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Merry Networking: Mein weihnachtliches LinkedIn Treffen aus der Hölle

Aus der Reihe: Bianca unter „normalen“ Menschen.

Es war einmal ein verschneiter Wintertag in Berlin – achso, nein. Stopp, natürlich war es kein verschneiter Wintertag, sondern ein ganz gewöhnlicher Donnerstag mit Nieselregen. Ich war dieses Jahr noch auf keiner Freelance-Weihnachtsfeier, also dachte ich: „Was solls! Dann nutzt du das Jahresende einfach nochmal für ein paar neue Kontakte.“

Dazu sei gesagt: ich mache sowas nie. Aus Gründen. Ich hasse den Smalltalk, die Unberechenbarkeit der Teilnehmer, die Awkwardness die entsteht, wenn sich Menschen treffen, die im echten Leben nie etwas miteinander zu getan gehabt hätten. Aber diesmal schien es ein fairer Deal zu sein. Die zwei Typen, die mich vorher auf LinkedIn angeschrieben haben, schienen zumindest beim Schreiben ganz okay zu sein. Der eine war sogar Fotograf, und hatte eine ziemlich coole Business-Idee! Er fährt mit seinem Van zu CEOs und Girlbosses und bietet ihnen ein Personal Branding Fotoshooting mit Content-Ideen für 90 Tage an.

Der Eintritt war kostenlos, und ich hatte nichts vor.

Was kann also schiefgehen?

Kurz: natürlich alles.

Besagter Fotograf – Initiator der ganzen Geschichte – war eine dreiviertel Stunde zu spät, obwohl er noch extra betonte, man solle früh da sein. Also warteten wir in der Kälte. Ohne Essen, oder Glühwein. Bei der „Vorstellungsrunde“ vor dem Eingang des Weihnachtsmarktes erfuhr ich so ganz schnell von der Coaching-Idee eines Mannes, der sich für einen echten Beziehungsexperten hielt.

Er war gerade arbeitslos, Mitte 40, und wollte sich als Beziehungs-Coach selbstständig machen. „Aber für Männer, oder?“, sagte ich, wohlwollend positiv bleibend. Benefit of the doubt und so! Schließlich gäbe es genug Männer, die mal ein bisschen Coaching bräuchten, wenn es um den Umgang mit Frauen geht.

Aber nein! Der gute Mann wollte sich explizit an Frauen richten! „Weißt du, mit manchen Themen kommst du bei deinen Freundinnen einfach nicht weiter“, sagte er selbstbewusst. „Wenn er nicht im Haushalt hilft, musst du ihm das nur anders S-A-G-E-N!“

Ich war schockiert, durfte es mir aber nicht jetzt schon anmerken lassen. Dieses „Männer sind so, Frauen so“-Gerede hatte ich in meinem Freundeskreis bestimmt seit 15 Jahren nicht mehr gehört. Das Treffen am Weihnachtsmarkt war wie eine Zeitkapsel, die mich ins Jahr 2009 zurückbrachte.

Klar, man hört manchmal in YouTube-Analysen davon, wie sich junge Männer rechten Beziehungscoaches zuwenden, damit sie auch mal eine abkriegen. Aber sowas findet nur im Internet statt, denke ich mir dann immer. Dieser rückschrittliche Gender-Wahnsinn kann nicht direkt vor mir propagiert werden. Als auch die andere Frau Bedenken äußerte, meinte der Mann mit Fake-Doktortitel (ja, wirklich!) nur: „Ach was, pappalapapp! Es gibt ja auch männliche Gynäkologen, da gehen ja auch Frauen hin.“ 

„Ich würde nur zu einer Frau gehen“, sagte sie.

Ich stimmte ihr zu.

Und damit war das Gespräch genauso schnell und awkward beendet, wie es begann, und ich fing an, mich sichtlich unwohl zu fühlen. Eigentlich wäre das der Moment gewesen, an dem ich hätte gehen sollen, aber ich hatte noch nicht mal einen Glühwein getrunken, also blieb ich.

