„Das Ende von Hartz IV ist mir persönlich sehr wichtig"
Maria Klein-Schmeink schaut zurück auf ein Jahr Ampel-Koalition in Berlin und wirft einen Blick auf die Politik in Münster
Mit Olaf Scholz hat sie fast gar nichts zu tun, räumt sie freimütig ein, dafür trifft sie Karl Lauterbach und Lisa Paus und Claudia Roth beinahe täglich, keine Frage: Die grüne Maria Klein-Schmeink, stellvertretende Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion aus Münster, hat ihren Platz gefunden im politischen Berlin. Und ist fraglos angekommen in der Realpolitik, da wo Politik auch zum politischen Geschäft, einem genau austariertem Geben und Nehmen geworden ist. Gleichwohl aber trotzdem kein Ort, an dem man alle grünen und persönlichen Grundüberzeugungen an den Haken hängen muss.
Die direkt gewählte Abgeordnete, die seit 2009 im Bundestag sitzt, lud zu einer Jahresbilanz von einem Jahr Ampelkoalition in Berlin ein. Wir nahmen an. Und haben das Treffen nicht verstreichen lassen, ohne der stets gut informierten Münsteranerin Fragen zu stellen zur politischen Entwicklung in ihrer Heimatstadt, da wo sie einst ihre politische Karriere begann, wo sie zwei Mal als OB-Kandidatin antrat und wo sich eine grün dominierte Ratsmehrheit und eine schwarz dominierte Verwaltung inklusive OB Markus Lewe aneinander abarbeiten.
Das erste Jahr der Ampelkoalition bewertet MKS, so ihr Namen im Grünen-Kurz-Jargon, als durchweg außergewöhnliches Jahr: Noch nie sei eine Koalition in Berlin unter so massiven Druck in ihre Arbeit gestartet und durch verschiedene Krisen erschüttert worden, wie die jetzige. Der Krieg Putins gegen die Ukraine habe alles verändert. Die Energiekrise sei nur eine von vielen. Die Coronakrise habe das Jahr genauso geprägt und die Gesellschaft herausgefordert. Wenn man dann noch sehe, wie die Gesellschaft in den Fachkräftemangel hineinlaufe, könne man unschwer feststellen „Wir hatten es hauptsächlich mit versäumten zu tun" resümiert sie. Es sei ein Problemdruck entstanden der ein „weiter so" in allen Bereichen unmöglich mache. Das alles sei eine enorme Herausforderung gerade für eine Ampelkoalition, in der sich unterschiedliche gesellschaftspolitische Konzepte unter einem Dach vereinen. Das Finden gemeinsamer Lösungen jenseits dessen was im Koalitionsvertrag verankert ist, sei eine große Aufgabe, der man sich beständig stellen muss. „Im Lichte dessen, kriegen wir eigentlich viel gewuppt," findet sie. Wenngleich sie sich manche Dinge 1. konsequenter und 2. schneller wünschen würde und sie manchmal manchmal auch die „Preise", die dafür zu zahlen waren, lieber vermieden hätte. Mit "Preisen" meint sie konkret Zugeständnisse insbesondere mit dem Koalitionspartner FDP beim Thema Steuergerechtigkeit. „Das sind halt die Kröten, die zu schlucken sind". Mit dem Osterpaket und dem Herbstpaket und dem letzten Entlastungs-Paket zu den Energiepreisbremsen, habe man viel erreicht, so ihr Eindruck. Den Grünen sei wichtig gewesen, insbesondere die zu unterstützen, die defintiv nicht die Möglichkeit hätten, die Krise alleine wegzustecken. Grünes Anliegen sei es gewesen, die kleinen Einkommen zu entlasten. Da sei sie froh, dass das Kindergeld um 31 Euro erhöht worden ist, dass die Einmalzahlungen für die Studierenden und die Rentner durchgesetzt werden konnten. Bei allen popsitiven Aspekten, "manchmal wurde es auch teuer erkauft".
Aber, da ist sie ganz Realpolitikerin, die Wählerinnen und Wähler in Deutschland hätten so gewählt. Alternativen sehe sie nicht, so wie die CDU sei inhaltlich so aufgestellt sei., „Wir müssen umgehen und leben mit dem was wir haben in der jetzigen Konstellation.
