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Grenzen setzen – geht das auch in leicht?

1. Schätze, was du fühlst

„Darf ich dich besuchen kommen?“ Ich mache das Handy aus, dann mache ich es wieder an – und wieder aus. Ich skippe gedanklich zwischen Ausreden und Augen-zu-und-durch. Meine innere Klarheit ist groß – warum fällt mir das jetzt so schwer? Kurz halte ich noch inne, dann tippe ich sehr schlicht „Nein, das möchte ich lieber nicht. Ich brauche gerade sehr viel Zeit für mich allein“ und klicke auf „senden“.

Warum haben wir es so schwer damit, unsere eigenen Grenzen aufzuzeigen und zu schützen? Warum fällt es uns schwer, anderen Menschen gegenüber klar zu sagen „Nein, das möchte ich nicht“ oder „Das geht mir zu weit“ oder „Ich möchte lieber allein sein“? Die meisten von uns haben deshalb mit dieser einfachen und ehrlichen Art der Kommunikation Schwierigkeiten, weil viele von uns in ihrer Kindheit gelernt haben, dass das Einstehen für die eigenen Befindlichkeiten negative Konsequenzen haben kann. Das beginnt ganz schlicht damit, dass wir als Kinder die Erfahrung gemacht haben, dass unsere Wünsche und Gefühle nicht ernst genommen worden sind. Ich erinnere mich zB sehr gut und lebhaft an das beschämende Gefühl, dass Erwachsene kichernd über mich reden. Oder daran, dass sehr ernste Gefühle, wie die erste Verliebtheit in der Grundschule, einfach als lächerlich abgestempelt worden sind. Vielleicht wurde uns beigebracht, dass Eltern im Familiengefüge nun mal das Sagen haben oder dass wir uns nicht so anstellen sollen. In nicht wenigen Familien herrscht bei aller Liebe auch heute noch eine Art „da muss man eben durch“ Ethos – als wenn es eine besondere Auszeichnung verdient hätte, das Leben möglichst tapfer zu erleiden. Neben der Kränkung der Nicht-Beachtung kann jedoch auch ein noch deutlich rauerer Umgangston an der Tagesordnung gewesen sein. Kinder, die laut und willensstark waren, galten als frech und schwer zu handeln und ich befürchte, dass viele Erwachsene in ihrer Kindheit bestraft worden sind, wenn sie sich zu vehement Widerspruch oder eine eigene Meinung (gegen den Willen der Eltern) gegönnt haben. Wer wegen „Ich will das aber nicht“ oder „Das mache ich jetzt nicht!“ als Kind schlimme Konsequenzen erlebt hat oder zu fürchten hatte, dem wird sich das unangenehme Gefühl, dass man besser nicht zu vehement die eigenen Bedürfnisse kundtut, tief eingebrannt haben. Es den Eltern möglichst recht zu machen war für etliche ein Garant für Frieden.

Heute sind wir selbst Erwachsen und faktisch haben wir kaum negative Konsequenzen zu fürchten, wenn wir anderen gegenüber unsere Grenzen aufzeigen. Was kann schon passieren? Meistens ist es so, dass im schlimmsten Fall jemand unser „nein“ unmöglich findet. Aber um ehrlich zu sein: Entweder bin ich mit meinen Bedürfnissen einem anderen Menschen wichtig und er wird sich über meine Ehrlichkeit freuen oder ich ernte ein Stirnrunzeln und Sprüche hinter meinem Rücken. Aber kann mir nicht die Meinung von Menschen, die kein Verständnis für meine Empfindungen haben oder aufbringen wollen, nicht auch egal sein? Ich glaube, dass es uns hilft, uns immer wieder zu sagen „Es kann mir nichts passieren“ und dabei die Schwere der Sorge vor Ablehnung in unserer Kindheit zu verorten. Nach dem Motto „Ich habe jetzt große Angst vor den möglichen Konsequenzen, wenn ich hier klar meine Meinung sage, aber das ist eine frühkindliche Prägung aus der Zeit, als die Ablehnung und das Unverständnis meiner Bezugspersonen tatsächlich noch schlimm waren. Heute bin ich erwachsen und das schlimmste, was mir passieren kann, ist die Ablehnung oder der Spott eines Menschen, der mir auch egal sein kann“. Die Kopplung des Einstehens für die eigenen Gefühle und die Angst vor Ablehnung sind ein erlernter Tun-Ergehen-Zusammenhang, der faktisch mit der Wichtigkeit der Menschen, die uns da potentiell blöd kommen könnten, gar nichts zu tun hat. Diese Ängste sind ein Überbleibsel – in den meisten Situationen hilft es sich zu sagen „Damals hatte ich aus Gründen Angst. Heute ist die Angst noch da, aber es gibt keinen Grund, mir die Meinung von xy zu sehr zu Herzen zu nehmen“.

