Woplanele #21
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Meine Lieben,
wenn man Avowed direkt nach Kingdom Come 2 spielt, wird man Opfer eines neurologischen Leidens, das wir mangels klinisch-pathologischer Klassifizierung für unsere Zwecke als “Mobus Jochen” bezeichnen wollen. Die Symptome sind mannigfaltig: man orgelt sich einen Heiltrank nach dem anderen rein, obwohl man eigentlich das Inventar öffnen wollte, man starrt konsterniert auf einen Charakterbildschirm, wo man die Karte erwartet hatte, man wechselt die Waffe, weil man das Pferd rufen wollte, das es überhaupt nicht gibt.
“Morbus Jochen” ist eine heimtückische Erkrankung, denn während das Gehirn noch “fuck you and the horse you didn’t ride in on!” ruft, sind Finger und Muskelgedächtnis schon dabei, den nächsten synaptischen Blindgänger zu zünden, emsige kleine Brandstifterlein, die diebisch (und ein wenig manisch) kichern, bevor sie weiter Schiffeversenken mit deinen Hirnzellen spielen.
Schuld daran sind natürlich die vermaledeiten Spielehersteller, die sich nicht nur nicht auf einen Tastenbelegegungsstandard einigen wollen, sondern mit hübscher Regelmäßigkeit auch noch zu dem grandiosen Irrtum gelangen, sie hätten die intuitiven Ideen mit Baggerschaufeln gefressen. Oder sich einfach weigern, die offensichtlich göttlich-makellose Voreinstellung irgendwie anpassen zu lassen. Analogkreuz schrägoben ist schließlich der beste Weg, das Inventar aufzurufen, und wenn die Lurche da draußen das nicht verstehen, dann muss man es halt in ihre Krötenhirne prügeln, sie werden uns einst dafür danken!
Nun bin ich kein Fan, nicht einmal ein Freund von DIN-Normen, zumindest abseits von Druckerpapier. Aber ich kann verstehen, warum irgendwann mal jemand laut “jetzt ist es wahrlich genug!” rief und die Sache mit Zollstock und humorloser Gründlichkeit selbst in die Hand nahm.
Wir sollten also Folgendes gesetzlich festhalten:
Die vier Haupttasten des Controllers lauten A, B, X und Y. Ja, das gilt auch für dich, Sony. Und nein, Nintendo, das A ist unten, auch wenn du dich auf den Kopf stellst und französische Rebellenchansons furzt
Mit A bestätigt man Dinge. Außerhalb von zu bestätigenden Dingen hüpft man unter Umständen damit. Auf gar keinen Fall weicht man damit aus
Mit B weicht man aus und bricht Sachen ab
Mit X macht man die Dinge, die man nicht mit Y macht
Gesprintet wird mit LS
Die Select-Taste macht die Karte auf. Wenn es keine Karte gibt, macht Select irgendwas anderes Nützliches
Die Start-Taste macht das Menü auf. Achtung: In Spielen mit Inventaren, Charakterbildschirmen usw. ist mit “Menü” natürlich dieses Menü gemeint, nicht das Spiel-Menü mit “Beenden”, “Laden” o.ä., das man heute nicht mehr braucht und das deshalb keine kostbare Taste zu verschwenden hat
Da wir in einer pluralistischen, freiheitlichen Demokratie leben, steht es natürlich jedem frei, die o.g. Gesetze scheiße zu finden, so lange er/sie es für sich behält.
Dankschreiben sind nicht nötig. Straßen dürfen gerne nach mir benannt werden, aber nur schöne.
1 Meldung, 5 Gedanken
Ehemaliger Amazon-Vice-President erklärt bei Linkedin, dass Amazon den Kampf gegen Steam verloren hat, weil Steam schon die Lösung für die Probleme des Kunden war
Quelle:
https://www.linkedin.com/posts/ethanevansvp_as-vp-of-prime-gaming-at-amazon-we-failed-activity-7295834479036702720-cDmX/ (Abre numa nova janela)Erster Gedanke: Ich wusste gar nicht, dass Amazon überhaupt gegen Steam in den Krieg gezogen ist. Aber das erklärt vieles. DAS wollte Amazon also mit all den spektakulär gescheiterten Unternehmungen ins Gaming erreichen. Immerhin kennen wir jetzt das Ziel dieser Großoffensive, die nur unwesentlich erfolgloser verlief als die Seeschlacht bei Tsushima für Russland, das den Großteil seiner baltischen Flotte mehr als sechs Monate lang über den halben Erdball schickte, um nach zwei Tagen von den Japanern (mutmaßlich mehr schießend, weniger furzend) versenkt zu werden.
Zweiter Gedanke: Ich mag solche Einblicke in das Innenleben eines Großkonzerns, weil sie geradezu frappierend den historischen Einblicken in das Innenleben von mächtigen Politikern oder (ehemaligen) Weltreichen ähneln. Alleine der Umstand, dass Ethan Evans wie selbstverständlich erzählt, dass es einen Kampf zwischen seinem Ex-Unternehmen und Steam gab, während die restliche Welt verdattert drein guckt und denkt, was für ein Kampf denn, das ist mir neu?! Und wieso greifen die Steam an?! Und what tae fuck?! Kann man übrigens auch alles über Russlands Krieg gegen Japan 1904/1905 sagen, aber das nur am Rande.
Dritter Gedanke: Noch mehr mag ich den Umstand, dass Ethan Evans offenbar immer noch nicht bemerkt hat, dass außer Amazon niemand seinen Cloud-Streaming-Service Luna oder Googles Stadia als Angriff auf Steam verstand. Und dass das eine so dämliche Idee war, dass man sie im Englischen als “harebrained” bezeichnen würde, was etymologisch (fancy-sprech für: im ursprünglichen Wortsinne) so viel wie “hasenhirnig” bedeutet. Was wiederum ein so schönes deutsches Wort wäre, dass es ab sofort eins ist, also hasenhirnig.