Investitionen in den sozialen Zusammenhalt und in die internationale Zusammenarbeit hält sie für unverzichtbar. „Wir Grünen war die Motoren dafür, dass die (ebenfalls aus Münster kommende) Ministerin Svenja Schulze (die für Entwicklungszusammenarbeit zuständig ist) einen Haushalt zur Verfügung stehen hat. der dem auch gerecht werden kann".
Ihr Spezialthema als Gesundheitspolitikerin ist natürlich in der Gesundheitsversorgung insbesondere der Reformstau im Gesundheitswesen. „Ich rede da seit einem Jahrzehnt drüber, und niemanden hat es interessiert. Jetzt wird fast stündlich drüber geredet". Immerhin: Die Krankenhausreform sei auf einem guten Weg.
Bild: MKS verhandelt für die Grünen alle Themen in ihrem Fachbereich Gesundheit und Pflege, Familie und Frauen Kultur und Medien und Hochschule und Bildung - was sie übrigens auch beim Koalitionsvertrag in NRW gemacht hat. Fotos (2) : Frank Biermann
Als einen ihr persönlich besonders wichtigsten politischen Erfolg innerhalb der rot-grün-gelben Koalition in Berlin wertet die Sozialpolitikerin die Einführung des Bürgergeldes. Die offenkundigen Ungerechtigkeiten des Hartz IV-Systems sei schließlich das gewesen, weswegen sie angefangen habe, Politik zu machen. Endlich komme man nun weg, von die diesem „vermaledeiten Vermittlungsvorrang" dass jeder bevor er Weiter- oder Fortbildung in Anspruch nehmen durfte, eine Stelle annehmen muss, wenn die verfügbar war. Das habe dazu geführt, das Leute kurzfristig in die Leiharbeitsfirmen rein und wieder raus gegangen wären. „Aber gerade nicht zu einer richtigen Weiterbildung oder Umschulung gekommen sind, und auch keine vernünftige langfristige Weiterbildung oder Umschulung bekommen haben. „Und die Verpflichtung jede Arbeit, die da ist, anzunehmen, das sei einer der Motoren für die Entwicklung gewesen, dass das mit dem „Fordern" beim „Fördern und Fordern" so im Vordergrund gestanden habe. „Da legen wir jetzt den Hebel komplett um und es gibt einen Vorrang für Ausbildung, Fortbildung und Weiterbildung. Und es gibt auch zusätzlich Geld, 50 Euro, wenn ich an sowas teilnehme, zusätzlich zur Sozialhilfe". Damit solle zum Beispiel verhindert werden, dass Jugendliche, anstatt eine Ausbildung anzufangen, lieber Jobs machten, um Geld zu verdienen. Anderthalb Jahre hätten die Bürgergeld-Bezieher nun Ruhe vor Nachfragen, ob die Wohnung zu groß ist, oder man zu viel Vermögen hat. Die Grenzen für Schonvermögen seien stark angehoben worden. Nicht so hoch, wie die Grünen wollten, aber trotzdem stark. 60.000 klinge zwar hoch, aber ein Erwerbstätiger weit vorgeschritten im Lebensalter hätten bis dahin ihre Altersersparnisse aufbrauchen müssen, das sei ja das Schlimme. Das sei für sie persönlich eine ganz wichtige Entscheidung gewesen. „Es war mir wichtig mehr Wertschätzung, mehr Respekt in dieses System zu bringen und es ist dieses „Gegängelt werden" da raus. Den Vorwurf, das Bürgergeld sei doch nur Hartz IV mit einem rosa Schleifchen drum oder wie bei „Raider wird zu Twix, geändert hat sich nix", weist sie energisch zurück: „Bei allen Zugeständnissen im Vermittlungsverfahren mit dem Bundesrat - der Kern unserer Reform ist erhalten geblieben."
Als zweiten Erfolg wertet sie die Reform des neue Chancen Aufenthaltsrecht auf die sie sogar „froh und stolz" ist. Damit sei ein zentrales Flüchtlingspolitisches Vorhaben des Koalitionsvertrages umgesetzt worden, das Deutschland auf den Weg bringe zu einem modernen Einwanderungsland. Auch in Münster lebten viele viele Menschen in Kettenduldung und kämen deshalb nicht vernünftig ins Erwerbsleben rein. Fassungslos müsse sie feststellen, dass man sogar Pflegekräften mit Abschiebung bedrohe. Wenn die CDU in dieser Debatte mit Themen wie „Sozialtourismus" komme, können man höchstens noch von einem nach unten offenen „Schäbigkeitswettbewerb" sprechen.
