Ein und drei Stühle, aber auch zwei oder sechzehnhundert
Jeden Dienstag erzähle ich dir in diesem kostenlosen Newsletter Neuigkeiten, Kuriositäten oder Geheimnisse, um dir die Kunst näher zu bringen. Heute geht es um Stühle und darum, wie diese Objekte Künstlern als Ausdrucksmittel dienen können.
Liebe Kunstfreundin, lieber Kunstfreunde,
Stühle sind so alltäglich, dass man sich ein Leben ohne sie gar nicht vorstellen kann. Aber sie sind auch wichtig für die Kunst, weil sie ein Mittel sind, um Ideen auszudrücken. Es ist unvermeidlich, dass man verschiedene Künstler mit diesem Gegenstand in Verbindung bringt. Ich zeige dir einige ihrer Werke.
Ein und drei Stühle
Der erste Künstler ist Joseph Kosuth (*1945 Toledo, Ohio), der 1965 seine Arbeit "one and three chairs" vorstellte. Es zeigt einen Holzstuhl, ein Foto davon und einen Text mit der Definition eines Stuhls, also drei Darstellungen dieses Objekts. Wie die Konzeptkünstler der 1960er Jahre sah er die Funktion der Kunst darin, neue Bedeutungen zu schaffen. Er malte einen Stuhl bewusst nicht mit Farbe auf einen Leinwand, sondern wollte die neuen, unpersönlicheren und daher emotionsloseren Medien nutzen: die Kamera und den mechanischen Druck von Text.
Für die Konzeptualisten reduziert sich das Kunstwerk auf die Idee dahinter. Der Betrachter ist gezwungen, sich auf das Konzept des "Stuhls" und seine visuelle und sprachliche Repräsentation zu konzentrieren und auf das Vergnügen zu verzichten, das ihm die Kunstbetrachtung bis dahin bereitet hatte. Der Künstler gibt seine romantische Rolle auf und wird zum Philosophen, der die Funktion von Kunst und Gesellschaft hinterfragt.
Ein Stuhl, der einen Diktator erzürnte
Der zweite Künstler mit einem ungewöhnlichen Stuhl ist Arcadi Blasco (1928 Alicante - 2013 Madrid). Sein "Asiento para garrote vil" (Stuhl für Garrote vil) aus dem Jahr 1971 brachte ihn in das spanische Gefängnis Francos. Der Diktator, der 40 Jahre lang Gegner seiner Politik ermorden ließ, benutzte gerne die sogenannte "Garrote vil". Dabei handelte es sich nicht um einen elektrischen Stuhl, sondern der Hals des sitzenden Opfers wurde mit einem Ring zusammengedrückt, bis er brach und es sofort starb.
Der skulpturale Vorschlag des Künstlers war voller Ironie: Warum nicht schöne Stühle für solch abscheuliche Taten vorschlagen? Ist es nicht die Aufgabe des Künstlers, die Schönheit zu kultivieren und den Herrschenden zu dienen? Nachdem Blasco einige Monate zuvor seine Werke mit großem internationalen Erfolg auf der Biennale in Venedig ausgestellt hatte, präsentierte er in Madrid eine Ausstellung mit diesem Stuhl und anderen Werken dieser Art. Ein noch schlimmeres Urteil blieb ihm erspart, da sein Prozess am selben Tag stattfinden sollte, an dem der Diktator starb. Die Ironie dessen Todes rettete dem Künstler das Leben.
1.600 Stühle für die Opfer von Gewalt
Stühle sind auch ein wichtiges Element im Werk der kolumbianischen Künstlerin Doris Salcedo (*1958 Bogotá). Auf der Istanbul Biennale 2003 stapelte sie 1.600 Holzstühle in einer Lücke zwischen zwei Gebäuden in der Stadt und erweckte so den Eindruck eines kollektiven Grabes. Ihre Idee war es, die nicht erzählten Geschichten anonymer Menschen aufzutürmen, von denen niemand etwas wissen wollte.
Für Sokrates erinnerte das Wiedererkennen eines Gegenstandes an die Person, der er gehörte, und er nannte dies Reminiszenz. Doris Salcedo nutzt dieses Konzept, um uns von den Opfern der Gewalt in ihrem Land zu erzählen, und zwar auf die für alle zugänglichste Weise: durch Gegenstände, die jeder wieder erkennt. Die Stühle sind also Darstellungen von Menschen, und diese unerwartete Anhäufung führt uns zurück zu einem schrecklichen Ereignis, das mit dem Tod verbunden ist.
Zwei Stühle für zwei Künstler
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