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Bindungsangst

Hallo Clubfans, liebe Neu-Abonnent:innen, liebe Unterstützer:innen,

eigentlich hatte ich mir für diese Newsletter-Ausgabe vorgenommen, vom Mitgliederfest und der Saisoneröffnung am 20.7. zu berichten. Da wollte ich nämlich hin und den Vierjährigen mitnehmen, um ihn so das erste Mal richtig auf Tuchfühlung mit dem großen 1. FC Magdeburg zu bringen.

Die Temperaturen machten uns dann leider einen Strich durch die Rechnung. Bei 30+ Grad gibt es für mich inzwischen eigentlich nur drei Orte, an denen ich überhaupt noch sinnvoll existieren kann: in der abgedunkelten, leidlich kühlen Wohnung, am Badesee oder im Freibad. Eine Betonwüste mit reichlich versiegelten Böden, wie wir sie rund um’s Heinz-Krügel-Stadion haben, gehört jedenfalls nicht dazu - was mit Blick auf das einzige für mich besuchbare Heimspiel im August gegen Schalke 04 noch interessant werden könnte, aber das ist eine Geschichte für ein anderes Lagerfeuer. Naja, und darüber, dass Temperaturen um die 30 Grad auf den Körper eines kleinen Jungen noch mal ganz anders wirken als auf meinen alten, verbeulten, müssen wir wohl gar nicht erst reden.

Lange Rede kurz: Wir waren also nicht beim Mitgliederfest, anders als 5.554 Wagemutige (nach Clubangaben), die sicherlich/hoffentlich/wahrscheinlich eine gute Zeit hatten und ein 1:1 unserer GmbH gegen den VfL Bochum anschauen konnten. Zum Spiel selbst gibt es einen kurzen Bericht bei Magdeburg Blau-Weiß (Opens in a new window), auch die Gegnerperspektive wird dort beleuchtet (Opens in a new window). Die Verlinkung der firmeneigenen Propagandakanäle spare ich mir an dieser Stelle, Berichte aus GmbH-Perspektive findet Ihr aber z.B. über den FCM-WhatsApp-Kanal und bestimmt auch in der FCM-App.

Der Nicht-Besuch der Saisoneröffnung gibt mir jetzt aber die Gelegenheit, hier im Newsletter einen Gedanken noch ein bisschen weiter auszuarbeiten, der in unserer letzten Podcast-Folge aufkam. Es geht um das Thema “Bindung” oder vielleicht besser “Identifikation” - und zwar der aktuellen Spielergeneration mit unseren Farben, unserem Emblem und unseren Werten. Und der Frage, was das dann meinerseits in Sachen “Identifikation mit der Mannschaft” bedeutet. Im Podcast kamen wir drauf, als es um den Abgang von Amara Condé ging; Ihr könnt, wenn Ihr mögt, ab Minute 56:59 noch mal reinhören (Opens in a new window).

Der Spieler Amara Condé in blau-weißer Spielkleidung in Großaufnahme auf dem Spielfeld mit dem Ball am rechten Fuß. (Opens in a new window)

(Bild von Steffen Prößdorf via Wikimedia Commons (Opens in a new window), Lizenz: CC BY-SA 4.0 (Opens in a new window))

Kurz zusammengefasst ging es um das Gefühl, dass die Spieler, die heute zum Club kommen, den Wechsel offenbar in allererster Linie als (Zwischen-)Schritt in ihrer Laufbahn sehen und der FCM vermeintlich auch genau so wahrgenommen wird - als Karriereschritt und nicht notwendigerweise als Verein zum Wohlfühlen, Wurzeln schlagen und länger bleiben. Als Vergleich und Gegenhorizont diente die Mannschaft, die uns Clubfans und der Region 2014/2015 den Aufstieg in den Profifußball schenkte. Ihr erinnert Euch: Beck, Butzen, Fuchs, Glinker, Handke, Sowislo etc., ein Kern also, der mehrere Jahre zusammen war, in Magdeburg etwas aufgebaut hat, dabei einiges miteinander erlebte, sich als Team auch abseits des Sportlichen entwickelte und irgendwie … anders, nahbarer, authentischer wirkte als die Zweitliga-Kader, die wir bisher so hatten. Und dadurch eben auch für eine gewisse, vielleicht besondere Bindung zwischen Team und Fans sorgte, die ich bei mir und tatsächlich auch in meiner FCM-Blase so nicht mehr wahrnehme.

So jedenfalls mein Eindruck - und mit Condé verließ nun für mich der letzte Spieler der aktuellen Mannschaft den Verein, mit dem ich mich noch ein gutes Stück weit identifizieren konnte oder anders: der bei mir für eine gewisse Identifikation mit der (alten) Mannschaft sorgte. Naja, und dann sprachen wir eben darüber, woran das liegt, warfen das Totschlagargument “Profifußball” in den Raum und hörten Thomas’ völlig richtige Gegenrede, dass es ja auch im vermeintlich ach so kalten Profifußball diese Geschichten gibt, die wir Fußballromantiker:innen so gern mögen: Nils Petersen, Fabian Klos, Claudio Pizarro, von mir aus auch Thomas Müller (um mal ein paar Beispiele zu nennen, wobei ich gar nicht so genau weiß, ob der Pizarro-Vergleich eigentlich trägt) - Spieler also, denen man komplett abnimmt, dass sie sich mit ihren jeweiligen Clubs identifizier(t)en, obwohl die doch auch den so genannten “Mechanismen des Geschäfts” unterliegen.

