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„Herz in der Hand“: Open-Air-Festival in Zittau

Eine Woche vor der sächsischen Landtagswahl fand in Zittau das Open-Air-Festival „Herz in der Hand“ statt. Ein Rückblick.

Sonntagnachmittag, 25. August: Mehrere Hundert Menschen ziehen im Rahmen einer Demokratie-Demo durch die Zittauer Innenstadt. Bei der Auftaktkundgebung hält der parteilose Oberbürgermeister Thomas Zenker eine beeindruckende Rede, gutgelaunt setzt sich der Demozug anschließend in Bewegung. Die Kapelle Banda Communale sorgt für den stimmungsvollen Rahmen.

Sonntagabend, 01. September: Die SPD wird bei der Landtagswahl in Zittau stärkste Partei des Mitte-links-Spektrums. Mit 4,5 % der Listenstimmen. Es folgen die Grünen mit 3,3 % und die Linkspartei mit 2,8 %.

Ein ausführlicher Rückblick auf das Open-Air-Festival „Herz in der Hand“, welches der Zittauer Verein Augen auf mit vielen Ehrenamtlichen vom 23. bis zum 25. August auf dem Zittauer Marktplatz durchführte. Und ein Rückblick auf die Abschlussdemo am Sonntag, organisiert vom Bündnis Demokratische Oberlausitz.

Eine Woche vor dem Wahldesaster.

Samstagnachmittag, Emil Zittau

Der Vordereingang des Emils ist geschlossen, Dirk lotst mich per Handy auf die Rückseite. Geräumiges Gelände mit Freisitz, ich mache es mir bequem. Neben der Sitzecke ein riesiges veganes Buffet voller Köstlichkeiten. Die Verpflegung für die Ehrenamtlichen und die Bands, die das wenige Hundert Meter entfernte Open-Air-Festival auf dem Marktplatz gestalten.

Fassade Emil Zittau

Wer meinen Artikel „Philadelphia in Großhennersdorf“ (Abre numa nova janela) gelesen hat, kennt Dirk bereits: Er betreibt das Kulturcafé in der Alten Bäckerei. Der umtriebige Ü60er engagiert sich in der Oberlausitz vielfältig, auch für dieses Festival investiert er viele Stunden. Vorbereitung, Freitag, Samstag und Sonntag: Dirk ist dabei.

Dirk ist nicht der einzige Bekannte, dem ich in dieser Szenerie begegne. Kurz nach meiner Ankunft taucht ein Paar auf, das ebenfalls beim Sommerfest der Alten Bäckerei mitfeierte. Und hier bei der Organisation mithilft. Aktionen für Demokratie und Vielfalt in der ostdeutschen Provinz: häufig familiär.

Gemütlich, hier auf dem Hinterhof des 1993 gegründeten Jugendclubs Emils. Einer Institution der Oberlausitzer Subkultur. Im November wird das Emil den bundesweiten Kulturpreis Applaus-Award im Bereich „Beste kleine Spielstätten und Konzertreihen“ gewinnen. Die Verantwortlichen locken so Bands wie Ancst, 100 Kilo Herz und Acht Eimer Hühnerherzen nach Zittau. Zugleich bietet die Location Jugendlichen und Initiativen Raum, sich zu treffen.

Emil und mehr: Mit dem Mehrgenerationenhaus Hillersche Villa gibt es eine weitere soziokulturelle Einrichtung in dieser weit im Osten gelegenen Stadt, in der insgesamt rund 26.000 Menschen wohnen. Zudem lädt der Bunte Hund Zittau zu diversen Punkrockkonzerten und anderen Konzerten ein. Ein weiteres Highlight ist das Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau.

An kulturellen Angeboten mangelt es in Zittau nicht.

Samstagnachmittag, Marktplatz Zittau

Stadtfeststimmung im Herzen Zittaus: Das Open-Air-Festival umfasst den gesamten Marktplatz, der vom monumentalen Rathaus und vielen Altbauten eingerahmt ist. Vor dem Rathaus eine große Bühne, links daneben das Zelt des Veranstalters Augen auf, auf dem Platz zahlreiche Info-, Getränke- und Essensstände. Das offensichtliche Bestreben der Verantwortlichen: mit diesem Festival möglichst viele Menschen ansprechen, weit über die politisch stabile Bubble hinaus.

