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Mulan (Niki Caro)

In den letzten 10 Jahren sind fast 20 Zeichentrickklassiker von Disney als Realfilme wiederaufgelegt worden. Neben Das Dschungelbuch, Der König der Löwen und Aladdin reiht sich jetzt eben auch Mulan in diese Tradition ein. Für einen Multimilliarden Konzern wie Disney stellt sich dabei natürlich die Frage, wie sich diese Neuauflagen präsentieren wollen und müssen. Die Zeichen der Zeit stehen bei Disney explizit auf Woke und Inklusion. Wie kann man das Original (welches wiederum auf einer chinesischen Legende basiert) zeitgemäß präsentieren um ein möglichst breites Publikum anzusprechen?

Nach den whitewashing Vorwürfen, die in Hollywood mehr und mehr Zuspruch junger Menschen gefunden haben, hat sich Disney auf die Fahnen geschrieben, auch marginalisierte Gruppen fair und wohlwollend zu repräsentieren. Dass auch diese offensive Positionierung Kritiker findet, ist unerheblich. Mit dem Regenbogen lässt sich viel Geld verdienen, auch wenn es genügend Menschen gibt, die sich beschweren, dass Disney eine politische Agenda propagiere und sich nicht mehr auf die Inhalte konzentriere.

Was allerdings allzu oft übersehen wird, ist, dass es nicht (nur) auf die Repräsentation ankommt, sondern vielmehr auf die Inhalte. Es ist zwar löblich, dass der Cast von Mulan aus (hauptsächlich) Chinesen oder Chinese Americans bestand und ärgerlich, dass das hinter der Kamera leider nicht möglich war (die Regisseurin ist bspw. Neuseeländerin), für das Endprodukt sagt das aber erst einmal nichts weiter aus. Die Regisseurin selbst sagte in einem Interview mit Film School Rejects: “[…] the burden of responsibility is on the art. That will be judged—and should be judged.”

So sei es. Dann wollen wir mal.

Feminismus

Der Platz der Frau

Der Zeichentrick aus 1998 zeichnete sich schon damals damit aus, eine Alternative zur üblichen Disney-Prinzessin zu bieten, die einfach auf ihren Prinzen warten. Mulan muss sich in einer Männerwelt beweisen und durchsetzen. Ärgerlicherweise wählte Mulan nach ihrem Triumph doch die traditionelle Lebensweise am Herd, die für ihren Mann kocht, anstatt sich zu emanzipieren und als Offizierin am Kaiserlichen Hofe zu arbeiten. Ähnlich wie schon bei der Feuerzangenbowle wurde hier schlussendlich das Aufbegehren gegen die Obrigkeit und Traditionen schlussendlich als jugendlicher Spaß abgetan, der dann doch konsequenzlos bleibt. Die feministische Botschaft wurde entsprechend vollständig unterminiert.

Das Remake geht anfangs einen ähnlichen Weg. Mulan triumphiert über Khan, ihr Ruf wird wiederhergestellt und sie wird von Kaiser und General als Kriegerin akzeptiert. Auch hier schlägt sie das Angebot des Kaisers aus, als Offizier auf dem Kaiserlichen Hofe zu bleiben. Lieber kehrt sie zu ihrer Familie zurück, um bei ihrem Vater um Verzeihung zu bitten und die Familienehre zu retten. Allerdings endet der Film dieses Mal, dass Mulan in ihrem Heimatdorf abermals von der Kaiserlichen Armee besucht wird und ihr noch einmal die Stelle angeboten wird. Der Blick auf den aufsteigenden Phönix und die letzten Worte des Vaters, dass sich seine Tochter vom grünen Bambussprössling sich nun zu einer ausgewachsenen Pflanze gemausert hat, deuten an, dass Mulan dieses Mal das Angebot annehmen wird. Immerhin.

Liebe und Erotik

Das Love Interest um den General Li Shang aus der Vorlage wurde auf Grund vom MeToo Movement dahingehend geändert, dass Mulans Kamerad Chen Honghui diesen Part nun einnimmt. Keine schlechte Entscheidung, da die latente Homoerotik (selbstverständlich bleibt der Film komplett zahm) und Mulans Liebestollerei hier genauso funktionieren, ohne dass das Machtgefälle zwischen General und Rekrut dem im Wege stehen würde.

Die Waffen einer Frau

Anders als in der Vorlage beherrscht Mulan im Remake das Qi. Eine innere Kraft, die eigentlich Männern vorbehalten sein sollte, um aus ihnen Krieger zu machen. Bei Frauen verpönt, macht es aus ihnen ausgestoßene Hexen. Was genau dieses Qi ist, wird nicht weiter erklärt. Eine Art magische Kraft, mit der man sich in Tiere verwandeln, Seide hart werden lassen und Speere wegkicken (??) kann. Die Kraft scheint angeboren zu sein, die man an sich nicht (groß) trainieren kann. Man hat sie oder halt nicht. Mulans Qi wird nur davon zurückgehalten, dass sie nicht “sie selbst” ist. Erst als sie ihre Verkleidung als Mann ablegt, kann sie ihr volles Potential ausschöpfen.

