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durchgelesen: James Bridle - New Dark Age

James Bridle ist ein interessanter Zeitgenosse. Er ist definitiv ein MINT-Nerd, aber mit einem ausgeprägten, für viele schwurbelig wirkenden Zugang zu ganzheitlichen Aspekten unserer Welt. Er kennt sich mit Emergenz, Datenstrukturen, Selbstorganisation und Algorithmen aus. Er ist alles andere als naiv. Sein neueres Buch habe ich dennoch erst nur verschenkt, aber nicht gelesen. Ganz einfach, weil ich noch nicht so weit bin, wie er es ist.

New Dark Age hingegen holt mich nahezu vollkommen ab. „Der Sieg der Technologie und das Ende der Zukunft“ ist ein passender Untertitel für ein Buch, das eine wirklich fatalistische Prognose wagt: die unkontrollierbare Unvorhersehbarkeit der großen Maschine, die wir ungewollt gebären. James nennt Pikettys „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ das deprimierendste Buch, das er je gelesen hat. Und in diesem, den Kapitalismus anerkennenden Kontext, schreibt er sein Buch.

Anhand vieler, sehr gut beschriebener Kaskaden von selbstverstärkenden Mechanismen zeigt James auf, dass wir bereits keine Ahnung und keine Kontrolle haben, uns aber noch die Geschichten erzählen, dass jemand am Steuer sitzt. Von ihm habe ich das Beispiel rund um Elsa-Gate und die Mensch-Maschine-Mensch-Maschine-Kleinkind-Wechselwirkungen, die zu traumatisierten Kindern führten, die unwissentlich Gewaltpornos auf YouTube ausgesetzt waren. Von James habe ich die Fakten rund um das High-Frequency-Trading und die enormen Anstrengungen, die sich im Namen der Kapitaltransformation manifestieren. In der Tat habe ich aus diesem Buch so viele Inspirationen und Fakten aufgesogen und internalisiert, dass ich jetzt durch das Schreiben dieser Review erst wieder daran erinnert werde, woher ich diese habe!

Entlang von Computertrust und „fauler Programmierer-Ästhetik“ zeichnet James eine Trajektorie der offenkundigen Unklarheit, mit der sich die Menschheit konfrontiert sieht.

Alles könnte in einem militärischen Flash-Crash enden.

Niemand versteht, woher Befehle kommen, aber viele befolgen sie bzw. sind gezwungen, sich mit den Konsequenzen auseinanderzusetzen.

Das Trainieren neuronaler Netze verbrennt den Planeten.

Der Konflikt in Syrien ist verursacht durch Ressourcenknappheit.

Die zunehmende Überwachung durch Sicherheitsinfrastruktur ist kontraintuitiv.

Die NSA hat enorme Fortschritte gemacht beim Knacken von Primfaktorzerlegung.

Wir verstehen künstliche Intelligenz nicht …

… und jegliche Kombination der obigen Aussagen kann zu einer Komplexitätsexplosion führen. Je mehr Wissen wir uns als Zivilisation aneignen, desto weniger begreifen wir. James ist mit dieser Ansicht nicht allein, aber populär ist diese kritische Sichtweise auf unsere fortschrittsgetriebene Elitenerzählung dennoch nicht. Da unsere Gesellschaft aus unseren Wechselwirkungen emergiert, diese sich zunehmend durch Automatismen und Wechselwirkungen höherer Ordnung verändern, scheint es für uns nur eine Frage der Zeit zu sein, bis wir aus dem Fiebertraum der Kontrolle über die Prozesse, die wir in Gang gesetzt haben, aufwachen.

Bis zu diesem Aufwachen allerdings kennen wir die Tendenz von Machthierarchien… Sie werden jedes Problem schlicht mit einer größeren Gewaltanwendung (also einer größeren Machtakkumulation) lösen wollen. Exakt nach diesem Prinzip will auch die Big-Data-Industrie ihre Probleme lösen. In dieser Datenflut, die keinesfalls zu einer Verständnis- oder Wissensflut wird, beginnen wir von Neuem, religiöse Beziehungen oder gar apokalyptische Kulte zu entwickeln. Die Gesellschaft fällt in eine tiefe dunkle Grube ob des eigenen Unverständnisses über die Götter, die sie rief: Das neue dunkle Zeitalter beginnt.

Ein bürgerlicher Leser wird am Ende des Buches ziemlich schlechte Stimmung haben. James macht unmissverständlich klar, was er von der Zukunft hält und wie auch das späte Rom schlussendlich kollabierte. Interessant ist seine Argumentation vor allem deshalb, weil auch aus der jetzigen Perspektive der Untergang des römischen Imperiums nur von der bürgerlichen Innenansicht etwas Schlechtes war.

Ganz im Sinne von Rebecca Solnits Buch „A Paradise Built In Hell“, kann nur aus so einer Krise eine fähige Kultur entstehen. Eine Kultur, die da beginnt, wo unsere jetzige Krise ihren Ursprung hat. In der Annahme, ohne emergentes Denken hochgradig emergente und miteinander verschränkte Kreisläufe steuern zu können. Geradezu lächerlich ist die Hybris, die sich in der aktuellen wissensgetriebenen Erzählung verkaufen möchte. Leser von New Dark Age sind hoffentlich keine Abnehmer.

Videos die durch dieses Buch beeinflusst sind:

https://youtu.be/AoOFZAj-t4s (Abre numa nova janela)https://youtu.be/gMINAU3X4iU (Abre numa nova janela)https://youtu.be/UZGDS5rEL74 (Abre numa nova janela)
Tópico morfsche Buchrezensionen

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