"Die meisten Menschen fürchten Leerlauf und sind glücklicher, wenn sie eine Aufgabe haben."
Vor zwei Wochen hatte ich auf einmal viel freie Zeit. Leider konnte ich überhaupt nichts damit anfangen. Ich habe mir zum zweiten Mal Corona eingefangen und kann nun behaupten, dass sich weder Delta noch Omikron besonders „mild“ anfühlen. Ich musste nicht nur einsehen, dass die Pandemie wirklich nicht vorbei ist und die selbstbewusste Nachlässigkeit früher oder später bestraft wird (Ich war zum ersten Mal seit Monaten beim Sport und muss mich dort angesteckt haben).
Je länger ich untätig im Bett lag und mich auskurierte, desto besser verstand ich, was ich ja eigentlich längst wusste: Es gibt Zeiten, in denen Nichtstun das einzig Richtige ist. Es gibt Zeiten, die sich einfach nicht nutzen lassen. Nicht einmal der Langsamkeit, die man während des Krankseins erfährt, lässt sich etwas abgewinnen. In meinem letzten Herbst erschienenen Buch Zeitwohlstand für alle (Abre numa nova janela) habe ich diese Erfahrung lebloser Zeit bereits vorweggenommen:
Es kann unerträglich sein, wenn wir die Zeit als zäh erleben und scheinbar nichts vorangeht. Manchmal scheint es, als hätten wir zu viel Zeit: Wenn wir jemanden vermissen, wenn wir sehnsüchtig einem Ereignis entgegenfiebern, wenn wir krank sind oder wenn wir uns in einem Lockdown befinden. Dann ist ein langsames Leben kein Gewinn, sondern erscheint bedeutungslos, weil es uns von einem erlösenden Ziel trennt. Diese Art der Verlangsamung führt zur Erstarrung.
In seinem Roman »Das Gewicht der Worte« schreibt Pascal Mercier über diese zermürbende Leere der erlebten Zeit: »Man möchte ja nicht nur die reine Zeit in ihrem Verfließen durchstreichen, sondern auch all die Erfahrungen, die man in dieser Zeit unweigerlich machen wird; denn es ist von vornherein klar, dass sie nichts zählen werden.« Freie Zeit, die uns belastet, weil sie uns zum Nichtstun zwingt, auch das gibt es also. Verfügen Menschen über zu viel Zeit, die sie subjektiv als unproduktiv, inaktiv und nicht erfüllend wahrnehmen, sinkt das Wohlbefinden.
So ging es mir auch. Ich fühlte mich vollkommen nutzlos. Es wäre jetzt naheliegend zu behaupten, dass die kapitalistische Kultur mich so erzogen hat: Pausen dienen der Regeneration, aber wenn die Regeneration auf sich warten lässt, dann verfehlt die Pause ihren Zweck. Dann ist die Pause nicht gut genutzt. Ich haderte mit der Eigenzeit der Erkrankung. Warum dauert das so lang? Warum nützt das Ausruhen nichts? Natürlich ist das eine kulturell geprägte Sicht, die sich tief in meinem Denken und Handeln festgesetzt hat.
Doch da ist noch etwas anderes, was mir das Gefühl gegeben hat, nutzlos zu sein. Verfügen Menschen über zu viel Zeit, die sie als unproduktiv wahrnehmen, sinkt das Wohlbefinden. Das heißt auch: Es ist nichts verwerflich daran, dass wir produktiv und nützlich sein wollen. Es ist zutiefst menschlich. Wir brauchen Aufgaben, wir wollen etwas schaffen, wir wollen wirken.
Die meisten Menschen fürchten Leerlauf und sind glücklicher, wenn sie eine Aufgabe haben.
Ein Team aus Verhaltensforscher*innen zeigte in einer 2021 im Journal of Personality and Social Psychology veröffentlichten Studie, (Abre numa nova janela)dass das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben, zwar tatsächlich mit mehr Stress verbunden ist. Mehr Zeit zu haben sei also wichtig für das subjektive Wohlbefinden. Doch anhand der Befragungen von mehr als 35.000 US-Amerikaner*innen fand das Team auch heraus, dass die Zufriedenheit nicht immer weiter ansteigt, je mehr Freizeit wir haben.
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