Die Frau hatte Hunger, also beschlossen wir, die wartende Gruppe alleine zu lassen, und uns etwas zu essen zu holen. Die Frau wirkte ganz okay, obwohl sie wahrscheinlich auch niemand war, mit dem ich auf ein Bumble-BFF-Date gehen würde, aber ich ließ mich darauf ein. Ich wollte nicht so sein, nicht so vorurteilsbehaftet, nicht so linksgrünversifft, nicht schon wieder so schwierig

Wir gingen zu einem Essensstand, wo sie sich eine Portion Fisch mit Pommes bestellte. Als wir warteten, meinte sie, dass sie heute unbedingt über Politik reden wollte. Schließlich könne sie das nicht mit ihrer Mutter. „Huch“, dachte ich mir. „Warum bringt sie jetzt ihre Mutter ins Spiel? Wohnt sie mit ihr zusammen?“ Ich verwarf den Gedanken schnell wieder, und fragte sie, was sie denn wählen würde.

„Weiß ich noch nicht“, sagte sie.

„Hm“, sagte ich. „Also die CDU kann man jedenfalls nicht wählen, natürlich auch nicht die AfD, auch nicht die SPD und die Grünen – auch schwierig.“

„Ja, bei den Grünen geht die Wirtschaft den Bach runter!“, stimmte sie mir zu. Und dann kam der Burner, auf den ich nicht vorbereitet war. „Ich werde die FDP wählen. Die haben wenigstens ein paar gute Ideen!“

Ich weiß nicht, ob man mir meinen Schock ansehen konnte, jedenfalls war ich kurz zu perplex, um etwas Sinnhaftes zu antworten, also fragte ich nur: „Aber nach all dem, was Lindner getan hatte in den letzten Wochen?“

„Joah“, meinte sie. „Aber es gibt ja auch noch den Christian Dürr, der hat richtig gute Ansätze.“ Ich hätte an dieser Stelle gerne mein Gesicht gesehen; gewusst, ob sie dieselben komischen Dinge über mich dachte, wie ich über sie.

Ihr Fisch war fertig, und ich konnte die Frau jetzt nicht hier alleine stehen lassen. Sie bot mir sogar an mitzuessen. Obwohl ich nicht essen wollte, sagte sie immer wieder: „Komm, iss mit! Wirklich.“

Ich nahm die Gabel, trennte mir ein Stück gebratenes Filet ab und sagte einfach: „nichts.“ Weil ich diesen Abend genießen wollte, weil ich eine gute Zeit mit neuen Menschen haben wollte, weil ich einmal „da raus gegangen“ bin, um etwas anderes zu erleben, als die immergleichen Gespräche mit meinen politisch korrekten Freunden.

Und dann hatte ich sie plötzlich wieder um mich: die Normies, die Unpolitischen; die, die glauben, Männer sind vom Mars und Frauen von der Venus; die, die sich freuen, wenn sie überarbeitet sind und sich nicht über Sparmaßnahmen im Kultursektor beschweren, weil sie gar nicht davon betroffen sind.

Die, die auf der Sonnenseite des Lebens freelancen, weil sie sich sicher keine superlinke Brand aufgebaut haben, die für Anti-Work steht.

Ich entschied mich für Smalltalk, erzählte statt über das Wahlprogramm der Linken, die sie sowieso niemals wählen würde, über meinen Hund, und meine Wohnungseinrichtung, und dass ich nicht malen kann, aber trotzdem gerne Wände streiche. Es war ein okay-es Gespräch, die Frau war mir trotz ihrer seltsamen politischen Haltung gar nicht krass unsympathisch, wir hätten durchaus mal einen Sommerspritzer im Biergarten trinken können, ohne uns in die Haare zu kommen.

Nach dem Imbiss gesellten wir uns wieder zur Gruppe. Inzwischen war der Fotograf auch da, er hatte seine Freundin mitgebracht und seine Kamera, eine teure Kamera mit fettem Blitz. Er begrüßte mich freundlich. Er war mir direkt sympathisch. „Na endlich“, dachte ich. Ein Kreativer mit Ambition, aber ohne dabei ungut zu wirken. Ich fragte ihn nach seinem Business-Model. Er erzählte, und ich war durchaus beeindruckt. Das klappt sicher gut, ja, so eine Content-Cash-Cow muss man sich als Fotograf erstmal heranzüchten.