Heinz Ratz mit Strom und Wasser auf der Bühne in Zittau (Marktplatz)

Auf der Bühne spielt die Band Strom und Wasser mit Sänger Heinz Ratz, die im August und September unter dem Motto „Freiheit ist ein Paradies“ auf über zwanzig Festivals in Sachsen, Thüringen und Brandenburg auftritt. Noch mehr: Heinz Ratz tritt nicht nur auf, zusammen mit demokratischen Initiativen organisiert er viele dieser kleinen Festivals. In Rudolstadt, Themar, Döbeln, Glauchau und heute Zittau, er nimmt vor allem kleinere Städte ins Visier. Das Ziel offensichtlich: demokratisch gesinnte Menschen für die Landtagswahlen mobilisieren.

Am Rande des Marktplatzes, in einem schmalen Hausdurchgang, irritieren zahlreiche Schuhe. Hunderte Paare auf beiden Seiten des Durchgangs, es bleibt nur wenig Platz zum Durchgehen. Anfangs fehlt ein Hinweisschild, Passant*innen verharren in der Irritation. Diese Schuhe sollen an die toten Geflüchteten im Mittelmeer erinnern – an den Stränden angespülte Schuhe als Mahnmale.

Schuhe in einem Hausdurchgang. Erinnerung an die Toten im Mittelmeer. Zittau, Marktplatz.

Gisbert zu Knyphausen auf der Bühne: Den Verantwortlichen des Herz-in-der-Hand-Open-Air ist ein hochkarätig besetztes Bühnenprogramm gelungen. Die melancholischen Songs des Liedermachers passen zu der Stimmung vor den Landtagswahlen, zumindest zu jener der demokratisch Engagierten. Hoffnung, nirgends. Einen Tag später wird Michael Nattke, Geschäftsführer des Kulturbüro Sachsen, auf demselben Platz nüchtern feststellen, dass sich das Wahlergebnis nicht mehr beeinflussen lasse. Die engagierte Minderheit in der Provinz unterstützen, langfristig denken, so lässt sich seine Rede zusammenfassen.

Gisbert zu Knyphausen in Zittau auf der Bühne.

Der Sänger beschränkt sich aber nicht nur auf sein breites melancholisches Repertoire. Gegen Ende seines Auftritts streut er auch fröhlich klingende Songs ein. Hoffnung, doch. Ähnlich hatte es zuvor Heinz Ratz gehandhabt – mit der Ansage verbunden, dass sich die Besucher*innen nicht von den vielen schlechten Nachrichten herunterziehen lassen dürfen.

Ich verlasse meine Beobachterposition und komme als Helfer zum Einsatz. Links von der Bühne steht eine Fotobox, Interessierte können sich auf einem Sofa fotografieren lassen. Der Ansturm ist groß, vor allem Jüngere, darunter viele Kids mit Migrationshintergrund, schätzen dieses Highlight. Ich bediene das Display, entnehme die ausgedruckten Fotos, sorge für Ordnung. Ein erwachsenes Pärchen nähert sich, mit einem älteren Ehepaar, offenbar Schwiegermutter und Schwiegervater von einem der beiden. Die Älteren sprechen Oxford-Englisch, die Vierergruppe lässt sich fotografieren. Ich weise auf Nachfrage auf die kreativ gestaltete Spendenbox hin, verziert mit kleinen EU-Fahnen. Die ältere Frau drückt in feinstem Englisch ihre Begeisterung aus, als sie die EU-Fähnchen sieht.

Irgendwann streikt der Fotodrucker und lässt sich auch nicht reparieren. Von der Bühnenseite wechsele ich wieder frontal vor die Bühne. Zwischendrin hatte die Band Tygroo einen wilden Mix an elektronischer Tanzmusik, Balkanmusik, Jazz und Rap dargeboten, zum Abschluss sorgt die Schlagerpunkband Dauerwelle Wasserstoff für Stimmung.

Dauerwelle Wasserstoff in Zittau beim Herz-in-der-Hand-Festival

Musik für breitere Massen, tatsächlich hat sich der Marktplatz im Laufe des Abends gefüllt.

SPD: 4,5 %. Grüne: 3,3 %. Linke 2,8 %.

Am Stand des in Zittau ansässigen Vereins Augen Auf, der sich seit 2000 in der Oberlausitz für Demokratie und Vielfalt engagiert, erhalten Helfer*innen zum Dank ein T-Shirt. Die Schriftzüge für den Druck können sie aus zahlreichen Vorlagen selbst auswählen, auch die Platzierung bestimmen sie individuell. Anschließend bedrucken Mitglieder des Vereins die T-Shirts: Sie haben an diesem Abend viel zu tun.