Was mich seitdem beschäftigt, ist, welche Rolle eigentlich der Verein bei der Frage spielt, wie Spieler ihn wahrnehmen, und was das letztlich mit der Bindung an und die Identifikation mit dem Club macht. Ich meine, Lubambo Musonda (Opens in a new window) zum Beispiel trug in den letzten vier Jahren die Trikots von vier verschiedenen Vereinen, wenn ich richtig gezählt habe; der zuletzt vermeldete Neuzugang Aleksa Marusic (Opens in a new window) hatte in den letzten drei Jahren vier unterschiedliche Teams (von denen ich, nebenbei bemerkt, noch nie etwas gehört habe, was aber gar nicht schlimm ist). Ich kenne beide Spieler nicht persönlich und möchte ihnen nicht zu nahe treten, kann mir aber nur schwer vorstellen, dass es bei den Wechseln jeweils einen großen Abschiedsschmerz gegeben hat, weil halt die Verwurzelung und die Identifikation mit Stadt und Verein so groß waren.

Spieler wie die genannten wechseln nun also zum Club, ebenso wie jene, die zuletzt mit Verletzungen zu kämpfen hatten, bei ihren alten Vereinen nur noch eingeschränkt auf Spielzeit kamen und in Magdeburg einen neuen Anlauf nehmen wollen. Oder all jene “jungen, flexiblen und entwicklungsfähigen” Spieler, die ja auch - und komplett nachvollziehbar - ganz offen kommunizieren, dass sie den FCM als nächsten Schritt in ihrem Fußballer-Leben sehen. Und damit quasi ihren Abschied im Zuge ihrer Vorstellung gleich mit verkünden. (Das erste Mal in diese Richtung aufgemerkt hatte ich übrigens vor einigen Jahren bei einem Interview mit Marius Bülter in “Neues vom Krügel-Platz”, der sinngemäß ziemlich offen sagte, dass er als Spätberufener natürlich schon noch das eine oder andere in seiner Karriere erreichen und erleben will und der FCM da vermutlich nicht auf der gleichen Zeitschiene ist.)

Um das auch gleich zu sagen: Ich möchte das nicht als Kritik an der Transferpolitik von Otmar Schork gelesen wissen; im Gegenteil: Ich finde die Verpflichtungen alle qualitativ interessant bis ziemlich cool und bin ehrlich gespannt auf das neue Team. Mein Punkt ist: Ich glaube, der FCM ist organisationskulturell und von der Ausrichtung/Positionierung im Profifußball her derzeit gar nicht darauf ausgelegt oder hat gar nicht das Ziel, Spieler längerfristig zu binden. Meinem Gefühl nach geht es wirklich vor allem darum, sich als Sprungbrett oder “Schaufenster” zu präsentieren, auf diese Weise interessante Spieler anzusprechen, ins Team zu integrieren und zu einer erfolgreichen Einheit zu formen - und die dann eben auch wieder aufzubrechen, wenn der eine oder andere Akteur “den nächsten Schritt” machen will. Und vermutlich ist das auch klug und gut so, betrachtet man unsere Infrastruktur, unsere finanziellen Möglichkeiten und ehrlicherweise auch unsere sportlichen Perspektiven derzeit. Wenn ich ein junger Spieler bin und irgendwann mal die Champions-League-Hymne hören will, während ich ins Stadion einlaufe, kann ich mich ja gar nicht langfristig an einen Verein binden, der gerade dabei ist, sich in der 2. Liga zu etablieren. Und wenn ich jetzt nicht die dicken Geldkoffer zuhause habe, aber trotzdem erfahrenes Personal verpflichten will, brauche ich halt andere Argumente, die bei Spieler und Berater ziehen. Hat Otmar Schork in der Vergangenheit ja auch immer mal wieder so kommuniziert.

Kurzum: Der 1. FC Magdeburg (und das meint: die handelnden Akteure) versucht, glaube ich, bei der Spieler-Akquise eine bestimmte Nische zu besetzen, sich dort einzurichten und zu positionieren und auf diese Weise auch sportlich Erfolg zu haben. Und dagegen ist im Grunde gar nichts einzuwenden.

