Ein Flughafenanruf vom Chefredakteur
Aus dem Gedächtnis notiert
Anmerkung der Redaktion: Bei Kästner im Gespräch "Die Kunst verlangt Opfer." angestrichen. Aus "Der Herr aus Glas".
Einen Wunderschönen! Kaplinsky hier. Nur eben noch ein paar schnelle Anweisungen vom Flughafenrestaurant, bevor wir nach New York abheben. Wobei wir es mal lieber einen bemühten Imbiss nennen wollen. Fragwürdige Tischnachbarn, die doch wirklich der Meinung sind, die Kunst dürfe nicht alle Opfer verlangen. Du kennst mich ja. Und Ferdinand. Was ich wieder aufschnappe, hat er dann doch gezischt, als ich den Satz wiederholte und mich lautstark anfing zu räuspern. Und als Ferdinand sagte, ich solle jetzt bloß keine Szene machen, hätte ich am liebsten ein One-Way-Ticket nach Singapur für ihn gebucht. Jetzt guckt er mich gerade ganz bedeppert an. Momentchen bitte, der Kellner kommt. Einen Weißwein und ein Pils, danke! Man dürfe nicht alles für die Kunst opfern. Also wirklich. Ich weiß noch damals in Leipzig bei der Premiere vom Zerbrochenen Krug. Als Ferdinand seine Hospitanz in der Dramaturgie absolvierte. Ferdinand, war das `82 oder `83? Ah ja, `83, als wir das erste Weihnachten nicht mehr mit deiner Mutter zusammen saßen. Was hat unsere Christiane Scheuer bei den Proben gelitten und geschrien, weil der Regisseur vergessen hatte ihr zu sagen, dass er verheiratet ist. Hatte der Lamprecht ihr nicht sogar ein Haus am Scharmützelsee gezeigt? Ferdinand nickt. Jedenfalls, alle waren in großer Sorge, denn die Eve schreit ja gar nicht im Stück, aber vielleicht könnte man am Ruprecht noch etwas umschreiben, damit die Christiane ihren ganzen Schmerz an ihm lassen kann. Eine Ohnmacht, das war mein Vorschlag, könnte sie plötzlich überfallen, weils ja gar nicht so untypisch bei Kleist ist und alles, was man eben noch so überlegte, um die Christiane vor ihrem Untergang zu bewahren. Sie drohte ihm ja, sie würde von der Bühne runter zu seiner schwangeren Ehefrau marschieren, würde er sie nicht weiter besetzen. Der Lamprecht durfte dann bei keiner Probe mehr mit dabei sein. Der ging wohl im Palmengarten die ganz Zeit spazieren. -Naja. Und am Premiereabend? Ein nassgeschwitzter Regisseur noch bevor der Vorhang hoch ging. So wahr wir hier sitzen, man hat Christiane Scheuer an ihrem ersten und letzten Abend rein gar nichts angemerkt. Die spielte die Eve in ihrer schönsten Schüchternheit, wie nie eine davor und danach auch nicht mehr. Die ist dann nach der fünfzigsten Vorstellung zum Film gewechselt. Leider muss man sagen! Was wollte ich eigentlich sagen? Mensch, wir trinken und essen und schauen auf die Anzeigetafel seit mehr als zwei Stunden. Rinder auf der Weide haben es besser als wir. Jedenfalls würde ich dich bitten, liebe Judith, die neuen Spielpläne einmal durchzugehen und mir jeweils drei Favoriten zu nennen. Außerdem ist es im zweiten Jahr unseres Newsletters wichtig, neue Ideen umzusetzen. Ideen, Ideen, Ideen! Hast du schon welche? Bist du denn schon aufgeregt wegen deiner Reise auf den Darß? Du weißt, du musst nach Ahrenshoop, da gibt es viel Kunst zu besichtigen. Wann kommt deine Mutter? Zur Not lässt du deinen Kleinen einfach beim Hotelpersonal. Die haben doch eine Kinderbetreuung in Zingst, ja? Danke, die Adressen mit den Restaurants habe ich bekommen. Wo Frau Ingeborg Bachmann nun die besten Burgunder Schnecken gegessen hat, haben wir nicht rausbekommen. Aber das La Grenouille ist nur 20 Minuten mit dem Taxi von unserer Unterkunft am Washington Square Park entfernt. Wir kommen dann direkt durch die Mitte am Empire State Building vorbei. Ferdinand hat sich das alles auf der Karte angeschaut und in sein Büchlein notiert. Elektronische Durchsage: Letzter Aufruf für den Flug X36572 nach Madrid. So jetzt muss ich aber auflegen. Denk mir an eine neue Rubrik. Grüß die Ostsee von uns! Tschüss. Tschüss, tschüss.