T-Shirt: "Augen zu. Herz auf. Und durch" Aufdruck.

Sonntagmittag, Marktplatz Zittau

Zur Mittagszeit reise ich wieder mit dem Zug an. Das Deutschlandticket: Ich mag es. Am Bahnhof warten einige Polizist*innen, wollen offenbar mögliche Störungen der späteren Demokratie-Demo verhindern. Von Störversuchen wird nichts zu sehen sein, erst am Ende des Nachmittags wird es am Rande des Marktplatzes zu einem kleineren Tumult kommen.

Ich könnte nun direkt zum Marktplatz und dem dort stattfindenden Brunch gehen, habe es allerdings in Dresden versäumt, Tabak zu kaufen. Ich wende mich nach links und mache mich auf den Weg zu einer Tankstelle. Plattenbauten, an der Tankstelle vertreiben sich manche dem Alkohol Zugeneigten ihre Zeit. Tabak gekauft, wenig später treffe ich auf ein kleines Ladengeschäft. Im Schaufenster prominent eine Titelseite der Bildzeitung ausgestellt, die Schlagzeile transportiert Wut auf die Empfänger*innen von Bürgergeld. So wandeln sich die Zeiten. Vor zwanzig Jahren Volkszorn im Osten, weil die SPD Hartz 4 eingeführt. Heute Volkszorn, weil die SPD Hartz 4 leicht abgemildert hat. Verrückte Zeiten.

Auf dem Marktplatz neigt sich der Brunch dem Ende. Lange Reihen an Biertischen mit weißen Tischdecken, vor der Bühne steht der Lauti für die bald startende Demo des im Frühjahr gegründeten Bündnis Demokratische Oberlausitz. An dem Fahrzeug lehnen künstlerisch anspruchsvolle Demoplakate, die Verantwortliche am Vortag gestaltet haben.

Demo in Zittau Bündnis Demokratische Oberlausitz. Demoschilder vor Lauti.

Der Oberbürgermeister der Stadt Zittau betritt die Bühne: Thomas Zenker. Eine Ausnahmeerscheinung unter sächsischen Kommunalpolitiker*innen. Zenker nimmt kein Blatt vor dem Mund, stemmt sich wortgewaltig gegen den Rechtsruck.

Auch heute. Er lobt die Organisator*innen des Herz-in-der Hand-Festivals für ihr niedrigschwelliges Angebot, erwähnt explizit die langjährige Arbeit von Augen auf. Die Lage vor der Landtagswahl nennt er „ernster als sonst“. Analysiert präzise, dass die „momentane Angst vor dem Krieg vor allem Angst vor dem Verlust des eigenen Wohlstands“ sei. Kritisiert die schwierige finanzielle Lage der Kommunen, geißelt den „diktatorischen Sparzwang“ des Landesfinanzministers und des Ministerpräsidenten.

Demo in Zittau Bündnis Demokratische Oberlausitz: Oberbürgermeister Thomas Zenker am Mikrofon.

Und rät den Teilnehmer*innen der Demo, es nicht bei solchen Aktionen wie dem Herz-in-der-Hand-Festival zu belassen. Er fordert dazu auf, „Menschen aktiv in den Diskurs zu bringen“. Ruft dazu auf: „Geht in Vereine, Parteien, Wählervereinigungen.“ Seine Motivation ist klar: Er befürchtet, dass selbst solche niedrigschwelligen Angebote wie dieses Open-Air nicht ausreichend in die Gesellschaft wirken.

Thomas Zenker: 2022 im ersten Wahlgang mit 71,8 % erneut zum Oberbürgermeister von Zittau gewählt.

Demo in Zittau Bündnis Demokratische Oberlausitz: Teilnehmer gehen durch Straße.

Der Demozug setzt sich in Bewegung. Rund 300 Teilnehmer*innen. Bunt und laut, angeführt von der Blasmusikkapelle Banda Communale aus Dresden, die seit vielen Jahren auf zahlreichen Demos in der Region für Stimmung sorgt.

Sonntagnachmittag, vor der ehemaligen SED-Kreisleitung

Wir bewegen uns durch die Stadt, für einen Ortsfremden wie mich eine Mischung aus Demonstration und Sightseeing. Vor mir Thomas Zenker, eine Vertreterin der Oma gegen Rechts Döbeln spricht ihn an und verweist darauf, dass der Döbelner Stadtrat kürzlich einen AfD-Politiker zum stellvertretenden Bürgermeister gewählt hat. Die Omas gegen Rechts: Bei Demos im ländlichen Sachsen omnipräsent, sehr reisefreudig.

