TEXTE VOM VORHANDENSEIN
TEIL 2: VOM DANKE SAGEN
Nach einer längeren Lesung, spreche ich den letzten Satz des Gedichts und sage am Ende „Danke fürs Zuhören“, wie ich es fast immer tue und verbeuge mich. Nach dem Applaus kommt ein gut gekleideter älterer Herr auch mich zu. Ich habe dazu nicht empirisch geforscht, aber es sind fast ausschließlich diese gut gekleideten, älteren Herren, die nach Auftritten auf mich zukommen, um ungefragt Feedback zu geben. Er sagt, mein Bedanken beim Publikum am Ende sei gänzlich überflüssig. Sei eine Form von Schwäche. Ein "sich selbst klein machen", meint er. Es sei ja selbstverständlich, dass die Leute mir zuhören würden, schließlich seien sie dafür ja hergekommen und hätten Eintritt gezahlt. Ich nicke nur und denke "NEIN! Niemals werde ich irgendetwas davon für selbstverständlich halten." Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Mittelhessen. Dankbarkeit und Danke sagen halte ich für einen ganz essenziellen Teil meiner Arbeit. Ich erinnere mich daran, wie ich als kleiner Junge, das muss noch im Grundschulalter gewesen sein, den Wunsch geäußert habe, später einmal Schriftsteller werden zu wollen. Und wie mir darauf hin jemand gesagt hat, dass das nicht geht. Dass das kein realistischer Berufswunsch sei. Und wie ich das erstmal so akzeptiert und nicht weiter hinterfragt habe. Schließlich kannte ich niemanden, der Bücher schrieb und das zum Beruf gemacht hatte. Ich kannte Menschen in handwerklchen Berufen und Menschen mit Büro-Jobs. Beide fuhren morgens früh irgendwann "zur Arbeit" und kamen abends irgendwann wieder nach Hause. Und Schriftsteller fand ich hauptsächlich deshalb interesant, weil ich so gerne Bücher las und den Gedanken aufregend fand, das eines Tages selbst zu versuchen. Trotzdem war der Gedanke daran in meinem Erfahrungshorizont damals ähnlich abstrakt, wie wenn ein Kind sagt, dass es Ritter werden möchte, oder Pirat, oder Fußball-Profi in der Bundesliga.
Wie sollte ich da jetzt nicht dankbar sein? Jedes Mal, wenn ich auf der Bühne stehe, jedes Mal, wenn mir jemand ein Buch abkauft, oder mir erzählt, dass sie eines meiner Videos im Schulunterricht, oder im Gottesdienst gezeigt haben. Dass Menschen mir zuhören, meine Gedanken und Gedichte lesen, mir Hotelzimmer buchen und dafür bezahlen, mir zuzuhören. Das ist alles weit entfernt davon selbstverständlich zu sein! Danke fürs Zuhören! Danke fürs Lesen! Danke, dass ich mit dem, was tue, ein kleiner Teil deines eigenen Vorhandenseins sein darf! Danke!
Ein anderes Mal. Ein paar Monate später. Wieder ein älterer Herr. Ein anderer. Er wartet nicht mal bis zu meinem Satz am Ende, sondern ruft während der Lesung ständig lautstark rein. Was er ruft, kann ich leider auf der Bühne nicht genau verstehen. Ich sehe aus den Augenwinkeln, wie Personen des Orga-Teams ihn versuchen zu beruhigen, während ich versuche mich zu konzentrieren und den Text zu Ende vorzutragen. Nach der Performance nehme ich zwei Bier aus dem Backstage, suche den Reinrufer, finde ihn schnell, reiche ihm eins der Biere und frage, was ihn denn so gestört habe? Ich bin auf alles vorbereitet. Stelle mir vor, dass ihn Inhalt, oder Form genervt haben. Aber er sagt aufgebracht, ihn habe gestört, dass ich in meinen Texten so viele Fragen stelle und keine Antworten, oder Lösungen anbiete. Kunst müsse doch Antworten liefern, sagt er und blickt mich erwartungsvoll an. Ich nicke und denke: "NEIN! Genau das nicht!" Das nervt mich an Religion ja schon so kolossal. Dieses ständige auf alles ne Antwort haben wollen und sich dann auf eine Bühne stellen und für etwas bessere halten, weil man die richtige Antwort kennt, auf Fragen, die niemand gestellt hat. Nein Danke! Denselben Fehler muss die Kunst doch nicht auch noch machen. Oder soll sie von mir aus. Aber ohne mich.
Als Harmonie-Mensch, der ich leider sehr oft bin, habe ich zu beiden nichts gesagt. Das laute Nein habe ich nur gedacht und später aufgeschrieben. Vor allem als Flaschenpost-Erinnerung aus der Vergangenheit an mein Zukunfts-Ich: Nimm nichts von dem, was du tun darfst jemals für selbstverständlich. Das ist es nämlich nicht. Und erlaube dir unbequem und fragend und hinterfragend in deiner Kunst (und damit auch zu dir selbst) zu sein. Auch wenn dadurch mit der Zeit vielleicht sogar weniger Menschen kommen und lesen und zuhören. Dann sei umso dankbarer für die, die bleiben!
Hier kannst du dir den Text von mir vorlesen lassen:
Schreibt mir gerne eure Gedanken zum Text. Und wir hören und lesen uns nächste Woche wieder.
Liebe Grüße aus Wien
Marco
NEWS-NEWS-NEWS:
Ich möchte Euch gerne noch die neue Hossa Talk Podcast-Folge ans Herz legen. Hossa Talk ist ein Talk-Format mit Jay Friedrichs und mir, das alle zwei Wochen erscheint und dem wir uns zu zweit und mit spannenden Gästinnen und Gästen über Theologie, Spiritualität, Politik und Gesellschaft unterhalten. In der aktuellen Folge hatten wir Prof. Dr. Siegfried Zimmer zu Gast, den einige von euch vielleicht von seinen Worthaus-Vorträgen kennen. Sehr spannendes Gespräch. Hört gerne mal rein:
https://hossa-talk.de/212-keine-angst-und-keine-ahnung-m-siegfried-zimmer/ (Abre numa nova janela)PS. Einige von Euch bekommen diese Mail, obwohl sie nicht zur Steady-Community gehören. Das ist kein Versehen. Ihr lest diese Zeilen, weil ihr irgendwann in der Vergangenheit mit mir und meiner Arbeit verbunden wart und seid. Vielleicht hast du Lust Teil dieser Community zu werden. Das würde mich sehr freuen! Du kannst aber auch gerne einfach mitlesen und schauen, ob die Reise, auf die wir uns gemeinsam begeben, etwas für dich ist. Und wenn du gar keine Lust auf dieses Projekt hast, fühl dich völlig frei, dich einfach abzumelden. Nicht alles ist für jeden. Das verstehe ich total!
PPS. Das soll ein Community-Projekt sein. Wenn Du Fragen, Kritik, oder Anregungen hast, melde dich jederzeit sehr gerne. Ich wünsche mir, dass das hier mehr ein Gespräch wird und weniger ein Monolog.