Vierter Gedanke: Zur Klarstellung, Cloud-Streaming im Allgemeinen fand und finde ich nicht per se dämlich. Aber mit Cloud-Streaming gegen Steam in die Schlacht zu ziehen, das ist dämlich. Denn da bringt man keine Messer zu einer Schießerei mit, was immerhin bedeuten würde, dass man die Natur des Konflikts (wenngleich nicht seine Ausmaße) richtig eingeschätzt hätte, sondern Donughts.
Fünfter Gedanke: Amazon hat verloren, weil es augenscheinlich eine winzige Kleinigkeit (immer noch?) nicht verstanden hat, die mich übrigens überhaupt nicht verwundert, weil siehe Zweiter Gedanke. BEI STEAM SIND MEINE SPIELE. Ja, es hilft sehr, dass Steam vergleichsweise bequem, komfortabel und kulant ist. Und dass es im Nebenjob soziale Plattform, Achievement-Schaufenster und Alpha-Petting-Zoo ist. Aber auch wenn es eine sturzlangweilige Arschlochplattform von Arschlochleuten wäre, SIND MEINE SPIELE DORT. Steam hat mein Problem nicht schon gelöst, wie Evans denkt, schließlich gäbe es das Problem ohne Steam und Co. erst gar nicht. Steam hat mich in Geiselhaft genommen und seitdem hart sein Stockholm-Syndrom-Image poliert, und es ist hasenhirnig, anzunehmen, ich würde mich stattdessen lieber in die Geiselhaft eines anderen begeben, bloß weil der größer oder schöner ist. So funktionieren Geiseln nicht, ihr Brainbugs.
Was wir am Spielen sind
Neben Avowed (aka dem besten aktuellen Spiel, wenn man zu jenen gehört, die Spiele eh nicht durchspielen) beschäftigt uns momentan und demnächst wahrscheinlich ein Sub-Genre, das wir als Arbeitstitel “Thekenspiele” nennen, also Spiele, in denen es hauptsächlich um Aufbau, Management und Erlebnisse innerhalb einer Taverne, einer Kneipe, eines Cafes oder eines Klosters geht, in dem die Mönche gerne Bier brauen und noch lieber wegsaufen.
Und zwar nicht wegen des Alkoholthemas, sondern weil solche gemütlichen Gemeinschaftsraumfantasien gerade ein eskapistischer Trend sind, den man zum Beispiel auch in der Fantasyliteratur beobachtet, siehe Travis Baldrees gerade im Englischen enorm erfolgreiche Magie-und-Milchschaum-Reihe, wo eine Orkkriegerin im Ruhestand ein Café eröffnet.
Außerdem erscheint am Freitag Monster Hunter Wilds, und ich gehe davon aus, dass Sebastian nach dem Magazin seinen Hut und seinen Controller nimmt und zwei Wochen nur noch in Grunzlauten kommuniziert. Eventuell schaue ich auch mal rein, auch wenn mich das Leid der virtuellen Tiere schon im letzten Teil massiv abgeschreckt hat.
Ich bin halt seltsam. Oder normal. Je nach Perspektive.
Was wir sonst noch so machen
André und Janna haben einen Podcast aufgenommen, auf den ich schon sehr, sehr gespannt bin, denn es geht um die Frage, warum Leute bei vermeintlich unwichtiger Spielekritik regelmäßig ausflippen, als ginge es um Leben, Tod und andere tendenziell wichtige Dinge. Und was die Geisteswissenschaft zu diesem Thema zu sagen hat.* Wenn alles glatt geht, hört ihr das Gespräch nächste Woche.
Ebenfalls nächste Woche findet ihr an dieser Stelle eine Auswertung der Umfrage von letzter Woche. Welche Formate mögt ihr besonders, welche könnten (eher) weg? Und welche sollen zurückkommen? Stay tuned - und nicht wundern, wenn es schon diese Woche (oder nächste) weitergeht mit den kleinen 5-Minuten-Umfragen, denn wir wollen noch viel mehr von euch wissen.
Hinter den Kulissen laufen übrigens Kosmetik- und Usability-Arbeiten an der Webseite. Hoffentlich können wir sie im Frühjahr einer Generalüberholung unterziehen, sodass sie nicht mehr aussieht wie eine Multi-Level-Marketing-Butze, was Wordpress-Templates leider so an sich haben. Aber wir bekommen professionelle Unterstützung, insofern bin ich guter, moderner Dinge!
Das Rätsel zum Sonntag
Zum englischsprachigen Titel sagt Merriam-Webster, gewissermaßen der Duden der Vereinigten Staaten, folgendes:
asserted to be true or real
Als Rätsel wahrscheinlich ein Klacks, aber immerhin dürften jetzt mehr Leute wissen, was der Titel eigentlich bedeutet.
Fußnote
*Gemeint ist in diesem Fall die Literaturwissenschaft. Die Philosophie hat zu solchen Fragen zwar auch viel zu sagen, aber das lässt sich oft auf “Menschen halt, was willste machen?” runterbrechen, bloß in viel komplizierter und mit mehr Fremdworten und Kommas.
Der französische Philosoph Gilles Deleuze beispielsweise wundert sich oft, dass Menschen um ihre Unterdrückung kämpfen, als ginge es um ihre Freiheit, und mehr werde ich an dieser Stelle nicht zur Bundestagswahl sagen.
Habt eine großartige, glückliche, möglichst sorgenfreie Woche
Jochen