Zwischenkundgebung am Sitz der ehemaligen SED-Kreisleitung. Perfekter Auftrittsort für Thomas Pilz, den in Zittau geborenen Bürgerrechtler. Engagiert im Offenen Friedenskreis Großhennersdorf, in der Friedensgruppe Zittau und im Neuen Forum Zittau.

35 Jahre Friedliche Revolution: Thomas Pilz nimmt das Jubiläumsjahr zum Anlass, eine ambivalente Bilanz zu ziehen. Positiv erwähnt er die Verbesserungen beim Umweltschutz im „Schwarzen Dreieck“, er lobt die demokratische Verfassung. Aber:

Wir haben nicht im Blick, wo wir herkommen. Es ist so viel aufgearbeitet und so wenig verstanden worden.

Pilz wirbt für Runde Tische im Betrieb, in Vereinen, im Freundeskreis. Die Aussagen ähneln den Äußerungen von Thomas Zenker, zugleich kommt die Prägung in der DDR-Opposition zum Vorschein.


Sonntagnachmittag, Zittau, Bautzner Straße

Nächste Station, Armin Pietsch spricht. Experte für jüdische Geschichte in Zittau. In unmittelbarer Nähe befinden sich Stolpersteine für Adolf und Emma Lachmann (Abre numa nova janela), beide 1944 in Auschwitz ermordet. Sie hatten in Zittau ein Geschäft betrieben und sind 1936 nach Berlin geflohen, in der Hoffnung, die Anonymität der Großstadt würde sie schützen.

Demo in Zittau Bündnis Demokratische Oberlausitz: Zwischenstopp an den Stolpersteinen Bautzner Straße in Zittau.

Pietsch schlägt den Bogen zur bevorstehenden Landtagswahl:

Mal sehen, in welcher Welt wir am kommenden Montag aufwachen. Ich hoffe auf eine Welt, in der das Gedenken wie an die Familie Lachmann noch möglich ist.


Sonntagnachmittag, Zittauer Johanniskirche

Vor dem Eingang zur Johanneskirche zieht ein prägnantes Bodenmosaik Aufmerksamkeit an: der Stern der Freiheit, 2019 vom Künstler Michael Herbig aus Großhennersdorf realisiert. Eingeweiht zum 30. Jubiläum des Revolutionsjahres 1989.

Stern der Freiheit in Zittau vor St. Johannis-Kirche.

Es spricht Ansgar Schmidt, langjähriger Pfarrer der St.-Johannis-Kirchgemeinde. Der ehemalige Pfarrer erinnert an die Worte des Oberbürgermeisters Thomas Zenker, die dieser 2019 bei der Einweihung des Sterns der Freiheit geäußert hat. Zenker habe der Freiheit in Zittau damals eine Zukunft gewünscht. Und wie sieht es heute aus? Schmidt verweist darauf, dass aufgrund mangelnder Gerechtigkeit immer mehr Menschen den Rechten hinterherlaufen. Er plädiert leidenschaftlich für soziale Gerechtigkeit, nennt zum Beispiel „prekäre Beschäftigungsverhältnisse nicht länger tragbar.“

Die Banda Communale spielt auf, es bildet sich ein Halbkreis um die zahlreichen Mitglieder dieser Band. Die Stimmung ist ausgelassen.

Demo in Zittau Bündnis Demokratische Oberlausitz: Banda Communale in Zittau vor St. Johannis-Kirche.

Eine Woche vor der Landtagswahl in Sachsen.

Das Open-Air fand im Zuge des zweiwöchigen Herz-in-der-Hand-Festivals statt. Es umfasste zahlreiche Veranstaltungen in verschiedenen Städten der Oberlausitz wie Zittau, Görlitz, Löbau und Bautzen. Und Großhennersdorf. Nähere Informationen finden sich auf der Festival-Homepage. (Abre numa nova janela)

Der Verein Augen auf präsentiert seine Aktivitäten auf seiner Website (Abre numa nova janela) sowie auf sozialen Kanälen wie Instagram (Abre numa nova janela). Für die Finanzierung des Herz-in-der-Hand-Festivals sammelt Augen auf bei Betterplace Spenden. (Abre numa nova janela)

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