PARKWAY DRIVE Interview (ungekürzt aus FUZE.81)
Unser Redakteur Philip traf PARKWAY DRIVE Sänger Winston McCall im Rahmen der Premiere zu "Viva The Underdogs", der Doku über die Band. Das komplette Interview könnt ihr nun hier ungekürzt nachlesen.
ON FIRE. Mit ihrer Dokumentation „Viva The Underdogs“ haben PARKWAY DRIVE einen weiteren entscheidenden Meilenstein in ihrer Bandkarriere gelegt und zeigen mit viel Pyrotechnik und Humor, wie fünf Aussies an die Spitze des Metalcore gelangt sind. Wir haben uns mit Winston McCall in Berlin getroffen und über die Dokumentation, die Underdog-Attitüde und Nachhaltigkeit gesprochen.
Winston, du bist extra für die Premiere von „Viva The Underdogs“ nach Berlin gekommen. Wie fühlt es sich an, zu wissen, dass der Film in über sechzig Kinos in Deutschland, Österreich und der Schweiz läuft? Wie war der erste Eindruck, als du die Menschen im Saal gesehen hast?
Ganz im Ernst? Anfangs habe ich überhaupt nicht realisiert, dass das Ganze so eine große Sache ist – gerade weil wir die Doku während der Produktion wieder und wieder ansehen mussten. Aber als ich dann hier vor Ort war, für die Vorbereitungen der Premiere vor dem Kino stand und die gigantischen Werbebanner sah, wurde es mir schlagartig bewusst. Besonders als mir jemand noch einmal die Anzahl der Kinos und Besucher sagte, machte es langsam Klick in meinem Kopf. Unterm Strich bin ich unfassbar stolz auf uns als Band und darauf, dass „Viva The Underdogs“ nicht nur visuell gut aussieht, sondern tatsächlich auch gut klingt. Die Atmosphäre ist natürlich bei einer Kinoleinwand ganz anders, als wenn man sich einfach ein Live-Konzert bei YouTube ansehen würde.
Wie kam es zu der Idee, so eine großangelegte Doku zu produzieren? Warum gerade jetzt?
„Viva The Underdogs“ ist die dritte Doku, die PARKWAY DRIVE herausgebracht haben. Als „Reverence“ erschien, entschlossen wir uns, wieder alles mitzufilmen, von Tourneen bis hin zu privatem Zeug in der Heimat oder aus dem Tourbus. Wir wussten nicht genau warum, wir taten es einfach. Dann – vor circa eineinhalb Jahren – kam das Team, das das Ganze produziert hat, auf uns zu und meinte: „Wir wollen eine Doku über die Band machen, wie sieht’s aus?“ Und tatsächlich hatten wir als Band das Gefühl, dass das genau der richtige Zeitpunkt ist, da wir uns alle seit dem letzten Film über uns so sehr weiterentwickelt haben. Unser primäres Ziel war es, Leuten, die nicht in der Band oder im Tourteam sind, zu zeigen, wer wir sind, was wir tun und wie wir dahin gekommen sind, wo wir heute stehen. Denn, um ganz ehrlich zu sein, das Leben in einer Band ist eine sehr schräge Parallelwelt, die für uns mittlerweile zur Normalität geworden ist. Die Fans, die uns bis hier hingebracht haben und denen wir quasi alles verdanken, sollten uns ganz genau kennen lernen und auch erfahren, dass unser Weg nicht nur von epischen Konzerttriumphen und Siegeshymnen gesäumt war. Denn all diese Shows, die gut liefen, hätten auch schiefgehen und somit das gesamte Projekt PARKWAY DRIVE zum Kentern bringen können.
(Abre numa nova janela)Der Begriff „Underdog“ ist mit Eigenschaften wie klein, unbedeutend, nicht ernst genommen und unterschätzt konnotiert. Gleichzeitig beschreibt er aber auch eine gewisse Attitüde, die viele Bands mit Stolz tragen. Wie viel Underdog steckt heute noch in PARKWAY DRIVE?
Haha! Die Mentalität? 100%! Wir haben uns in unserer Denkweise und unserem Verhalten nie verändert und werden es auch nie. Natürlich stellen wir uns bezüglich unseres Erfolges nicht mehr als Underdogs dar und was wir mit unserer Musik und mit Hilfe unserer Fans erreicht haben, ist unfassbar. Aber wenn man als kleine Garagenband startet, ist es schwer, diese Underdog-Attitüde komplett abzulegen. Wir kommen aus einer kleinen Stadt – keine verfügbaren Jobs, keine Musikszene, nichts. Als wir das erste Mal außerhalb von Australien getourt sind, kannte niemand überhaupt eine Aussie-Metal-Band. Wir waren diese todgeweihte neue Form des Metal, die sowieso in einem Jahr wieder verschwunden sein würde. Wenn uns vor fünf Jahren jemand gesagt hätte, dass wir mal auf der Mainstage bei Wacken spielen werden, hätte das keiner geglaubt. Wir haben uns durchgebissen und deshalb auch heute noch dieses Underdog-Mindset. Mit der Doku wollten wir verdeutlichen, dass Leidenschaft und Durchhaltevermögen die Haupterfolgsfaktoren sind.
