Rollenspiel zum Wohlfühlen

In unserem heutigen Beitrag geht es um Safety-Tools. Der Fantasie sind ja bekanntlich keine Grenzen gesetzt. Da ist es umso wichtiger, gemeinsam zu besprechen, wo die persönlichen Grenzen am Tisch sind. Wie ihr dafür sorgen könnt, dass sich alle am Tisch wohlfühlen, erklären uns heute Elaynie… äh Rieke und Prof. Dr. Spielleiter! 😊
Beim Spielen eines Rollenspiel-Abenteuers kann es dazu kommen, dass Themen oder Situationen auftreten, die der Spielleitung oder den Spielis unangenehm sind. Manchmal können sogar Erinnerungen an traumatische Erlebnisse ausgelöst werden – hier spricht man von einem Trigger. Das Wichtigste am Tisch ist jedoch, dass sich alle in der Spielrunde wohl und sicher fühlen. Der Spaß steht immer an erster Stelle! Aber wie lässt sich das miteinander vereinbaren, wenn Horrorelemente oder sehr dramatische Ereignisse in der Rollenspielwelt auftauchen? Dafür gibt es unterschiedliche Lösungen und Wege, um bereits im Vorfeld oder sogar während der Spielrunde damit umzugehen.
Ein offenes Gespräch, bevor die Reise losgeht!
Vor Beginn des gemeinsamen Abenteuers sollte es – neben der Erstellung der Charaktere und der Welt – zu den ersten und wichtigsten Handlungen gehören, sich über eigene Tabus und Grenzen auszutauschen. Dies kann entweder in der Session 0 (Abre numa nova janela) geschehen, in der gemeinsam Grundregeln festgelegt und Erwartungen geklärt werden, oder vorab, zum Beispiel schriftlich, telefonisch oder in einem zwanglosen Gespräch.
In der Rollenspielszene haben sich verschiedene Safety Tools etabliert (Lines & Veils, X-Karte, Open Door, CATS, …), mithilfe derer gemeinschaftlich besprochen werden kann, welche Grenzen nicht überschritten werden dürfen, was getan wird, wenn eine Situation unangenehm wird, oder wie damit umgegangen werden soll, wenn gewisse Dinge am gemeinsamen Spielen frustrieren. Einige dieser Tools werden wir genauer unter die Lupe nehmen.

Alex sagte es kürzlich im Q&A-Panel bei Figuya: Das Wichtigste ist die Kommunikation! Redet untereinander darüber, wie ihr euch fühlt, sagt, falls euch etwas keinen Spaß macht und findet gemeinsam Lösungswege. Informiert als Spielleitung eure Spielis vor Beginn eurer Reise über mögliche Themen, die im Abenteuer vorkommen, von denen ihr vielleicht schon frühzeitig erahnt, dass sie Unbehagen auslösen könnten. Mit einem Gespräch im Vorfeld lässt sich checken, ob alle damit einverstanden sind, dass es beispielsweise auch düsterer werden darf. Damit verhindert ihr unangenehme Überraschungen.
Vorbereitung durch die Spielleitung
Vor dem Dreh unserer „Hüter der Obelisken“-Kampagne ist Alex mit uns auch eine Liste an Themen durchgegangen und hat abgeklärt, welche Themen uns vielleicht Bauchschmerzen bereiten könnten, ob wir bestimmte Ängste haben und wo unsere Grenzen liegen.
Auch bei „Alice is Missing“ kamen Safety Tools zum Einsatz. Zum Beispiel die X-Karte und Lines and Veils. In unserer Spielvorbereitungen ist Alex diese Sicherheitstechniken in Ruhe mit uns durchgegangen. Hier könnt ihr diese noch mal hören:
https://youtu.be/bZvvI9swLcU?si=YN9wTzbdgV900XNP&t=525 (Abre numa nova janela)Außerdem möchte ich an dieser Stelle lobend Doreaux erwähnen und grüßen. Vor einer gemeinsamen Spielrunde hat Doreaux mir ein Dokument geschickt, das nicht nur Abmachungen und Überlegungen zu Regelwerk, Dauer und Häufigkeit der Sessions sowie Essen am Tisch enthielt, sondern eben auch kurz und knapp unsere Grenzen abfragte.
Ihr seht also: Man kann die Sicherheitstechniken persönlich, telefonisch oder sogar schriftlich absprechen. Es gibt großartige Templates, die man seinen Spielis zukommen lassen kann. Sucht einfach nach „Consent in Gaming“, „Lines & Veils Checklist“ oder „Safety & Consent Checklist“, und ihr werdet fündig.
Hier seht ihr eines dieser Formulare als Beispiel:

Lines and Veils
Bei Lines and Veils („Grenzen und Schleier“) von Ron Edwards werden alle in der Spielrunde nach ihren Tabu- und Reizthemen, wie z. B. Angst vor Spinnen, Clowns, Ärzten oder Rassismus, sexualisierte Gewalt, Folter, Gewalt an Kindern und Tieren befragt. „Lines“ sind Inhalte, die jemand gar nicht im Plot haben möchten. „Veils“ sind Themen, die nur in abgeschwächter Form vorkommen oder nur angedeutet werden sollen. Um das Eis zu brechen, hilft es natürlich eine Liste der häufigsten Tabuthemen vorzubereiten und den Spielis vorzustellen.
X-Karte
Mit dem Hochheben, Hinlegen oder Antippen der X-Karte können alle in der Spielrunde signalisieren, dass ihnen ein Thema, welches gerade angespielt wird, Unbehagen verursacht. In schriftlichen Rollenspielen kann man auch ein X im Chat verwenden, so haben wir es zum Beispiel für „Alice is Missing“ vereinbart. Erfunden wurde diese Lösung 2013 von John Stavropoulos, der Spielen erlaubte, die X-Karte auch in offizielle Anleitungen zu integrieren.
Open Door
Die Spielenden dürfen jederzeit ohne Angabe von Gründen den Tisch verlassen. Natürlich ist es schöner, wenn es gar nicht erst zu so einer Situation kommt, aber die Spielenden sollen sich sicher fühlen und wissen, dass alle Verständnis dafür aufbringen, sollte jemandem aus einer Situation flüchten wollen. Mit der Open-Door-Policy darf also jederzeit ohne Fragen oder Erklärungen die Spielrunde verlassen werden.
CATS
Bei C.A.T.S. handelt es sich um ein Safety Tool von Patrick O’Leary, bei dem es darum geht, vorab gemeinsam eine Grundstimmung und Richtung für die Spielrunde zu definieren.
1. Concept (Konzept): Worum geht es in dem Spiel? Eine kleine Zusammenfassung der Welt, der Charaktere und der zentralen Handlung – natürlich ohne zu spoilern!
2. Aim (Ziel): Was sind die genauen Ziele der Spieler? Muss ein Feind besiegt werden? Welche Art von Geschichte erleben die Spielenden gemeinsam? Werden sie vielleicht sogar gegeneinander kämpfen oder Wortgefechte führen?
3. Tone (Stimmung): Welche Atmosphäre hat das Spiel? Wird es gruselig, ernst, albern? Welche Stimmung möchten Spielleitung und Spielis gemeinsam erzielen?
4. Subject Matter (Thema/Inhalt): Vorab sollte besprochen werden, welche Themen potentiell tabu sind und welche sensiblen Inhalte am Spieltisch vielleicht nicht an- oder ausgespielt werden sollten.
Brauche ich das alles denn?
Wenn ihr bisher das Glück hattet, noch keinen Autounfall gehabt zu haben, wundert ihr euch vielleicht, wieso ihr jedes Mal diesen lästigen Sicherheitsgurt anlegen müsst. Nun, genau für diesen einen Fall, für den er notwendig ist! So ist es auch mit diesen ganzen Mechaniken, die wir hier besprochen haben: Besser, ihr habt sie dabei und benötigt sie nicht, anstatt ohne sie zu spielen und in eine Situation zu geraten, mit der ihr dann nicht umgehen könnt.
Viele von euch spielen schon seit langer Zeit mit den gleichen Leuten und glauben daher, die anderen Spielis gut einschätzen zu können, doch schon kleine unerwartete Dinge können die geregelten Dinge aus der Bahn werfen: Die unschuldige Szene der Spielleitung einer herumstreunenden Katze beispielsweise, die sich an die Beine eines Charakters schmiegt, hittet eben ganz anders, wenn der echten Katze des Spielis dahinter noch vor wenigen Stunden etwas schlimmes zugestoßen ist.
So etwas kann niemand voraussehen und dass der Spieli in dem Moment vielleicht nur in eine Fantasywelt flüchten möchte, ist nachvollziehbar, doch wenn es keine Möglichkeit gibt, solch eine Szene dann ohne große Diskussionen zu unterbinden oder sich aus dieser Situation entfernen zu können, ist der Trigger bereits geschehen.
Wie war das bei den Dice Actors?
Ihr wisst es bestimmt: Unter jedem unserer Videos ist eine Warnung, damit jeder, der unser Abenteuer verfolgt weiß, dass es auch zu Themen kommen kann, die bei dem ein oder anderen Unwohlsein auslösen könnten:
!!ACHTUNG!! Aufgrund der improvisatorischen Art unserer Rollenspielinhalte können Themen und Situationen entstehen, die für manche von euch schwer zu verarbeiten sind oder unangenehme Erinnerungen hervorrufen könnten. Sollten bestimmte Episoden oder Szenen euch belasten, empfehlen wir, zwischendurch eine Pause zu machen oder die Episode zu überspringen. Am Anfang jeder Folge wird der Inhalt der jeweils letzten noch einmal zusammengefasst, sodass ihr den Anschluss leicht wiederfinden könnt. Euer Wohlbefinden ist uns wichtig!
Achtung, Spoiler! Unsere Charaktere mussten wirklich schon einiges durchmachen. Themen wie Tod, Sterilität, Folter, physische und psychische Gewalt waren regelmäßige Begleiter der Hüter der Obelisken. Auch Zauber wie „Gedanken wahrnehmen“ haben bereits zum Überschreiten von Grenzen geführt. Wir erinnern uns alle an „Medrash, ich bin es… Pelor.“

Doch selbst wenn wir die Haare raufen, Tränen vergießen oder wie ein Häufchen Elend dasitzen – all das ist für uns in Ordnung. Alex hat uns die Möglichkeit gegeben, darüber zu sprechen. Die Grenzen unserer Spielis wurden bisher also nicht überschritten, und tatsächlich hilft es uns, gerade nach besonderen Erlebnissen, uns im Nachhinein noch darüber auszutauschen, Aftertalk-Videos zu drehen oder Freunden und Familie davon zu berichten.