Dennoch können wir das aufkommende Unwohlsein positiv nutzen: Die Angst vor negativen Folgen, wenn wir unsere Meinung sagen, kann uns dafür sensibilisieren, dass vermutlich in unserer Kindheit zu häufig unsere Wünsche und Bedürfnisse nicht gesehen und ausreichend gewürdigt worden sind. Die Angst, eigene Grenzen aufzuzeigen, kann eine Einladung sein, in die eigene Kindheit zu schauen, sich zurückzuerinnern, sich zu fragen „Wo haben mich meine Eltern und Bezugspersonen zu wenig sein lassen, wie ich bin?“ Zu erkennen und zu realisieren, dass uns da als Kindern Unrecht widerfahren ist, beinhaltet die Chance, zu heilen – und auch die Chance mit unseren eigenen Kindern verständnisvoller umzugehen und (auch wenn das fucking anstrengend ist) ihnen ihren Eigensinn zu lassen.

  • Übung, um die eigenen Grenzen besser aufzeigen zu lernen: Eigene Gefühle lieb gewinnen

Um besser für unsere Bedürfnisse und Grenzen einstehen zu können, ist es also wichtig, dass wir unsere Gefühle beginnen ernst zu nehmen und ihnen ihre Daseinsberechtigung nicht abzusprechen. Hier hat sich durch Erfahrungen in unserer Kindheit die tiefgreifende Angst in unserem Herzen verwurzelt, dass unsere Gefühle nicht richtig sind und wir als empfindlich, zu sensibel oder zickig gelten. Diese Angst lässt sich nur überwinden, wenn ich ein ganz starkes Liebesgefühl meinen eigenen Gefühlen entwickle. Wir dürfen nicht gänzlich unkritisch gegenüber unseren Gefühlen werden (auch die Angst nicht zu gefallen ist ja ein Gefühl, aber ein destruktives), aber es hilft, mir vor Augen zu führen, dass ALLE Gefühle Gutes für mich wollen: sie schützen mich, sie warnen mich, sie achten auf meine Seele, sie führen mich zu meinen inneren Verletzungen. Das ist also mein persönlicher Schutzmikrokosmos, der mit meiner Geschichte und meinen Narben und meiner Seele zu tun hat und deshalb genau richtig für mich funktioniert. Dazu dürfen wir ganz selbstbewusst stehen: Das ist gut. Je selbstverständlicher für uns ist, dass alle Menschen unterschiedlich sind und demnach Befindlichkeiten auch ganz unterschiedlich sein dürfen, desto mehr können wir uns verabschieden von dem Gedanken, dass wir uns gemäß der Erwartung anderer in irgendeiner Weise zusammenreißen müssten, uns weniger anstellen oder doch einfach etwas mehr Mühe geben müssten. Ein „Das wird mir zu viel!“ ist ja nur dann ein Problem, wenn wir uns vergleichen mit fremden Ansprüchen und Erwartungen, die meinen, dass wir mehr sein oder leisten müssten. Wenn andere Menschen enttäuscht von uns sind, können wir uns getrost sagen „Wenn derjenige mich nicht so nehmen kann, wie ich bin, dann lasse ich diese Person einfach mit ihren negativen Gefühlen zurück. Ist es mir wirklich, wirklich wichtig, was diese Person über mich denkt?“ Hinter so manch einer Anspruchshaltung steht ein Mindset, das selbst große Probleme damit hat, dass Menschen ein Recht auf Eigensinn haben – vermutlich weil es auf der anderen Seite ebenfalls an Selbstannahme mangelt. Wer mir zurückmeldet „Jetzt seien sie mal nicht so empfindlich!“ hat safe ein großes Problem mit der Annahme eigener Schwächen und da muss ich mich nicht als Opfer fühlen. Selbst wenn es sich um unsere Eltern oder Geschwister handelt oder um Menschen, mit denen wir oft Umgang haben... Hinter jedem „Das macht man aber nicht“, das an mich herangetragen wird, steht ein Opfer eben dieser „Das macht man nicht“ Haltung. Und im Zweifel kann man immer noch die gesunde Haltung einnehmen „Da gehe ich jetzt mal mit gutem Beispiel voran und sage: Ich mag dich sehr und es ist mir auch nicht egal, was du denkst. Aber in dieser Sache stehen mir meine eigenen Bedürfnisse näher als deine.“ Da dürfen wir auch zu Vorbildern in Sachen Selbstliebe und -annahmen werden. Und wer weiß... vielleicht kann aus einer Grenzziehung auch eine neue Beziehungsnähe entstehen. Da kann unsere Beziehung zu Familienangehörigen auch noch ein neues Level erreichen, wenn wir uns aus der kindlichen Befangenheit, gefallen zu wollen, herausschälen und mit neuem Selbstwert Vorbilder sind in Sachen Selbstsein. Es handelt sich dabei um einen absolut gesunden Kreislauf: Je mehr ich mein Seelenleben schätze, desto selbstbewusster bin ich, desto besser schaffe ich es meine Grenzen zu ziehen. Und je mehr ich meine Grenzen freundlich verteidige, desto mehr wird mir mein Inneres lieb und teuer. Das ist einfach Persönlichkeitsentwicklung und Arbeit in kleinen Steps. Und diejenigen, die das nicht achten und respektieren, haben in diesem Bereich selbst noch zu arbeiten. Häufig ist es so, dass wir Angst vor der Meinung von Menschen haben, die mit sich selbst überhaupt nicht im Reinen sind und null versöhnt sind mit ihren eigenen Gefühlen.

