Danger Dan in Trier
Eine gute Nachricht vor der Porta Nigra
(Foto: Jaro Suffner)
Samstagmorgen im Ibis Hotel. Nachricht an mein Bett:
"Liebes Bett, ich komme heute noch nicht zu dir zurück. Es läuft richtig gut für mich gerade. Eine Frau namens Marina kam nach der Lesung im Buchfink auf mich zu und erzählte von der Sonnenfinsternis 1999, die ja in Prima Aussicht vorkommt. An dem Tag hätte sie nämlich ihren Mann kennengelernt. Der 11. August war das. Die Lesereise war wirklich ein voller Erfolg. Mit den Honoraren kann ich diesen Monat das Quartal beim Finanzamt bezahlen. Dem Jungen versprach ich am Telefon, dass ich ihn mal zu einer Lesung in den Westen mitnehme. Dass wir dann am Morgen im Hotel beim Frühstück analysieren, wie woanders der Kaffee getrunken wird. Also Bett, ich bleibe noch einen Tag länger in Trier und gehe auf ein Konzert. Rutsch mir den den Buckel runter! Liebst Judith"
Einen kurzen Moment stelle ich mir vor, wie ich wohl aussehe, wenn ich in ein paar Jahren einen Buckel habe. Ich bekomme einen, da bin ich mir ganz sicher. Irgendwann bin ich eben alt, das Bett in dem ich dann Jahrzehnte lang nicht nur geschlafen habe, sondern oft arbeitsam und oft nutzlos rumlag, wird schuld sein. Deswegen bleibe ich also in Trier, laufe über den Hauptmarkt und entlang der Mosel und denke, weiter westlich, doch doch, bin ich in meinem Leben nie gekommen. Die schlechte Nachricht ist, wir zerfallen zu Staub, singt Danger Dan auf seiner Platte, die ich mal rauf und runter hörte, weil ich Lebenskummer hatte. Die gute Nachricht, heute nicht. Mein Heute nicht ist der 17. Juni, 27 Grad und Sonne. Heute setze ich mich vor ein römisches Stadttor, der Porta Nigra und lausche meinem Lieblingslied, mit dieser schönen Endzeitstimmung, zum ersten Mal live.
Die Porta Nigra, die schon Sommer für Sommer erlebt hat, macht natürlich Eindruck. Trier ist die älteste Stadt Deutschlands, das weiß ich noch aus dem Geschichtsunterricht. Danger Dan, mit coolem Undercut und in bordeauxroter Bomberjacke, weiß das auch. Der begrüßt das Publikum nämlich erst mal auf Latein, was uns, die in Trier leben, wenn auch manche von uns nur für 48 Stunden, natürlich imponiert. Außerdem sagt er, fände er es super, wenn jeder einmal zu den Sitznachbarn schaue. "Stellt euch doch einander kurz vor, vielleicht zwinkert ihr euch zu." Links neben mir sitzt ein Roman. Rechts eine Jenny. Jenny kenne ich aber schon, denn sie ist die Ehefrau von Flo aus dem kleinen Buchfink, der Buchhandlung, in der ich am Abend zuvor aus meinem Buch gelesen habe. Zwei Stunden lang werden wir uns ab und zu anschauen und die Hände auf die Herzen legen. Eine wird sagen: "Er ist so sympathisch." Und die andere dann: "Oh Gott ja, das ist er." Drei Reihen vor mir sitzt Marina, die gestern bei meiner Lesung war, zusammen mit ihrer Sonnenfinsternis im weißen T-Shirt, als sie sich umdreht, winken wir uns aufgeregt zu. Dann singen wir laut zu "Ich verprügelte die Sextouristen in Bangkok".
