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Wie viel Krise braucht die Kunst?

Wiebke?

Ja, Schreibtisch?

Dir geht’s zu gut.

Wie bitte?

Du bist nicht unglücklich genug, um Kunst zu schaffen.

Wo hast du den Quatsch denn her, Schreibtisch? Aus deinem Baujahr 1967?

Aua! Nein. Aus dem Internet.

Oha, ich sollte nach der Arbeit immer den Laptop runterfahren. Schreibtisch, das ist Bullshit.

Aber …

Nix aber. Natürlich gibt es Kunstschaffende, die Krisen durchleben und dabei großartige Werke zustande bringen. Das eine führt aber nicht zwangsläufig zum anderen. Du weißt schon, Korrelation versus Kausalität. (Abre numa nova janela)

Ach. Und was ist mit den Breakup Songs von Taylor Swift? Die sind doch nur entstanden, weil sie Liebeskummer hatte.

Echt jetzt, Schreibtisch? Das ist dein Beispiel? Taylor Swift? Nicht Virginia Woolf? Camille Claudel? Udo Lindenberg? (Abre numa nova janela)

Öhm. Ich bin nur ein einfaches Möbel.

Okay, einfaches Möbel, dann hör mir mal zu. Ich finde das Klischee des Künstlers, dem es für sein Werk dreckig gehen muss, gefährlich. Denn wenn ich als Schriftstellerin oder Songtexterin glaube, dass ich unglücklich zu sein habe, um gute Bücher oder Lieder zu schreiben, dann weiß ich meine Tendenz zur Ausgeglichenheit irgendwann nicht mehr zu schätzen und glorifiziere Leiden als Idealzustand. Das kann niemand wollen.

Aber du sagst doch dauernd, dass eine gute Story Konflikte braucht. Der Festivalroman, (Abre numa nova janela) an dem du gerade schreibst, wimmelt nur so von persönlichen Krisen. Die musst du doch nachvollziehen können, um sie überzeugend darzustellen.

Ja doch. Ich hab in der Vergangenheit schon einige Krisen und Konflikte mitgemacht. Aus diesem Erfahrungskanister kann ich mir in guten Zeiten jederzeit nachschenken.

Sag mal ein Beispiel.

In meinem Festivalroman fliegt meine Protagonistin Mona aus einer Band. Das ist mir in jungen Jahren auch passiert. Ich weiß also, wie sich das anfühlt. Ich muss mich also in meiner aktuellen Band (Abre numa nova janela) nicht danebenbenehmen, damit sie mich rauswerfen und ich frisch darüber schreiben kann.

Das’n Punkt.

Meine errungene Zufriedenheit werde ich jedenfalls nicht aufgeben, weil unglückliche Menschen angeblich bessere Kunst machen. Taylor Swift wird sich für neues Songmaterial ja auch nicht von Travis Kelce trennen.

Ha! Du weißt also, mit wem Taylor Swift zusammen ist!

Manchmal bin auch ich nur ein einfaches Möbel.

Da haben wir was gemeinsam, Wiebke. Und jetzt lass uns am Festivalroman ROCK YOUR BEAST weiterarbeiten.

Einen Moment noch, Schreibtisch. Erst kommt ein kurzer Werbeblock.

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Ein Buch mit Musik: Utopia Avenue

“Es gibt keine reinere Droge als Applaus.”

Utopia Avenue von David Mitchell ist die Geschichte der gleichnamigen Band, die wir alle im selben Atemzug mit den Beatles und den Stones nennen würden. Wenn es sie denn gegeben hätte.

Utopia Avenue sind Elf, Dean, Jasper und Griff. Sie werden im England der späten 1960er berühmt und erobern mit zwei Alben die Welt, während der Summer of Love in Gewalt und kapitalistische Gier umschlägt.

Ehrlich, in das 748 Seiten starke Werk kommt man schwerer rein als in einen angesagten Londoner Club der Swinging Sixties. Bunte Details, extrem viele Namen, ausschweifende Ortsbeschreibungen, Zeitsprünge, wechselnde Perspektiven und gewagte Sprachbilder dicht an dicht.

Doch wer erstmal drin ist, tanzt. Ich habe jede Seite (nach den ersten zehn) genossen. David Mitchell erfüllt meine Sex-Drugs-and-Rock’n’Roll-Erwartungen - aber ganz anders als gedacht: Ein sympathischer Manager! Die Frauen haben die besten Dialogzeilen! Der Schlagzeuger ist keine impulsive Knalltüte! (Der Bassist schon.) Und endlich ein Buch über die Sixties ohne seitenweise Beschreibungen von LSD-Trips aus der Ich-Perspektive, es macht bestimmt Spaß, die zu schreiben, aber es macht überhaupt keinen Spaß, die zu lesen, also DANKE, David Mitchell, fürs Weglassen!

Statt dessen schreibt er sich behutsam in die neurodiverse Psyche von Jasper, dem Gitarristen. In das bisexuelle Gefühlschaos von Elf, der Multiinstrumentalistin. In eine Zeit, die von Aufbruch und Widersprüchen geprägt war wie kaum eine andere. In die alles verbindende Macht der Musik.

Wirklich. Es lohnt sich, dranzubleiben.

Mein musikalischer September

Im Vergleich zum August (Abre numa nova janela) gab’s diesen Monat sehr wenig Livemusik. Die hatte es aber in sich: Ich flanierte über das Straßenmusikfestival BaDaBoom (Abre numa nova janela) in Neumünster und bestaunte in Husum The Music Of Genesis (Abre numa nova janela). Und das, obwohl ich gar kein Genesis-Fan bin. Aber der Schlagzeuger (Abre numa nova janela) ist nun mal Weltklasse.

Apropos Drummer, apropos Weltklasse. Das Portal Drumeo (Abre numa nova janela) produziert regelmäßig Interviews mit Schlagzeuglegenden, die immer sehenswert sind, auch wenn man Drumsticks nicht von Anmachholz unterscheiden kann.

Die aktuelle Episode (Abre numa nova janela) ist ein einstündiges Interview mit Stewart Copeland, dem Drummer von The Police. Der Sound dieser Band hat meinen Musikgeschmack geprägt wie kaum ein anderer, also habe ich alles stehen und liegen lassen, als die Folge rauskam.

Jede Sekunde dieses Interviews ist spannend, erhellend, berührend. Copeland ist wortgewandt, witzig und ein absolut einzigartiger Drummer. Und er teilt bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen Sting aus. Die Stimmung bei The Police muss an Negativität kaum zu unterbieten gewesen sein.

Warum konnten sie dann so unglaubliche Musik schaffen?

Vielleicht, weil sie um jedes Take gestritten haben.

Hätten sie dieses Niveau auch erreicht, wenn alles flauschig gewesen wäre zwischen Stewart und Sting?

Wahrscheinlich ist es doch komplizierter mit der Beziehung zwischen Krise und Kunst als gedacht.

Was noch?

Am 24. Oktober lese ich in der Stadtbücherei Kiel aus KILL YOUR BEAST. (Abre numa nova janela)

Die Chance auf ein signiertes und gewidmetes Exemplar, und ich habe wirklich eine schöne Schrift!

Wenn du an dem Tag keine Zeit hast oder zu weit weg wohnst: Du kannst KILL YOUR BEAST als Taschenbuch auch bei mir direkt (Abre numa nova janela) bestellen. Mit Wunschwidmung. Für dich selbst oder zum Verschenken. Christmas is coming.

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