Liebe Pfefferhäschen und Leser*innen,
erstmals erhielt eine nicht binäre Person den Deutschen Buchpreis: Kim de l’Horizon wurde für den Roman „Blutbuch“ ausgezeichnet. (Bisherige Preisträger*innen: acht Frauen und neun Männer.) Das sind wunderbare Nachrichten, der Preis ist so verdient! Das Blutbuch ist nicht nur literarisch extrem gelungen, künstlerisch-experimentell und trotzdem durchgängig verständlich und „lesbar“, sondern es ist auch eine Geschichte, die die Existenz, das Leben und Fühlen einer nicht binären, genderqueeren, Person in den Mittelpunkt stellt. Ich habe noch nie etwas gelesen und so gefühlt wie das „Blutbuch“. Ich bin so glücklich darüber, dass die Buchpreis-Jury diesen Roman zu würdigen wusste. Gerade in der oft als eher konservativ geltenden Literaturbranche ist das nicht selbstverständlich und die teilweise empörten Stimmen in den sozialen Medien machen den Mut dieser Entscheidung nochmal deutlicher. Kims bloßes Dasein ist ein Affront für die, die besessen vom Aussehen der Genitalien alles in Mann oder Frau einteilen wollen, Kims prächtige Kleidung, das Make-Up, die Art zu sprechen und zu gehen lassen rechtskonservative Springer-Knechte vor Wut kochen, Kims Weigerung, in das Schema derer zu passen, die das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht als unverrückbar, als alles formende Bestimmung verstehen, ist für viele unverzeihlich. Der Preis, den Kim dafür zahlt, kimselbst zu sein, ist Gewalt, physisch und verbal, Verächtlichmachung, Abwertung und offener Hass. Die Kommentarspalten der Medienhäuser fluteten über mit empörten Angriffen und wieder einmal waren es erstaunlich viele Frauen, die Kims Existenz bespuckten und belächelten. Ein „Mann im Kleid“ sei Kim, ein „schnurrbarthipster, der sich durch Pronomen in der Bio in den Feminismus einzecken will“, dem „die neueste Erfindung des Patriarchats ein zusätzliches Privileg in die Hände legt: sich durch Sprechakt der Unterdrückerrolle entziehen und daraus sogar noch Profit zu schlagen“. Kims „Privileg“ ist übrigens, dass Kim auf der Buchmesse nun Personenschutz erhält (Opens in a new window), weil der Verlag von ernsthaften Drohungen berichtet. Kim de l’Horizon hat in der NZZ einen langen Text veröffentlicht, in dem es um zwei Schläge geht, die Kim trafen, einer ins Gesicht, von einem Mann in Berlin und einer durch eine Aussage des Schweizer Bundesrats Ueli Maurer. Maurer sagte in einer Pressekonferenz anlässlich seines angekündigten Rücktritts: „Ob meine Nachfolgerin eine Frau oder ein Mann ist, ist mir egal. Solange es kein ‹Es› ist, geht es ja noch.“ Kim de l’Horizon schreibt in dem NZZ-Text: „Was euch eint, ist das Feindbild. Was euch eint, ist der Hass auf Körper wie den meinen. Was, frage ich euch, ist so schlimm an meinem Körper, dass ihr ihn schlagen und aktiv von politischer Führung ausschliessen möchtet? Was habe ich euch getan? Was, ihr um euch schlagenden Männer, seht ihr in mir, das euch dermassen bedroht?“
Um ganz offen zu sein, einige Passagen in Kims NZZ-Text haben mich gestört, ich verstehe nicht, warum es erwähnenswert war, über einen vermeintlichen „Migrationshintergrund“ des ersten Schlägers zu spekulieren und es gefällt mir nicht, dass Kim das Narrativ des „unsicheren Täters“ bedient, wenn Kim schreibt „Wer wirklich überlegen ist, der muss nicht zuschlagen und nicht unterdrücken“. Ich finde den Sklaverei-Vergleich vollkommen unangemessen und auf Twitter wurde ich auf weitere Stellen aufmerksam, die zu kritisieren sind (Opens in a new window). Aber, und das ist hier (für mich) entscheidend: Kim hat den historischen Moment der Aufmerksamkeit genutzt, um eine Lebensrealität denen näherzubringen, die vielleicht bis zur Buchpreisverleihung nicht mal wussten, dass nicht binäre Menschen existieren. Deshalb finde ich folgende Passage aus Kims Text auch besonders wichtig: „Es gibt keine Gender-Ideologie, keine Queer-Propaganda, kein Netzwerk von sich verschwörenden Einhörnern, die die Weltmacht erlangen wollen. Es gibt Menschen wie mich, die vor allem in loser Community zueinanderhalten, weil wir angefeindet, geschlagen und getötet werden. Aber ich spreche nicht für diese Community, weil es auch darin keinen Konsens gibt.“
Was sonst noch so los war in der abgelaufenen Woche, lest ihr wie immer im Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. Diesmal geht es u.a. um Nazis, die in Zürich eine Vorlesestunde für Kinder angegriffen haben, die Glückwünsche von Olaf "Brechmittel-Folter" Scholz und Ursula von der Leyen an die Faschistin Giorgia Meloni und einen erneut tödlich endenden Polizeieinsatz in Dortmund.
Ich freue mich, wenn ihr ihn lest und natürlich auch, wenn ihr ihn euren Freund*innen empfehlt. Es steckt viel Arbeit in jedem einzelnen Wochenrückblick und es liegt in der Natur der Sache, dass die Texte nur für kurze Zeit aktuell und entsprechend von Interesse sind. Umso mehr freue ich mich, wenn möglichst viele Menschen davon erreicht werden.
Am vergangenen Donnerstag war ich bei der Show von Alok Vaid-Menon (Opens in a new window) im Kino Babylon und ich habe mich selten so wohl und sicher in einem Raum voller Menschen gefühlt (hatte FFP2-Maske auf, na klar!) Alok macht Stand-Up Comedy gepaart mit Poetry und es ist wunderbar queer, zum laut lachen und leise weinen. In Aloks neuem Lyrikband habe ich ein Gedicht gefunden, aus dem ich euch ein paar Zeilen zeigen möchte. Es heißt "your wound is my garden" und ich finde, es passt sehr gut ans Ende dieser Woche.
i am not interested in legitimacy.
legitimacy is a circus that requires me to convince others
of what already is
i have more important things to do with my time.
does the ground have to authentificate itself to the feet?
does water have to substatiate itself to the tongue?
i have nothing to prove.
my dignity is not up for debate.
i accept myself.
and that is not only enough,
it is everything.
Das Gedicht geht noch weiter, aber ich finde, für heute reichts. Passt auf euch und einander auf,
bis nächste Woche
Ulla