Das Qi an sich ist ziemlicher Blödsinn und hilf dem Feminismus nicht weiter. In der Zeichentrick-Vorlage muss sich Mulan ohne Hilfe in der Männerwelt durchsetzen, auch wenn sie ihnen körperlich unterlegen ist. Im Remake hingegen hat sie einfach die angeborene Fähigkeit und kann daher kämpfen. Im Umkehrschluss bedeutet das natürlich, dass jede Frau ohne Qi doch bitte schön brav die Wohnung putzen und die Kinder großziehen soll. Während im Zeichentrick der ultimative Test in der Ausbildung im Erklimmen des Pfahls mit Gewichten an der Hand war, müssen die Rekruten in der Realverfilmung mit zwei Eimern Wasser einen Berg erklimmen. Hier wird die Beliebigkeit des Qi und die damit verbundene Abkehr vom Feminismus deutlich: Im Zeichentrick musste Mulan ihre Geschicklichkeit und ihren Intellekt einsetzen um die Gewichte als Steigbügel zu verwenden, um den Pfahl zu erklimmen. Die rohe Kraft der Männer nützte hier nicht. Im Realfilm hilft das Qi um Eimer zu schleppen. Eine Arbeit also, wo Muskelkraft alleine über deren Ausgang entscheidet.

In eine ähnliche Richtung geht auch die Rückeroberung des Kaiserpalastes. Im Zeichentrick wurden die Rollen umgedreht: die männlichen Rekruten von Mulans Einheit mussten sich jetzt als Frauen verkleiden um in den Palast eindringen zu können. Natürlich wurde das alles trottelig dämlich dargestellt. Die Männer, wie sie peinlich flirtend versuchten, die Wachen zu verführen. Ein feministischer Kampfschrei ist das selbstverständlich nicht. Hätte man das versucht, im Jahr 2020 mit echten Schauspielern nachzustellen, wäre man wohl noch gnadenloser daran gescheitert als Willem Dafoe in Drag in "Der blutige Pfad Gottes”. Aber anstatt sich zu überlegen, welche Stärken eine Frau mitbringen kann, um den Palast zu erstürmen, hat man sich einfach dazu entschieden das ganz rauszulassen. Stattdessen wird sich wild in nem Graben geprügelt und gut ist. Schade, vertane Chance.

Andere Frauen

Zudem wurden zwei zusätzliche Charaktere eingeführt, die es in der Vorlage (so) nicht gab: Mulans Schwester Hua Xiu und die Hexe Xianniang.

Mulans Schwester Xiu steht für die traditionelle Weiblichkeit. Sie hat Angst vor Spinnen und freut sich auf ihre Heirat. Als Gegenentwurf zu Mulan könnte sie nicht platter sein. Unfähig sich vor Spinnen zu retten, ist sie dazu verdammt, dem Tier tatenlos zuzuschauen, wie es auf sie zukrabbelt. Ärgerlich ist auch, dass Mulans Geschichte anscheinend keinerlei Einfluss auf ihre Schwester hat. Mulan kommt nach monatelanger Tortur aus dem Krieg zurück, wurde als erste Frau aller Zeiten vom Kaiser als Kriegerin geehrt, sie ist die Retterin des gesamten Landes und beide Schwestern haben nichts besseres zu bereden, als wie toll doch der Verlobte von Xiu ist und wie sehr sie sich doch auf die Hochzeit freut. Der Bechdel-Test lässt grüßen.

Eine interessantere Rolle nimmt Xianniang ein. Als Meisterin des Qi ist sie Mulans zweite Antagonistin, die durch die fehlende Akzeptanz der Gesellschaft keinen anderen Ausweg mehr sieht, als sich Khan anzuschließen. Durch Mulan sieht sie ein, dass nur der rechtschaffene Weg zur Emanzipation führt. Heldenhaft opfert sie sich für Mulan. In Anbetracht der Geschichte des Feminismus ist die Botschaft zynisch. Xianniang, die sich gegen das System, welches sie unterdrückt, auflehnt, wird mit dem Tode bestraft. Mulan hingegen, die nie wirklich für ihre Rechte kämpft oder auch nur einsteht (sie widerspricht nie ihrem Vater und willigt sogar der arrangierten Hochzeit ein) und sich nur deswegen als Mann verkleidet, um ihren Vater zu schützen, wird als Heldin gefeiert (die dann natürlich auch wieder schön brav zur Familie zurückkehrt). So wurde das Frauenwahlrecht sicherlich nicht erkämpft.