Anmerkung der Redaktion: Begleitet wurde das Konzert vom Heck-Quartette. Zwei Geigen, eine Bratsche und ein Cello. Danger Dan hat im Zuge der Auseinandersetzung mit der Kunstfreiheit nach Liedern gesucht, die von der Gestapo 1933-1945 verboten wurden. So spielte das Heck-Quarettet ein Stück von Hans Drach mit dem Namen "Mein Vater wird gesucht". Die Recherche hat ergeben: Das Lied erzählt aus der Sicht eines Jungen, dessen Vater von den Nazis gejagt und schließlich ermordet wurde. Hans Drach schrieb das Lied 1935 in der Sowjetunion, in die er emigriert war. Beim Konzert handelte es sich um die vertonte Version von der damals im Exil in Prag lebenden Gerda Kohlmey. Das Lied darf nicht vergessen werden, so die Botschaft von Danger Dan. Stehende Ovation.
(Foto via @danger_dan_666)
Die Porta Nigra, las ich am Nachmittag, hat siebentausendzweihundert Steine. Das reicht der Reihe nach ausgegelegt bestimmt einen langen Weg. Ich schaue jedenfalls richtig oft zur Porta Nigra. Es muss dieses Alter vor dem Buckel sein, wo einem von Römern Gebautes, anfängt eine Freude zu bereiten. Alles geht immer weiter. Nur an so einem schmutzig aussehenden Tor, über tausendachthundert Jahre alt, fallen die Zeiten ineinander. Und ein bisschen bleibt mir dann die Luft weg, wenn Danger Dan sein nächstes Lied "Private Altersvorsorge 2" singt. Ein Antwort-Lied auf "Private Altersvorsorge ", an sein zehn Jahre jüngeres Ich, das er ursprünglich schrieb, weil alle plötzlich eine hatten, also eine Private Altersvorsorge, weshalb er dann ein Lied schrieb, es Private Altersvorsorge nannte, nur um auch eine zu haben. Vielleicht singt er nirgendwo verletzlicher vom Älterwerden, von Erfolg und auf die Fresse fliegen, von einem jungen Danger Dan, der nicht Akademiker werden wollte, sondern Rapper, vom Tod seines Bandkollegen Jakob, "diesem Vollidioten", von den neuen Leuten, die kommen und dem kleinen Lachen seiner Tochter: Es ist normal, dass eine Ungewissheit bleibt/ Nur dass du mittlerweile mit der Scheiße umzugehen weißt. Ein solider Reim. Für solche Zeilen braucht man sich wirklich nicht schämen. Die Tiefe stimmt, der Humor stimmt. Die Stimme stimmt! Der singt über das, was man kennt. Oder das, von dem man denkt, man sollte es kennen. Zwischendurch vergisst er seinen Text und das Fehlerhafte ist mittlerweile bestimmt sogar Teil des Programms. Irgendwie ist Danger Dan so ein ganz normaler Typ, der ganz zufällig ein musikalisches Genie ist.
Dann endlich kommt "Eine gute Nachricht".
Ich hab 'ne gute Nachricht und 'ne schlechte auch
Zuerst die schlechte: "Wir zerfall'n zu Staub
Wir werden zu Asche, kehren in das Nichts
Zurück, aus dem wir alle einst gekommen sind"
Und jetzt die gute: "Heute nicht
Es bleibt noch Zeit für dich und mich
Und wenn du willst, dann schlaf doch heut bei mir"
Wenn ich das höre, dann habe ich eine Sommerwohnung in Rom. Hier, vor der Porta Nigra, spielt Danger Dan gegen zehn Uhr seine Zugabe. Die Zuschauer haben die Taschenlampen an ihren Handys angeschaltet, so wie kleine Glühwürmchen leuchten sie zum schwarzen Tor als wären wir bei einem Herbert-Grönemeyer-Konzert, eine Frau hält ihre Zigarette hoch. Das Heck-Quartette begleitet Danger Dan am Klavier. Jenny und ich lächeln uns an. Es bleibt noch Zeit für dich und mich/Und wenn du willst, dann schlaf doch heut bei mir. Das ist ein Kitsch, der mich natürlich kriegt. Meine Sommerwohnung in Rom hat einen Balkon. Dort lese ich dicke Bücher und gieße meinen Hibiskus. Biedermeiermöbel. Unten im Erdgeschoss ein Nagelstudio. Den ganzen Tag laufe ich bucklig in Ledersandalen durch die Stadt. Die Türen des Küchenschranks müssten endlich mal repariert werden, so in der Art.