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Auf gutem Weg

Letterman in Kiew/Reemtsma-Film/ Das Lachen meiner Großmutter

Es war noch richtig warm, als mein Roman Montaignes Katze im September erschien. Anschließend durfte ich zahlreiche Lesungen und Veranstaltungen absolvieren, kam in große und kleinere Städte, besuchte professionelle öffentliche und improvisierende private Bühnen. Trotz der diversen Krisen herrschte überall eine zuversichtliche Stimmung und echte Lust am kulturellen Betrieb – also am Leben. Könnte man nur die Medien als Quelle zur gegenwärtigen Stimmung  heranziehen, müsste man von  allgemeinem Missmut ausgehen, einer depressiven Niedergeschlagenheit und Sorge. Fand ich jedenfalls nicht. Ausgehen, diskutieren, dazu lernen – die guten Praktiken  einer bildungsbürgerlichen Öffentlichkeit sind  erfreulich lebendig. Von der Bühne aus sieht man überall in wache Augen. 

Als Feuilletonautor kann man leicht vergessen, dass eine Kulturlandschaft eben nicht von vermögenden Prominenten, großen Häusern und Marken getragen wird, sondern von begeisterten Amateuren. Und dass die Bundesrepublik nicht nur aus Berlin, Hamburg und München besteht, sondern aus all den kleineren Gemeinden und Vierteln, in denen ja die Mehrheit der Leute wohnt. Ich war jedenfalls ehrlich begeistert vom Engagement der Tuchfabrik in Trier, der evangelischen Akademie Hofgeismar, den Montaigne-ForscherInnen in Osnabrück, den Literaturhäusern in Wiesbaden und Frankfurt, der saarländischen Volkshochschule und all den anderen tollen Orten wie dem Schloss Elmau, neben allem anderen einer Hochburg für Kunst und Kultur. Nächstes Jahr geht die Reise weiter.

Ich muss an eine alte Theorie des Ethnologen Thomas Hauschild denken. Er meinte sinngemäß, er hat es mir erzählt, dass Menschen viele Dinge weder für Geld noch für Ruhm, Ehre oder andere Vorteile vollbringen, sondern einfach, um anderen Menschen eine Freude und etwas Gutes zu tun. Dekoration an Festtagen war eines seiner Beispiele: Niemand hat wirklich etwas davon, aber viele Leute kümmern sich gern darum, dass es in ihrer Nachbarschaft  hell und festlich ist. Die Bereiche der Folklore, des Brauchtums und das Vereinswesen bieten viele Beispiele für solch ein allgemeines Engagement ohne Titel und Namen, ohne Lohn und Absicht. Das Land der Dichter und Denker jedenfalls wäre keines mehr ohne diese Szene, ohne BuchhändlerInnen, VerlagsmitarbeiterInnen, Buchblogger und die vielen Ehrenamtlichen. Bis bald.

Als ich zum ersten Mal in den USA war, schalteten Freunde die Show von David Letterman ein, der damals noch bei NBC agierte. Der Sender gehörte dem Konzern General Electric, einem wahren Imperium der Konsumgesellschaft. Ich erinnere mich an die Sendung nur noch vage, aber ich glaube, Letterman hatte sich Produkte von GE ins Studio kommen lassen und testete fröhlich, was die so taugen. Föhn, Toaster, alles Mögliche war dabei. Hm, dann war er jedes Mal etwas enttäuscht und befand, man solle die Dinger doch am besten aus dem Fenster werfen. Der Fenstersturz wurde dann mit großer Freude zelebriert – wird die Konzernchefs seiner Senderchefs sicher sehr gefreut haben. Heute, wo alle Konzerne darauf bestehen, als Team, ja Familie zu agieren, undenkbar. Seitdem steht er für mich für das Wesen des Westens, nämlich der Autonomie von Kunst und Satire. Ich konnte kaum glauben, dass er nach Kiew gereist ist, um den Präsidenten in der U-Bahn zu interviewen. Und es fällt mir auch schwer, es anzusehen, weil das Gefühl der Ohnmacht so bedrückend ist.  Aber es ist Fernsehen auf der Höhe der Zeit. Und sehr bewegend. 