2. Wisse und liebe, was du willst

Ich kann nicht sagen, wie oft ich etwas zugesagt habe oder eine Situation stillschweigend erlitten habe und dann in Nachhinein dachte „Ach, hättest du mal...“. Vielleicht kennt ihr das auch: Diese nicht enden wollenden inneren Monologe, was man in dieser oder jener Situation besser gesagt hätte. Mich hat das vollkommen kirre gemacht, bis ich mir irgendwann angewöhnt habe, den lauten Wortstrom an Selbstvorwürfen dadurch zu stoppen, dass ich mir einfach gesagt habe „Nein, es gibt hier kein hätte/müsste/wäre, weil ich es eben gerade noch nicht besser fühlen und benennen konnte, was ich selbst will!“ Und es stimmt: oft wusste ich es in der kritischen und grenzüberschreitenden Situation wirklich nicht besser, was ich will, weil meine anerzogene und konditionierte Reaktion einfach so selbstverständlich aus mit rausflutschte, dass sich erst in dem Moment, wo etwas für mich unpassendes gesagt oder zugesagt war, das Gefühl sich breit machte „Ach, herrje, das ist jetzt aber wirklich blöd/blöd gelaufen!“

Ein großes Problem beim Grenzen setzen ist, dass wir unsere eigenen Grenzen oft tatsächlich gar nicht so gut kennen oder sie nicht so selbstverständlich nehmen wie gesellschaftliche Erwartungen , dass sie sich nur sehr leise zu Wort melden. Je besser wir also wissen, was wir eigentlich wollen und je klarer wir uns selbst gegenüber formulieren können, was unsere Grenzen sind, desto selbstverständlicher beginnen wir ein „Nein, das will ich nicht“ zu spüren, wenn wir noch alle Handlungsoptionen vor uns haben. Mich strengen zB Besuche ziemlich an. Auch wenn es schön ist, geliebte Menschen um mich zu haben und ich die Zeit mit ihnen sehr genieße, spüre ich doch, dass ich (typisch introvertiert) nach langen Familienbesuchen Abends erschöpft bin und mich leer fühle. Wie gesagt: das hat rein gar nichts damit zu tun, ob ich die Menschen mag, mit denen ich meine Zeit geteilt habe. Es ist ein Krafträuber, viele Menschen im mich zu haben. Seitdem ich nicht nur ein unterschwelliges Unwohlsein empfinde, sondern ganz klar formulieren kann: „Ich brauche nach ausgedehnten Besuchen viel Zeit alleine, um mich wieder in meiner Mitte zu fühlen“, fällt es mir sehr viel leichter, mich klar zu positionieren, was ich eigentlich will. „Sina, wollen wir am Sonntag mit den Kindern in den Freizeitpark fahren?“ - „Nein, am Samstag haben wir den ganzen Tag deine Familie zu Gast. Da werde ich am Sonntag ruhige Zeit brauchen, um wieder Kraft zu tanken für die neue Woche!