Also würdest du sagen, dass „Viva The Underdogs“ in gewisser Weise eine Reihe von Guidelines und Tipps für aktuelle Underdogs und Newcomer ist?
Das haben wir uns auch gefragt, als die Doku fertig war: „Stellen wir hier gerade einen Ratgeber zusammen? Ist das die Anleitung, wie man Schritt für Schritt erfolgreich wird?“ Haha. Aber natürlich! Wenn Leute aus unseren Fehlern und Geschichten lernen können – perfekt! Wir haben mittlerweile so viele Erfahrungen angehäuft, dass es beschämend und egoistisch wäre, diese nicht weiterzugeben. Wir haben an Orten gespielt, wo noch nie zuvor Metalbands gespielt haben. Wir waren die erste australische Band, die in diesem Ausmaß in den USA, Europa oder Asien getourt ist. Wenn junge Musiker erkennen, dass sie in dieser Branche Erfolg haben können, ohne sich selbst zu verkaufen oder untreu zu werden, reicht uns das bereits. Ich habe so viele Bands dadurch zugrundegehen sehen, dass andere ihnen gesagt haben, was sie zu tun haben. Bleib dir selbst treu – das ist im Grunde die Basis, auf der sich Erfolg aufbauen kann.
Ihr habt auf der „Reverence“-Tour und somit auch in der Doku einige Requisiten und visuelle Stilmittel wie einen bestimmten Mantel, einen Molotowcocktail und Fackeln verwendet. Wo ist die Verbindung?
Vor längerer Zeit haben wir festgestellt, dass Live-Performances – auch wenn die Musik immer noch in Vordergrund steht – eine ganz eigene Form der Kunst sind, logischerweise andere Sinne ansprechen und daher ganz eigene Stilmittel benötigen. Diese Requisiten wechseln auf jeder Tour, so dass auch Fans, die uns zum zwanzigsten Mal sehen, immer noch überrascht werden und eine einzigartige Erfahrung machen. Niemand würde zum Beispiel erwarten, dass die Band beim Intro plötzlich hinter dir auftaucht und sich den Weg durch die Menge bahnt. Der Molotowcocktail, der am Ende das Logo in Brand steckt, steht für eine neue Ära, die die alte ablöst.
Foto: Vincent Grundke / vollvincent.com
Sprechen wir über den Soundtrack zur Dokumentation. Ihr habt auch einige deutsche Versionen von „Reverence“-Songs aufgenommen und dem Album hinzugefügt. Wie kam das zustande?
Das ist ehrlich gesagt eher zufällig entstanden. Unser Tourmanager Oise, den man auch in der Doku öfter sehen kann, ist mal im Backstage herumgelaufen und hat einige Zeilen von „Vice grip“ auf Deutsch gesungen. Das klang so gut, dass wir ihn uns schnappten und er ein paar Zeilen mehr singen sollte. Das Konzept, dass ein Sänger, der noch nicht mal Deutsch spricht, den eigenen Song auf Deutsch singt und gleichzeitig den Spirit des Liedes transportiert, war komplett neu und eine spannende Herausforderung, die wir unbedingt meistern wollten. Casper, den man ebenfalls auf dem neuen Album hören kann, hat alle Lyrics für uns übersetzt und dann machte ich mich daran, die deutsche Betonung und Aussprache so gut wie möglich zu lernen.
Es klingt unfassbar gut. Ich musste tatsächlich zuerst kurz überlegen, wer das singt.
Ist es okay? Yes! Du kannst dir nicht vorstellen, was das für ein wilder Ritt bis dahin war. Danke, danke, danke! Wir wollten es wirklich gut umsetzen, weil fast die komplette Doku in Deutschland spielt. Wir haben hier unsere größte Fanbase und ich stehe immer noch auf der Bühne und es reicht gerade mal für das obligatorische „Danke“. Die Songs sollten somit ein Riesendankeschön an unsere deutschen Fans sein, dass sie seit Jahren unsere Lieder auf Englisch mitsingen und wir ihnen noch nie in ihrer Landessprache gebührend dafür danken konnten. Ich habe mehr als einen Monat jeden Tag im Studio verbracht und mit meiner Schwägerin, die aus Berlin kommt, an meiner Aussprache gearbeitet. Jedes Mal, wenn ich dachte, dass es okay klingen würde, meinte sie nur: „Du klingt wie ein Aussie, der versucht, Französisch zu sprechen. Das ist Deutsch, nicht Französisch! Versuch’s noch mal.“ Sie hat mir unfassbar geholfen und als sie es dann irgendwann akzeptabel fand, schicken wir die Aufnahmen an unseren Tourmanager, der schickte sie an Casper und als wir dann von den drei Instanzen – Berliner Dialekt, bayerischer Akzent und Casper – das Okay hatten, fühlten wir uns bereit, damit den deutschen Fans gegenüberzutreten. Unsere Devise lautete: Entweder 110% oder gar nichts.