https://www.youtube.com/watch?v=Uq_Dkqbx2ik (Opens in a new window)

Es ist in unserem Wohnort gar nicht so einfach, aktuelle Filme zu sehen, aber bisweilen gelingt es doch. Nun habe ich mir die Verfilmung der Memoiren von Johann Scheerer angesehen, dem Sohn des seinerzeit entführten Jan Philipp Reemtsma. Ich hatte den Fall gut in Erinnerung, das Buch auch noch, hatte also wenig Erwartungen, in der Verfilmung einen neuen Aspekt zu entdecken. Aber ich freute mich über die hervorragenden Schauspieler, die gelungene Inszenierung und viele neue Erkenntnisse. Es ist eine Geschichte, die illustriert, wie Menschen, die das Gute wollen - in diesem Fall Hamburger Polizeibeamte – und auch vertrauenswürdig sind, zu mangelhaften Ergebnissen gelangen, weil sie in einem zu starren, ganz und gar selbstbezüglichen System agieren. 

Ein anderes Thema ist die gefährliche Selbstüberschätzung von Männern, die glauben, jeder Lage gewachsen zu sein und weder Vorbereitung noch Ruhe zu benötigen, um existentielle Krisen zu bewältigen.  Heldin des Films ist die Frau des Entführten, die sich von allen Ratschlägen und Sachzwängen zu befreien versteht. Der Vizeheld ist ein Gentleman im Ruhestand –  jener Privatdetektiv, der die Geldübergabe hinbekommen hat, die dann zur Befreiung Reemtsmas führte. Ich weiß, dass er sich den Film dieser Tage auch ansehen wird. 

https://wir-sind-dann-wohl-die-angehoerigen.film (Opens in a new window)

In Frankreich wird Weihnachten anders gefeiert. Das Land ist nicht besonders christlich, Ehrfurcht und Feierlichkeit halten sich Grenzen. Als Kind begleitete ich entweder meinen Großvater oder meine Großmutter dorthin, wo sich wache Stadtbewohner im Winter ihrer Meinung nach aufzuhalten haben, nämlich ins Kino. Der oder die andere werkelte in der Küche, denn das Abendessen stand im Zentrum von Weihnachten, als sei es damals um die in der Krippe von Bethlehem befindlichen, leckeren Tiere gegangen. In einem Jahr hatte es leichten Schneefall in Bordeaux gegeben. Vor Beginn der Vorstellung saßen meine Großmutter und ich in einem Café mit großen Scheiben und konnten sehen, wie die in untauglichem Schuhwerk vorbei spazierenden Damen und Herren ihr Gleichgewicht suchten, verloren und hinfielen. Nie wieder habe ich jemanden so lachen sehen wie meine Großmutter damals.  

Hier einige Ideen für ein schönes Abendessen:

https://www.lemonde.fr/le-monde-passe-a-table/article/2022/12/04/le-reveillon-des-7-familles-2-7-pour-la-pool-volailles-traditions_6152872_6082232.html (Opens in a new window)

Kopf hoch, 

ihr

Nils Minkmar

PS: Ich bin, es hängt vielleicht mir dem Job zusammen, jemand, der Fristen und Deadlines braucht, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. Ich bin also meist spät dran mit Geschenken. Wenn es ihnen vielleicht auch so geht, wüsste ich etwas (Opens in a new window), das doch sehr vielen Menschen gefällt. 

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PPS: Danke für  den immensen und stets wachsenden Zuspruch zu diesem Newsletter, für die vielen Mails und freundlichen Hinweise.  Nun ist kleine Weihnachtspause, die nächste Ausgabe kommt am 8. Januar 2023.

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