“ Sehr hilfreich ist auch, wenn wir schon in Zeiten, in denen es noch gar nicht akut ist, Menschen freundlich wissen lassen, wie wir ticken. Ich glaube, dass mittlerweile mein Mann gar nicht mehr nach Freizeit-Doppelterminen fragen würde, weil er mich kennt. Ich habe eine sehr gute Freundin, deren Mann es nie mochte, wenn ich mit allen 4 Kindern zu Besuch kam. Es hat ihn einfach unfassbar gestresst, so viele wuselige Kinder, die etwas kaputt machen oder durcheinander bringen können, im Haus zu haben. Also haben wir uns stets an guten Tagen bei meiner Freundin im Garten getroffen oder an den weniger schönen Tagen bei uns im Haus oder eben auf dem Spielplatz, auf neutralem Boden. Wenn man weiß, wie Menschen ticken, dann kann man darauf Rücksicht nehmen. Besser als immer mit Entschuldigungen und Ausreden konfrontiert zu sein war das Wissen: Ein Besuch mit allen meinen vier Kindern mag der Ehepartner nicht. So sehr mich das am Anfang gewundert hat, so sehr bewundere ich doch Menschen, die klar sind in ihrem Standpunkt und daher auch mich nicht ständig in die blöde Situation bringen, dass ich unterschwellig spüre, dass etwas nicht stimmt, aber nicht benennen kann, was es ist.

  • Übung, um die eigenen Grenzen besser aufzeigen zu lernen: Mach dir bewusst, was du willst

Mir hat es geholfen, nicht blöde und grenzüberschreitende Situationen im Nachhinein ewig mit „Hätte, hätte, Fahrradkette“ durchzukauen, sondern mir (mich selbst entschuldigend) deutlich zu sagen „Das wäre nicht anders möglich gewesen, weil ich in dem Moment mein Bedürfnis einfach nicht klar vor Augen hatte“. Also habe ich begonnen, bei meinen morgendlichen Tagebuch Sessions nicht einfach unspezifisch zu schreiben „Gestern ist etwas total Blödes passiert. Die Reaktion von xy hat mich sehr verletzt, aber ich war einfach nicht schlagfertig genug.“, sondern konstruktiv und vorwärts gewandt zu notieren, welches meiner Bedürfnisse da verletzt worden oder welche meiner Grenzen überschritten worden ist. So seltsam das erscheinen mag: Wir spüren oft ein Unwohlsein und eine Wut, aber es ist dennoch total schwer, die dahinter liegende Grenze aufzuzeigen und klar zu benennen „Was will ich“ und „Was will ich nicht“. Sowas wie „Ich will nicht, dass mir meine Kompetenz abgesprochen wird, auch nicht, wenn es witzig gemeint ist!“ Und dann macht es euch ruhig zur Gewohnheit, den Menschen, mit denen ihr oft zu tun habt, eure Wünsche außerhalb von kritischen Grenzüberschreitungen aufzuzeigen. Das geht auch sehr freundlich und hat deswegen meiner Meinung nach die größte Chance auf Erfolg. Ein wütendes Statement in der Situation an sich, ein „Hören Sie mal, also solche Sprüche verbitte ich mir!“, wird, so berechtigt es ist, vielleicht manchmal auf Gegenwind treffen. Sowas wie: „Jetzt haben Sie sich mal nicht so. Sie verstehen wohl gar keinen Spaß!“

