr ich, dass ich dem Ganzen auch noch den Beleg für das reklamierte Paket zufügen müsse. Über den verfüge ich allerdings nur in digitaler Form, weil ich den Originalbeleg zwecks Rückerstattung der Postgebühr von 19,98 Euro nach Deutschland hatte schicken müssen. Per Post.
Fortsetzung folgt.
Als ich vor ein paar Tagen von Paris kommend, wieder nach Venedig zurückkehrte, wollte ich eigentlich "Endlich wieder Wasser" twittern und ein Bild vom Canal Grande posten. Aber dann sah ich den Banner für den schauerlichen Karneval - dem absoluten Tiefpunkt der an Tiefpunkten reichen Gegenwart Venedigs. Darüber demnächst mehr.
Und wenn Sie den Rauch sehen, der vom Vaporetto in die Luft steigt, werden Sie sich, anders als ich kurz nach meiner Ankunft in Venedig, nicht mehr darüber wundern, warum manche Fassaden in Venedig so schwarz sind, "obwohl hier doch keine Autos fahren" ...
Unbelehrbar widerborstig grüßt Sie aus Venedig Ihre Petra Reski
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