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Erwin sitzt da und genießt die Leere des Rausches. Es fiel ein Tor, während er in die Gegend sah, und er tat so, als kuckte er das Spiel: hat er nicht. Er hat aber gespürt, dass ein Tor fiel. Die Stimme des Kommentators ging hoch, es gab Geräusche aus irgendeinem Stadium: vielleicht war es Fürth oder es war Hamburg. Das macht keinen Unterschied.
Erwin denkt so: er wäre gern dabei. Manchmal darf er, meistens nicht. Das ist das Problem am Dabeisein: er hat nicht gelernt, nebendran zu sitzen. Er muss halt schon auch gesehen werden. geliebt will er werden und verdammt, er kann nicht an einem gemeinsamen Feuer sitzen: sein Scheiterhaufen brennt für ihn allein. Darumherum tanzt er. er könnte nach draußen gehen zum Rest der Bagage, aber Musti würde ihn sehr bald herauskomplimentieren, weil er eines nicht kann: die Dinge so sagen, dass es gerade noch so akzeptabel ist.
Aber alleine hier sitzen hält er auch nicht gut aus. Er weiß, dass in anderthalb Stunden die Bundesliga-Leute kommen, und mit denen wird er immerhin kurz ein paar Dinge zu bereden haben: er hat diverse Statistiken angekuckt, er weiß, wer der beste Torjäger gerade ist und er weiß auch, wer die meisten Vorlagen gegeveb hat. Wenn er den Leuten, die da im Fernsehen sind, noch ein bisschen zuhört, wird er auch noch mehr Meinungen haben, aber das Spiel sagt ihm nichts mehr. Es wäre doch einfach schön, betrunken zu sein, denkt Erwin, und daherzureden ohne zu denken; ohne denken zu müssen; ohne diese verdammte Last auf dem Herzen zu haben; ohne dass es falsch wäre so zu sein. Er weiß selbst dass er nicht richtig ist; nicht richtig im Kopf und auch nicht richtig im Umgang. Er kuckt nach draußen, wo die Leute alle diskutieren: er hasst sie alle. Es ist ein tiefer, nicht versöhnbarer Hass: er kann nie sein wie diese Leute, kann niemals mit ihnen reden. Er hasst sie so sehr, wie er sich selbst hasst, seine Unfähigkeit, in einen Dialog zu kommen; was will er tun. Der Hass ist das, was ihm bleibt. Er hätte jetzt so gern einen Schnaps. Vielleicht könnte er sich dann auf einen Schoß setzen, oder vielleicht würde ihm dann jemand einfach durchs Haar streichen: einfach so. Eine Frau, irgendeine Frau. Die erste seit 30 Jahren.