NOTIZ Der Fernsehturm steht und ist Fernsehturm. Er könnte auch ein Stift sein. Ich würde ihn rausziehen und mit der Spitze nach unten drehen. Ich schriebe „Hallo Welt“. Was besseres fiele mir vermutlich nicht ein.
Leserbrief Ausjabe 4
Liebe Judith, zuerst einmal vielen Dank für diesen schönen und inspirierenden Newsletter, den ich wirklich sehr gern lese! Ich finde den zitierten Brief von Christa Wolf ganz wunderbar. Könntest du die Quelle verraten? Das wäre toll!
Vielen Dank und beste Grüße,
ebenfalls von Judith
Anmerkung des Chefredakteurs: Diese Schlamperei! Der schöne Brief von Christa Wolf an ihren Ehemann Gerhard Wolf, jeschrieben etwa ein Jahr vor ihrem Tod, ist aus dem Briefband Christa Wolfs „Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten. Briefe 1952-2011“ (Abre numa nova janela), erschienen bei Suhrkamp. Den Laden kennt man. Muss man denn hier alles alleene machen?? In ihrem Nachlass befinden sich etwa fuffzehntausend Briefe. Sabine Wolf, die mutige Herausjeberin, muss sich jedacht haben, keen Druck, wir wählen einfach 500 aus. Dies war einer davon. PS Das Lob des Lesebriefs bleibt aber vorne dranne. Schadensbegrenzung! PPS Arbeit tut gut. AK
Buch & Film
Patricia Highsmith
Frauen lieben
Ebenfalls eine produktive Schreiberin jenseits des Schreibens von Büchern. Während Christa Wolf Briefe an Freunde und Kollegen verschickte, führte Patricia Highsmith etwa zur selben Zeit Tagebuch. Genauer: In ihrem Wäscheschrank fand man nach ihrem Tod (1995) 18 Tage- und 38 Notizbücher. Seit ihrer Collegezeit, beinahe nahtlos geführt. Beide Frauen also permanent am Schreiben. Jetzt ist die Amerikanerin Patricia Highsmith natürlich nicht unbedingt mit der ostdeutschen Christa Wolf zu vergleichen, aber müsste man aus dem Bauch eine Gemeinsamkeit finden, angenommen, jemand würde mir drohen, Judith(!) würde man mir drohen, du darfst nie wieder Zwischen Tüll und Tränen kieken, wenn du nicht sofort wie aus der Pistole schießend eine Gemeinsamkeit benennst, dann würde ich laut rufen:
beide Frauen, entfesselnd direkt!
Wobei man vielleicht auch noch sagen könnte, dass sie sich optisch einander ähnelten, wegen der schwarzen Haare und dem Seitenscheitel, dem wenigen Schmuck und der Rollkragenpullis. Christa Wolf las gerne Krimis. Vielleicht ja die von Patricia Highsmith.
Bei Patricia Highsmith liegt die Direktheit, um bei der mal zu bleiben, im Verborgenem. Die 1921 geborene Texanerin führte eine Art Doppelleben, das sich mit Hilfe ihrer Tagebücher zu einem Film formen ließ. Den habe ich vor kurzem im Kino gesehen. In Loving Highsmith geht es um Highsmiths Liebschaften. Ihre lesbischen Liebschaften. Und nach anderthalb Stunden Film darf man wohl sagen: wenige gab es davon nicht. Eva Vitija begibt sich auf Spurensuche jener Frauen, die Patricia Highsmith den Kopf verdreht haben. Sie fährt sogar nach Berlin, um eine von ihnen, die Schauspielern Tabea Blumenschein, zu interviewen. Eine queere Punk-Ikone, was ich so über sie gelesen habe. Geheime Bars in die Highsmith gegangen ist werden gezeigt und man kommt schnell auf den Gedanken, einfach war dieses Leben bestimmt nicht. Ständig nur im geheimen lieben, das muss doch traurig machen. Und AUCH allein deswegen schon nicht einfach, weil die wichtigste Liebe zu einer Frau im Leben Highsmiths eine unerwiderte Liebe war. Die zu ihrer Mutter. Die Mutter, die eine Flasche Terpentin hinterkippte, um die Schwangerschaft mit ihr zu beenden.
(Foto: Liselotte Erben)
Sowohl Film als auch die Tagebücher geben Einblick in das Privatleben einer klugen Schriftstellerin: sie beherrschte mehrere Sprachen (darunter auch deutsch), lebte lang in Europa, tippte acht Seiten pro Tag, trank Gin und Whiskey, konnte sich bitterböse streiten und sammelte seit ihrer Collegezeit Schnecken, die sie, wenn es sein musste, unter ihrem Busen in andere Länder schmuggelte. Klingt das nicht nach einer interessanten Frau? Patricia Highsmith ist ganz sicher eine, die es zu entdecken lohnt.
In all ihrer Direktheit: Am 28. März 1948 hielt sie nach einem Barabend fest, "Es fällt einem auf, dass das Sexleben alles bestimmt."
Anmerkung der Redaktion: Patricia Highsmith: Tage- und Notizbücher. Herausgegeben von Anna von Planta. Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz, Pociao, Anna-Nina Kroll, Marion Hertle und Peter Torberg. Diogenes, Zürich 2021. 1376 Seiten, 32 Euro.
Noch eine Buchempfehlung
Gelesen habe ich Carol. Highsmiths bahnbrechender Roman über die Liebe zweier Frauen in den 50er Jahren. Die 19-jährige Therese, liiert mit Richard (Idiot) und Carol, Mitte 30 und Mutter, gerade in der Scheidung mit Harge (Idiot), verlieben sich tragisch umstandsvoll ineinander. Ein hocherotischer Roman, der selbst bei den banalsten Dialogen nichts an Intensität einbüßt. Man riecht förmlich die Kippen, schmeckt den Whiskey, es ist ein Roman, der die Gesellschaft an ihrer Ignoranz packt. Sensibel und dabei nicht kitschig, subtil und niemals voyeuristisch, das ist Carol, wunderschöne 400 Seiten lang.
Cate Blanchett liest
(Foto via @catedoingthings)
Liebe Leser und Leserinnen,
das wars nun wieder von mir. Am Wochenende werde ich nach Wien reisen und lese gerade Ruth Klügers weiter leben. Ein Besuch an Falcos Grab ist fest eingeplant und ich freue mich, in der kommenden Woche darüber zu berichten.
Tausend Grüße und Küsse, Judith