Denn oft ist es so, dass, wenn wir an Grenzen aufzeigen denken, das Gefühl haben, wir müssten mal richtig auf die Pauke hauen. Natürlich sind wir in manchen Momenten verletzt und auch unsicher und in dem Eifer, unser verletztes innere Kind zu schützen, bekommt es bei manchen Menschen die Tendenz, dass Grenzziehung leicht in den Kampfmodus umschwingt. Ich habe das Gefühl, dass Menschen, die sehr aggressiv und wütend ihre Grenzen aufzeigen, noch in einem ersten Stadium der Bewusstwerdung sind. Sie fühlen Unwohlsein und fühlen sich angegriffen und verteidigen sich dann vehement, weil sie sich selbst auch immer wieder beweisen müssen, dass ihre Gefühle okay sind und ein „Nein“ sein darf. In dem Moment, wo es noch Mut erfordert, für die Wahrung der eigenen Grenzen einzustehen, werden wir schnell wütend oder auch (manchmal unterschwellig) aggressiv, weil mutiges Verhalten eine gewisse Aktivierungsenergie braucht – und da hilft eine gewisse Grundaggressivität. Doch je mehr wir in ein fröhliches Selbstverständnis hineinwachsen, dass unsere Gefühle sein dürfen und, ja, es uns mit Stolz erfüllt, wir selbst zu sein, desto ruhiger und kraftvoller können wir auftreten. Mittlerweile ist es so, dass ich manch ein empfindliches Gefühl in mir und meine Fürsorge diesem Gefühl gegenüber geradezu verehre. Je mehr wir in die Selbstliebe kommen und je mehr wir eins mit uns sind, desto mehr gelingt es uns, Grenzen freundlich zu ziehen. Denn mit der Zeit wächst das Bewusstsein eben für die oben genannte Tatsache, dass die Rigorosität, mit der andere unsere Grenzen übergehen, DEREN Unsicherheit und DEREN Unfähigkeit ist, sachlich zu respektieren. Zu respektieren, dass Menschen unterschiedlich sind und sein dürfen. Wenn jemand unsere Grenzen nicht wahrt, sondern auf ein man-sollte-sich-nicht-so-anstellen pocht, können wir safe davon ausgehen, dass diese Person auch keine sanfte, freundliche Art kennt, seine eigenen Grenzen liebevoll zu schützen. Wir wachsen langsam in dem Bewusstsein, dass wir anderen in gewisser Weise voraus sind, was die Entwicklung unserer eigenen Persönlichkeit angeht, und können so mehr und mehr aus einer freundlichen Souveränität den anderen gegenüber handeln.

Wenn wir klar haben, was wir wollen, dann kann es helfen, wenn wir nicht in der Situation selbst in den Kampfmodus schalten, sondern die Menschen, die uns nahestehen, freundlich und sachlich schon vorher wissen lassen, was wir wollen und was wir nicht wollen. Geh am nächsten Tag nochmal in das Gespräch mit deinem Arbeitskollegen und sage ganz ruhig: „Weißt du... Rüdiger... Mir ist echt super wichtig, dass über meine Kompetenzen keine Witze gemacht werden. Ich habe lange unter mangelndem Selbstwert gelitten und bin nun froh, dass ich mittlerweile das nötige Standing habe, zu wissen, was ich kann und stolz auf mich zu sein. Ich möchte diese Witze und Sprüche also nicht. Nicht, weil ich keinen Spaß verstehe, sondern weil ich eine Geschichte mitbringe und das deswegen nicht mag. Sicher kannst du da demnächst Rücksicht drauf nehmen.“ Wer weiß und liebt, was er will, der kann das in aller Ruhe und ohne Druck seine Mitmenschen wissen lassen

Es gibt den Spruch „kill them with kindness“. Und ich habe das Gefühl, dass Wut und Entrüstung zwar in der ersten Phase des für-sich-selbst-einstehen gut und wichtig und richtig sind, aber dass wir, je mehr wir in Liebe und Selbstachtung wachsen, unsere Grenzziehung freundlich an den Mann oder die Frau bringen können. Weil wir uns mehr verstehen als gewachsene Persönlichkeiten, die anderen auch etwas voraus haben in Sachen Selbstannahme, und nicht mehr als Opfer in die Verteidigung gehen.