Zur Lokalpolitik in Münster: Über eine grüne Frau an der Stadtspitze würde sie sich schon freuen
Maria Klein-Schmeink ist schon zweimal für die Grünen als OB-Kandidatin angetreten ist. Ein drittes Mal will sie aber nicht antreten - sie hatte bei der letzten Wahl schon den nur sehr knapp unterlegenen Peter Todeskino unterstützt - so viel ist klar. Aber über eine grüne Frau an der Stadtspitze würde sie sich schon freuen: „Ich persönlich würde mich freuen, wenn wir in Münster ähnlich wie Katja Dörner in Bonn eine Oberbürgermeisterin hätten. Da wäre die Frage an die Partei, an die Ratsfraktion: Wer kann sich das vorstellen? Wer will. Und das sei ja so ähnlich wie bei ihrem Direktmandat für den Bundestag, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass man das auch gewinnen kann. Das müsse eine Person sein, die sich das wirklich vorstellen kann, so MKS., die natürlich keine Namen nennt. Fähige Personen in Münster sehe sie definitiv. Die sitzungsfreien Wochen nutzt Klein-Schmeink um nach Münster zu reisen und kriegt von daher ganz gut mit, was sich tut in der Stadt. In Berlin in den Plenarwochen nutzt sie die App der WN, um informiert zu bleiben. Zunächst mal findet sie es erstaunlich, was ihre „Leute" da so hinkriegen und meint damit auch die „Leute" der anderen Beteiligten Fraktionen und Wählergruppen. Deren konstruktiven Gestaltungswillen könne sie sehr deutlich wahrnehmen. Sonst würde es diesen ja auch nicht gelingen, die Mehrheiten an den entscheidenden Stellen hinzukriegen. Das bedeute aber auch, dass man in immer recht vielfältigen Konstellationen viel verhandeln muss. Sie kenne das ja aus der Berliner Dreier-Koalition, das sei ja in Münster noch sehr viel bunter. Das bewundere sie nach siebzehn eigenen Jahren Ratsarbeit. Und wie nimmt sie das Zusammenspiel in Münster zwischen Politik und Verwaltung wahr, die ja die Anregungen aus der Politik aufnehmen, prüfen und realisieren soll. „Ich habe von außen gesehen den Eindruck, dass in den großen Fragen das Zusammenspiel - sagen wir mal - ausbaufähig ist. Und ich würde auch sagen: Es nutzt niemandem, wenn man drauf setzt, dass ehrenamtliche Politik den Atem verliert, sondern dass es eben um das Zusammenwirken von politischen Mehrheiten und Verwaltung geht, so wie das in der kommunalen Verfassung steht, wo es heißt „Rat und Verwaltung gemeinsam...". Da sei natürlich auch ein OB gefragt, sensibel damit umzugehen. Bei wichtigen Themen für die es Mehrheiten gibt, wie bei der verkehrsarme Innenstadt, sich da hinzusetzen und zu hoffen, dass man das verwaltungsmäßig ausgebremst kriegt, das sei kein schlauer Weg. Im Gegenteil: Man sehe man ja, wie wichtig die Autoarmut für eine Wiederbelebung ihrer Innenstädte ist, wie gut das funktioniere, könne man sich in Holland angucken. Klein-Schmeink: „Da sind eigentlich alle gefordert zusammen zu wirken und sich nicht lahm zu legen". Da gehöre auch dazu, dass die Verwaltung das Primat der politischen Mehrheiten akzeptiere. Und wenn erkennbar sei sehe, dass es nicht zusammen läuft, da habe der OB eigentlich die Aufgabe zu schauen gibt es einen gemeinsamen Weg oder gibt es den nicht und ansonsten einfach zu akzeptieren, dass es politische Mehrheiten gibt. Das man das einfach aussitzt und drauf hofft, dass die nicht den langen Atem haben und frustriert aufgeben.
Die Fragen stellte der MVZ-Politikchef Frank Biermann
Über eine grüne Frau an der Stadtspitze würde sie sich schon freuen, so eine wie Katja Dörner in Bonn