#012
05.07.2019, 23:20
mein geliebtes kind. heute konnte ich die erste nacht hier im selben zimmer mit dir verbringen. wir haben die suite bezogen und ich habe ein bett darin stehen. ich habe so fest geschlafen, dass du mich nur schreiend wecken konntest. keine deiner schwestern musste je so laut weinen: ich war immer wach, noch bevor sie wussten, dass sie hungrig waren oder sie mehr nähe brauchten. und heute morgen habe ich das gefühl, dass ich das bei dir gar nicht schaffen kann. und dann bin ich zum ersten mal wütend darüber, worum du und ich und papa und deine schwestern betrogen werden: um das beieinander schlafen und das kuscheln ohne kabel. um das vertraute gefühl von zu hause und das nacktsein. um erste kleine spaziergänge an der frischen luft und die alltäglichen geräusche unserer welt. um das tragen deiner eigenen kleidung, um fröhlichen besuch und das erste gemeinsame baden. um das stillen und das tragen, das nahsein und da sein. um all das und so vieles mehr. gestern hatte ich angst, dass die situation für uns alle viel zu schnell normalität werden könnte, als deine kleine große schwester gar nicht glauben wollte, dass ich einen halben tagesausflug mitmachen würde. aber nichts ist hier normal. scheiße ist das. lass uns machen, dass wir hier rauskommen. deine mama.
Normalität.
So viel Ankommen in diesem Leben mit einem schwerkranken Kind.
Jede neue Diagnose, jede Operation, jede Infusionsanpassung und jede Blutgasanalyse. Ein Ankommen und Umsehen in der neuen Normalität.
Ich war so im Training, irgendwie irgendwo neu anzukommen, dass ich Muskelkater hatte. Vor allem im letzten Jahr mit Fritzi, als sie selbst während der Krankenhausaufenthalte nach Hause wollte, Heimweh hatte und überhaupt nicht damit einverstanden war, dass nicht alle gemeinsam bei ihr waren.
Ankommen.
Ich habe im letzen Jahr mit Fritzi häufig darüber geschrieben, dass ich angekommen sei in unserem Jetzt. Und in unserem Danach. Ich war vorbereitet. Und genau das hatte ich damit gemeint. Ich hatte mir selbst zugemutet, radikal anzunehmen, dass mein kleinstes Kind vor mir sterben würde. Ich hatte die wichtigsten Dinge aufgeschrieben, die ersten Kontakte geknüpft und die wichtigsten Fragen gestellt. Ich war angekommen in einem Leben, in dem ich vor dem Sterben noch immer die größte Angst hatte - nicht länger aber vor dem Leben mit meinem glücklichen, scheißkranken Kind.
Seit Fritzi tot ist, kommen wir an.
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