Um fair zu sein: Deutsch ist unfassbar schwer.
Definitiv, aber zugleich passt es extrem gut zu Metal. Ich liebe diese Sprache einfach! Und dass ich ein Metal-Sänger bin, hat sicher sehr dabei geholfen, da ich in gewisser Weise an diese kehligen und harten Laute gewöhnt bin.
(Abre numa nova janela)Wie ist die Verbindung zu Casper zustande gekommen? Kanntet ihr euch schon vorher?
Ja, wir kennen ihn schon seit einer ganzen Weile, hauptsächlich, weil Oise auch sein Tourmanager ist. Casper war ja früher auch eins von den klassischen Hardcore-Kids und ist es innerlich immer noch. Als wir die Songs übersetzt hatten und im Studio saßen, spielten wir „The void“ und „Shadow boxing“ und Casper meinte nur: „Hey, das klingt nach Oldschool-METALLICA, das will ich singen.“ Also gaben wir ihm den Refrain von „Shadow boxing“, bei dem er sich so richtig austoben konnte, und wow, der Kerl hat wirklich krasse Vocals drauf!
Ihr habt auf eurer „Reverence“-Tour und in der Doku ziemlich viel Pyrotechnik genutzt, aber lass uns über Feuer im negativen Sinne sprechen. Seit mehreren Monaten wüten bereits verheerende Brände in eurer Heimat und PARKWAY DRIVE haben 50.000 AUD für die Bekämpfung gespendet. Was können Nicht-Aussies tun, um zu helfen?
Natürlich hilft Spenden immer! Australien kann jeden Euro gebrauchen, denn was bereits durch die Flammen zerstört wurde, ist unfassbar. Wir hatten schon einige Waldbrände in Australien, aber das übertrifft alles. Häuser, Jobs, Existenzen und Habitate von Tieren sind buchstäblich in Schutt und Asche zerfallen. Abgesehen davon muss sich die ganze Welt verändern. Wir brauchen neue Denkweisen, wie wir mit unserem Planten umgehen sollen, und Aufmerksamkeit ist der erste Schritt dorthin. Das fängt bereit bei der Energiegewinnung an: Kohle und Atomkraft sind langfristig nicht tragbar und auch Milliardendollar-Konzerne müssen das realisieren. Wir stehen den direkten Konsequenzen der industriellen Revolution gegenüber und wenn es nicht bald zu einer neuen Revolution kommt, treffen solche Katastrophen wie die Brände in Australien auch den Rest der Welt.
COLDPLAY touren nicht mehr, bis sie eine Möglichkeit gefunden haben, nachhaltig zu reisen. Was können Bands generell tun, um die Umwelt zu schonen?
Das ist eine wichtige, aber verdammt schwierige Frage. Besonders für eine australische Band, die auch außerhalb Australiens tourt, sind Flüge unausweichlich. Und wenn man in den USA oder Europa unterwegs ist, ist der Bus, der die Band, die Crew und das Equipment von A nach B bringt, das nächste große Problem. Auch die einzelnen Venues auf der Tour verschlingen viel Energie, die natürlich irgendwo herkommen muss. Man versucht, die negativen Einflüsse auf die Umwelt so gering wie möglich zu halten, aber das ist – zumindest heute noch – nur zu einem gewissen Grad umsetzbar. Wie die meisten Branchen ist die heutige Musikindustrie nicht so nachhaltig, wie sie es eigentlich sein müsste. Man könnte natürlich kollektiv weniger touren, aber dadurch würde die Musikindustrie auf eine Größe schrumpfen, die viele Bands in den finanziellen Ruin stürzen würde. Ich habe einen Riesenrespekt vor COLDPLAY, dass sie diesen Schritt wagen, aber sie können sich das andererseits auch leisten. Für kleinere Bands ist nachhaltiges Touren immer noch eine fast unüberwindbare Hürde, an der wir arbeiten müssen. Für unseren Planenten und auch für uns selbst.
Philip Zimmermann