Was aber eben auch stimmt, meine ich: Eine solche Positionierung hat halt zur Folge, dass es mit der Identifikation schwieriger wird. Und zwar sowohl seitens der Spieler, die den Club in erster Linie als einen von vermutlich/hoffentlich mehreren attraktiven Arbeitgebern sehen, als auch seitens so oller Nostalgiker:innen wie mir, die sich eine eingeschworene Truppe, authentische Identifikationsfiguren wie Beckus und eine echte Bindung zwischen Mannschaft und Anhänger:innen jenseits der “Tolle Fans, super Kulisse, ich habe als Baby schon in FCM-Bettwäsche geschlafen”-Rhetorik wünschen. Die mich vor diesem Hintergrund übrigens auch ziemlich nervt, weshalb ich mir die Videostatements der “Neuen” auch gar nicht oder nur mit einem gewissen Augenrollen anschauen kann. Und klar, Folklore, beste Fans, trallala, ist mir schon klar, dass das heutzutage wohl dazugehört und ist ja auch schön, wenn das Leute abholt. Ich alter, weißer Mann würde mich zu dem Kreis inzwischen aber eher nicht mehr zählen.

Insofern trägt das Profifußball-Argument vielleicht doch, wenn ich mich frage, was heute wahrnehmungstechnisch eigentlich anders ist als 2014/2015. Weil der Club sich (derzeit?) vermutlich nur auf Kosten des sportlichen Erfolgs anders positionieren könnte. Und halt in ganz anderen Teichen unterwegs ist als noch in der Regionalliga, wo der Name “1. FC Magdeburg”, so ehrlich muss man ja sein, für potenzielle Neuzugänge noch anders klang als heutzutage, wo die Konkurrenz in der eigenen Liga eben “Schalke 04”, “1. FC Köln” oder “Hamburger SV” heißt. Schöne Grüße an Daniel Elfadli (Opens in a new window) an der Stelle. Oder an Luca Schuler (Opens in a new window).

Zwei Gedanken zum Abschluss noch:

Was könnte eine Stellschraube sein, beides zu bedienen - also Sprungbrett zu sein und trotzdem Spieler mit hohem Identifikationspotenzial im Kader zu haben?

Die Antwort liegt meines Erachtens auf der Hand und kann an sich nur “Starker Fokus auf die Nachwuchsarbeit/das NLZ” heißen. Und ja, hier höre ich Thomas schon den Zeigefinger heben und sagen: “Ja, aber was hat uns das NLZ in der Hinsicht in den letzten Jahren eigentlich gebracht?” - und da hat er Recht. Da sollte, darf und muss viel, viel mehr kommen und das ist auch eine Einstellungs- und Kulturfrage (z.B.: Nehme ich mir die Zeit, einen Nachwuchsspieler mit Potenzial langsam aufzubauen und heranzuführen oder verpflichte ich für die Position lieber zwei neue Spieler, von denen einer als Weltenbummler und der andere als “jung, schnell, dynamisch, entwicklungsfähig und flexibel” durchgeht?). Kurios: Wenn ich so in mich reinhöre, fände ich es richtig cool, wenn es mal wieder Spieler gäbe, die bei uns alle Nachwuchsteams durchlaufen haben, hier ihre erste Schritte im Profibereich machen und dann in die große, weite Fußballwelt aufbrechen. Da klingt dann “der nächste Schritt” ganz anders für mich. Da wär’ ich stolz drauf. Verrückt irgendwie.

Was hat das jetzt eigentlich alles mit Amara Condé zu tun?

Naja, auch wenn Condé nun nach Heerenveen gewechselt ist, habe ich unserem ehemaligen Capitano immer abgenommen, dass er gern in Magdeburg war und sich mit der Stadt, dem Verein, seinen Eigenheiten und uns Fans identifiziert hat. Ich gehe so weit, zu behaupten (und das ist eine freche Vermutung, die ich nicht belegen kann), dass das nicht bei allen Spielern aus dem Kader der vergangenen Saison der Fall war. Unvergessen für mich in jedem Fall, auch wenn’s schon ein bisschen länger her ist, Condés Verhalten im Februar 2023 nach der Scheibenwischer-Aktion seines Trainers vor der Nordkurve nach dem Karlsruhe-Spiel, als einige Titz-Lemminge ihrem Chef Richtung Kabine hinterhertrottelten, Condé aber bemüht war, die Situation anders zu lösen und Mitspieler zurück vor die Kurve zu holen. Das machst Du nicht, wenn Dir die Leute, die da stehen, möglicherweise mehr oder weniger egal sind.

Insofern: Alles Gute, Amara, viel Erfolg bei Deiner neuen Aufgabe und eine hoffentlich verletzungsfreie Zeit!

Was nun das Team 2024/2025 und die anstehende Spielzeit angeht, freue ich mich tatsächlich drauf, dass es bald losgeht und bin gespannt, wie sich die Mannschaft als ebensolche präsentieren wird und welche Charaktere besonders hervorstechen werden. Ehrlich. Und wer weiß? Vielleicht gibt es ja auch im aktuellen Kader den einen oder anderen Akteur, der auch in zehn Jahren noch im Club-Umfeld unterwegs ist, den Verein repräsentiert und sich einfach nachhaltig in unsere bzw. besser: in mein Herz gespielt hat. Legende geworden ist. Bei uns. Wär’ das nicht großartig?

Mit dem Podcast zurück sind wir, wie in der letzten Folge angekündigt, am 31.7. mit der nächsten Aufnahme.

Hier kommen die nächsten fünf Termine:

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