Kriegstüchtig und Staatstreu

Das chinesische Kaiserreich wird angegriffen und es gilt, die bösen Rouran zurückzuschlagen. Hier ändert sich im Vergleich zur Vorlage nichts Grundsätzliches. Khan, und mit ihm das Äußere / Fremde, ist das personifizierte Böse. Irgendwas mit Reichtum und Blutrache ist die Motivation der Rouran. So belanglos und blass die Bösen bleiben, lohnt es sich, den Krieg an sich genauer zu betrachten. Der Kaiser greift als Staat hart, aber fair durch, zumindest scheinbar. Ein Mann aus jeder Familie muss sich zum Kriegsdienst melden. Dass das weder fair noch effizient ist, wird schnell klar. Lieber wird ein verkrüppelter alter Kriegsveteran zum Sterben an die Front geschickt, als von einer anderen Familie zwei Söhne einzuziehen (oder einfach eine Person weniger). Die Ansagen des Kaisers sind aber absolut und es gilt als Ehre für den Vater sinnlos in den Tod zu ziehen, also wird das nicht hinterfragt.

Das Trainingslager ist eine Erweiterung des Staates. Die Hierarchie steht und die Rekruten sind glücklich damit, obwohl das Training sehr hart ist. Mulan übernimmt freiwillig jede Nachtschicht, damit sie um die Gemeinschaftsdusche herumkommt. Ermüdungserscheinungen sieht man aber in keiner Sekunde. Die Rekruten kappeln sich ein bisschen untereinander, aber es ist klar, dass die Kameradschaft das höchste gut ist. Mehrmals wird beteuert, dass jeder für jeden sterben würde.

Der Tod ist nicht das schlimmste Übel, das einen in der Welt von Mulan treffen kann. Viel schlimmer ist es, in Ungnade zu fallen und die Familienehre zu verspielen. Als Mulans Verkleidung auffliegt, bettelt sie ihren General darum, sie zu exekutieren, weil das eine geringere Schmach bedeutet, als unehrenhaft ausgestoßen zu werden. Um das Land, die Familie, die Kameraden oder die Ehre zu retten, ist man gerne bereit, dafür zu sterben.

Im Kontext vom Ukraine-Russland Krieg ist die Aussage besonders makaber. Junge Männer werden an der Front verheizt, für ein paar Meter Raumgewinn. In Mulan wird das einerseits angedeutet - wahllos muss sich pro Familie 1 Mann melden um dann erst in ein Bootcamp und dann an die Front geschickt zu werden - andererseits wird das auch alles romantisiert. Keiner der Männer beklagt sich, dort zu sein.

Drastischer ausgedrückt: Mulan hat ihr ganzes Leben nur Scheiße fressen dürfen. Als starke (burschikose) Frau wird sie von ihrem Vater gerügt und von ihrem Dorf verspottet. Für die arrangierte Ehe ist sie nicht gut genug. In einem Dorf, weit weg vom Kaiserpalast, könnte ihr das kaiserliche Wohlergehen nicht egaler sein. Einmal gemeldet, befindet sich Mulan in dauernder Lebensgefahr, einfach nur weil die imperialen Strukturen ihr das Frau-sein verbieten. Und doch zieht Mulan nicht nur in den Krieg, weil es der Befehl war, auch, als sie schlussendlich ausgestoßen wird, reitet sie dennoch zurück in den Kaiserpalast um dort auf Leben und Tod mit jemandem zu kämpfen, den sie noch nie gesehen hat, für einen Kaiser, der noch nie etwas für sie getan hat. So lange man so treue Staatsdiener hat, kann man wohl noch jeden Krieg gewinnen.

Fazit

Disney dürfte sich gefreut haben, dass die Kritiken nur auf die Form abzielten. Darf der Film in Xinjiang gedreht werden? Ist es in Ordnung, dass eine weiße Frau die Regie übernimmt? Wie gehen wir mit Yifei Lius Aussagen über die Hong Kong Proteste um? All die Skandale machen es Disney leicht, sich dennoch progressiv zu präsentieren. Man vertuscht ein paar Fördergelder, versteckt die Hauptperson vor der Presse und verspricht für die neuen Projekte noch mehr Inklusion und fertig ist der Lack. Dass die Filme inhaltlich so schrecklich konservativ und rückwärtsgewandt sind, interessiert dann am Ende des Tages niemanden mehr. Dann kann man das Publikum auch mit den 3 Werten auf dem Familienschwert hinterlassen und noch eine 4. Tugend hinzufügen, ohne, dass man sich schämt: Treue, Mut, Ehrlichkeit… und Familienhörigkeit

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