3. Bleib selbstkritisch – frag Freunde

Bei aller Liebe für meine Gefühle und Befindlichkeiten: Manchmal lässt uns unser verletztes inneres Kind auch Dinge mit dem falschen Ohr hören und vom falschen Ohr bekommt man die Dinge in den falschen Hals. Auch hier ist es unglaublich wichtig, dass wir mehr und mehr darin wachsen, unsere Grenzziehungen freundlich vorzunehmen, denn auch das kann passieren: Das wir so sehr mit unseren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen beschäftigt sind, dass wir den anderen nicht mehr klar sehen und objektiv einschätzen können. Daher hilft es manchmal und sollte unsere Routine werden, dass wir Menschen, denen wir vertrauen und die auch vor Kritik an uns nicht scheuen, um Rat fragen, ob wir mit unserer Empfindlichkeit den anderen richtig sehen. Wenn wir in bestimmten Bereichen sehr sensibel sind, kann es nämlich auch passieren, dass wir überreagieren. So sehr es richtig ist, dass wir für unsere sensiblen Gefühle einstehen und Verantwortung tragen, so sehr kann es auch ein wertvolles Learning sein zu schauen: Was passiert eigentlich auf der anderen Seite? Ist das tatsächlich eine böswillige Grenzverletzung oder war das einfach nur unachtsame Unwissenheit oder habe ich da etwas in den falschen Hals bekommen? Wenn wir nämlich häufig mit verletztem Herzen hören, übersehen wir leicht, dass es die andere Person in ein falsches Licht stellt, wenn wir ihr Verhalten als Angriff werten.

Wir sind nicht mehr die verletzten Kinder von damals und da kann es helfen, eine neutrale und wohlwollende Person um Rat zu fragen: „Sag mal, wie hörst du das? Bin ich da im Recht, wenn ich mich über das Verhalten von meinem Arbeitskollegen aufrege?“ Auch das kann eine gute Arbeit mit und an unserem inneren Kind sein, wenn wir uns zwar lieb haben, aber nicht in einen Modus geraten, wo wir darauf beharren, dass unsere eigenen Gefühle der Nabel der Welt sind. Auch das ist Wachstum. Und daran sieht man wiederum auch sehr deutlich, warum es unbedingt wichtig ist, dahin zu kommen, Grenzziehungen freundlich zu tätigen. Denn das ist eine Chance, auf beiden Seiten Heilung und Wachstum zu bringen. Wenn ich freundlich sage „Du, das hat mich verletzt aus folgendem Grund, deswegen möchte ich das nicht!“ und uns erklären, dann geben wir unserem Gegenüber die Chance, sich zu unserer Kritik und zu unserem „Nein“ zu verhalten. Wir wachsen da doch sehr oft im Miteinander, aber eben nur, wenn wir die Offenheit mitbringen, uns ebenfalls korrigieren zu lassen. Und da hilft im Vorfeld ein Gespräch mit der besten Freundin oder dem besten Freund.

Man wird definitiv sicherer und klarer darin, die eigenen Grenzen aufzuzeigen, wenn man das Potential und die Wachstumsmöglichkeiten auf beiden Seiten sieht, die ein offenes Gespräch mit sich bringt. Und je selbstkritischer ich auch mir gegenüber bin und es schaffe, eigene Fehler und eigene Überempfindlichkeiten sanft zu korrigieren, desto selbstbewusster sind wir in Momenten, wo wir ganz klar spüren „Also, das geht jetzt wirklich nicht!“ Wer selbstkritisch bleibt, macht sich frei von dem unsicheren „Könnte der andere vielleicht doch im Recht sein, wenn er mich so behandelt?“ Und um in dieser Haltung zu wachsen, hilft die Rücksprache mit Freunden, die uns gut kennen.

  • Übung: Segne die, die dir blöd kommen und deine Grenzen verletzt haben

Ich finde es wohltuend, mir vor Augen zu führen, dass wir immer selbst Menschen sind, die Fehler machen und mit Menschen zu tun haben, die Fehler machen. Das rückt das Thema „Grenzen setzen“ in ein anderes Licht, weil klar wird, dass wir letztlich alle Individuen sind, die miteinander auf dem Weg sind. Ich darf noch wachsen – aber mein Gegenüber auch. Wer sich dessen bewusst ist, verliert schneller die uns ursprünglich innewohnende Angst vor „elterlicher Strafe aus frühkindlicher Entwicklung“. Ich segne Menschen, die mir blöd kommen. Segen geht auch vollkommen unreligiös, indem ich einfach dem anderen im Stillen gute Wünsche mitgebe. So etwas wie „Ich wünsche dir, dass auch dein inneres Kind heilen kann und du in Selbstliebe und Liebe zu anderen wächst“. Und obwohl niemand von euch je meine Grenzen verletzt hat, möchte ich dir das nochmal ganz persönlich zusagen: Ich wünsche dir, dass auch dein inneres Kind heilen kann und du in Selbstliebe und Liebe zu anderen wächst.

Das war das Wort zum Montag. Ich wünsche euch alles Liebe und sage: Bis nächste Woche!

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