Als ich erzählte, dass ich Bücher schreibe und eine Beratung habe, meinte er: „Ach, du schreibst nicht nur Bücher?“
Ich so: „Nein, weil davon kann niemand leben!“
Er so: „Naja, wenn man es ordentlich anstellt, dann schon ZWINKERSMILEY!“

Da. Da war er der Moment, wo ich wirklich gehen sollte, wo ich nicht erklären wollte, was jeder weiß, der einmal einen Buchvertrag hatte und nicht nur davon träumte, der keinen Mainstream-Sellout ohne Seele produzieren möchte, ohne sich dabei selbst zu spüren.

Aber ich hatte doch jetzt endlich den Glühwein. Oh du Fröhliche! Also distanzierte ich mich langsam aber bestimmt, und versuchte noch so gut es mental ging mit einem Ohr an den Gesprächen der anderen mitzuhören, während der Beziehungs-Coach in einer Tour Fotos von uns machte, als seien wir bei den Oscars. Ein paar Minuten später gesellte sich auch der Fotograf dazu, und blitze fröhlich vor sich hin, ohne um Consent zu bitten. Er fotografierte Menschen direkt ins Gesicht, ohne sie vorher über ihre Rechte aufzuklären oder zu sagen, wo diese Fotos erscheinen werden. WHAT A FUN EVENING LOL. Ich habe an diesem Abend definitiv keine Freunde gefunden, und auch keine Netzwerkpartner. 

Immerhin. Schlau, wie ich bin, habe ich mich so gut es geht vor den Fotos versteckt. Mit schwarzer Haube und meiner Snowboard-Jacke würde mich hoffentlich später niemand auf den geteilten Fotos erkennen.

„WHO CARES?“ Dachte ich mir, die ganze Zeit. Wen interessieren diese Fotos von deiner Fake-LinkedIn-Weihnachtsfeier mit deinen Fake-LinkedIn-Friends, die dir am Ende wahrscheinlich auch nur irgendeine Leistung andrehen wollen.

Und, witzig! So war es dann auch, als ich das nächste Mal auf LinkedIn klickte.

Ich war einer Gruppe hinzugefügt worden, wo der Fotograf die Fotos hochgeladen hatte.

Dazu schrieb er folgenden Text. 

Klickt auf „Herunterladen“, um alle Bilder in hoher Auflösung auf eurem Gerät zu speichern. 

💡 Wie könnt ihr die Fotos nutzen?

Die Bilder eignen sich perfekt für:

Social Media: Teilt die Highlights eures Events auf LinkedIn, Instagram oder Facebook.

Falls euch meine Arbeit gefallen hat, freue ich mich über eine kurze Rezension auf LinkedIn oder Google. Als Dankeschön erhaltet ihr 5 % Rabatt auf euer nächstes Shooting.

Nutzungsrechte der Fotos

Die Fotos dürfen uneingeschränkt für eure Websites und Social-Media-Kanäle verwendet werden.

Bitte nennt mich als Fotografen (Irnis Kubat) bei der Verwendung, sofern es möglich ist.

Falls die Fotos für Blogs, PR-Artikel oder Veröffentlichungen in Online- oder Print-Medien genutzt werden sollen, bitte ich um vorherige Information. 

* * *

Tja. Da ich die Fotos ja jetzt scheinbar uneingeschränkt für meine Website nutzen darf, mache ich das einfach. Damit der Abend nicht komplett umsonst gewesen ist.

Danke Irnis für die Fotos!

May we never see each other again.

PS: Wenn euch der Text gefallen hat, lasst mir bitte keine cringe Review, sondern ein Bezahl-Abo da. Damit die Poor Artists nicht mehr zu solchen Netzwerktreffen müssen.  

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